Stellv. Fraktionsvorsitzender

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Alexander Graf Lambsdorff
Pressemitteilung

LAMBSDORFF-Interview: Ich hoffe noch auf ein Handelsabkommen mit Großbritannien

Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Alexander Graf Lambsdorff gab „NDR Info“ das folgende Interview. Die Fragen stellte Liane Koßmann:

Frage: Nach allem was wir gerade gehört haben, wie sehen Sie das: Wird ein harter Brexit immer wahrscheinlicher?

Lambsdorff: Das muss man so sehen. Wenn Großbritannien tatsächlich den ausgehandelten Vertrag bewusst verletzt, indem es nationale Gesetze verabschiedet, die ihm widersprechen, dann ist das ein Abschied vom Rechtsstaatsprinzip und ein Abschied auch von dem Vertrauen, in dem man mit Großbritannien verhandeln kann. Das ist schon, das ist schon starker Tobak, ja. Und das macht die Chancen auf einen guten Abschluss geringer, ganz klar.

Frage: Ja, wir haben es ja gerade gehört: Die EU setzt jetzt ein Ultimatum, fordert, dass Boris Johnson diese Pläne zurückzieht, dass dieses Gesetz eben nicht ins Parlament eingebracht wird. Aber wie sinnvoll sind überhaupt Verhandlungen mit London dann noch, wenn man jetzt sogar schon von Vertrauensbruch spricht in Brüssel?

Lambsdorff: Sie sind deswegen sinnvoll, weil am Ende ja ein Ziel steht, das beide Seiten im Prinzip teilen, das auch die Menschen auf beiden Seiten des Kanals teilen, auch unsere Unternehmen, die mit Großbritannien Handel treiben, teilen dieses Ziel. Wir wollen ja eigentlich gute, freundschaftliche, konstruktive Beziehungen zu Großbritannien, auch nach dem Austritt. Und deswegen ist es schon richtig, weiterzuverhandeln. Im Grunde macht Michel Barnier, der Chefunterhändler, der für das Abkommen zuständig ist, das, was die Briten „keep calm and carry on“ nennen, also „ruhig bleiben und weitermachen“, während auf der anderen Ebene eben die Frage des Austrittsvertrages, der ja nicht Gegenstand seiner Gespräche ist, zurzeit so eine Unruhe macht. Ich hoffe noch, dass es gelingt, ein Brexit-Abkommen hinzukriegen, ein Handelsabkommen hinzukriegen, um genau zu sein, das eben verhindert, dass wir am 1. Januar mit Großbritannien nur noch sozusagen eine WTO-basierte Handelsbeziehungen haben.

Frage: Wie erklären Sie sich denn im Moment das Verhalten von Boris Johnson? Will er ablenken oder den Schaden des Brexits überdecken oder anderen in die Schuhe schieben? Was treibt ihn da im Moment gerade?

Lambsdorff: Frau Kossmann, wenn man Boris Johnson erklären könnte, dann hätten wir es alle viel leichter. Es gibt Spekulationen. Keiner weiß es so recht. Die einen sagen, es ist Theaterdonner, um den Druck zu erhöhen auf Barnier. Andere sagen, es geht sogar darum, Barnier rauszudrängen aus den Verhandlungen, weil Johnson davon genervt ist, dass die 27 Mitgliedsstaaten auf dem Kontinent wirklich wie ein Mann hinter ihm stehen. Andere spekulieren darüber, er wolle, dass die Kommission die Verhandlungen komplett abbreche. All das wird nicht passieren, all das ist jetzt auch nicht passiert. Wie gesagt, „keep calm and carry on“ ist scheinbar zurzeit das Motto der europäischen Seite, nicht so sehr der britischen.

Frage: Jetzt rennt aber ja die Zeit, bis Oktober müsste ja eigentlich so ein Abkommen stehen. Was ist denn da überhaupt jetzt noch für ein Abkommen möglich?

Lambsdorff: Na ja, worum es geht, ist, dass wir das eine Abkommen bewahren. Und es ist ganz wichtig, dass man versteht, wie zentral das für einen Mitgliedsstaat der Europäischen Union ist, nämlich Irland. Das, was die Briten jetzt gemacht haben, läuft darauf hinaus, dass entgegen dem schon existierenden Austrittsabkommen doch auf der irischen Insel eine harte Grenze entstehen müsste. Und das will wirklich niemand und das war auch Gegenstand des Austrittsabkommens. Und das, was wir jetzt verhandeln müssen, ist, dass die Beziehungen zwischen Großbritannien und dem Rest der Europäischen Union eben in dem Freihandelsabkommen geregelt werden, wo es möglichst keine Zölle gibt, wo es möglichst keine Mengenbeschränkungen für Produkte gibt, die hin- und hergehandelt werden, wo der Zugang zu den Fischereigründen geregelt wird. All diese Dinge, das ist das, was Barnier und Frost, also der britische Verhandlungsleiter, da verhandeln. Wir müssen hoffen, und ich hoffe es nach wie vor, dass es gelingt, das hinzukriegen, ohne dass eben auch in Irland die Grenze errichtet wird zwischen Nordirland und der Republik. In den USA ist man deswegen ganz nervös, weil das Karfreitagsabkommen daran hängt, das ja diese schreckliche Gewaltepoche in Irland beendet hat, die ja Jahrzehnte das Leben auf der Insel geprägt hat.

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