DÜRR-Interview: „Ich brauche keine Kettensäge“
Der FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Dürr gab der „Rheinischen Post“ (Freitagsausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten Martin Kessler, Tanja Brandes und Nicole Lange.
Frage: Kann man die FDP noch wählen, wenn man eine funktionsfähige Regierung wünscht? Sie können offenbar weder mit der Union noch mit SPD und Grünen.
Dürr: Wir können Koalition. Aber wir sind in einer Regierung eben nicht bequem, weil wir ein echtes Anliegen haben. Wir wollten in der jetzt gescheiterten Bundesregierung Reformen, aber die Partner SPD und Grüne brachten dazu nicht den Mut auf. Ich finde nicht, dass sich derjenige rechtfertigen muss, der Reformen will. Das muss derjenige tun, der am Status Quo festhält.
Frage: Die Wähler goutieren ihren Kurs nicht. Ist die FDP auf dem Weg zu einer Splitterpartei?
Dürr: Das sehe ich – mit Verlaub – ganz anders. Viele Menschen sind noch überhaupt nicht festgelegt. Die fragen sich: Ändert sich die Politik nach dem 23. Februar? Ich erlebe, dass die Stimmung für die Liberalen wieder besser geworden ist. Mitte-Links, die Regierungen seit mehr als zehn Jahren, sind reformunfähig. Und das erkennen die Menschen zunehmend. Wir waren bereit, daraus Konsequenzen zu ziehen, die anderen nicht.
Frage: Mit wem wollen sie denn koalieren? Die Union ziert sich. Und selbst wenn es klappt, sind sie von einer Mehrheit meilenweit entfernt.
Dürr: Ich habe die große Sorge, dass es nicht mehr möglich wird, eine Regierung aus der demokratischen Mitte heraus zu bilden, wenn wirtschaftliche Reformen nicht angepackt werden. Wir werden dann spätestens 2029 Verhältnisse wie in Österreich bekommen, wo sich ein Rechtspopulist anschickt, neuer Bundeskanzler zu werden.
Frage: Waren Sie denn ganz unschuldig am Scheitern der Ampel?
Dürr: Kanzler Scholz schiebt der FDP die Schuld zu, um vom eigenen Versagen abzulenken. Ich glaube, dass alle Partner ein Teil der Schuld trifft. Wir als Liberale hätten früher deutlich machen müssen, dass wir in der Ampel nicht mehr bereit sind, auf der Stelle zu treten.
Frage: Was war denn so schlecht?
Dürr: Die Wirtschaftspolitik von Herrn Habeck war katastrophal. Seit zehn Jahren fällt Deutschland in der Wettbewerbsfähigkeit zurück – also schon unter Habecks Vorgänger von der CDU. Das war nicht mit neuen Schulden zu heilen, wie SPD und Grüne wollten. Deshalb ist die FDP ausgestiegen.
Frage: Sie haben einen Koalitionsvertrag unterschrieben, der das hätte verbessern können. Die anderen haben sich an diesen Vertrag gehalten.
Dürr: Halt! Der Bundeskanzler hat von uns verlangt, die Schuldenbremse zu brechen, obwohl wir uns im Koalitionsvertrag auf die Einhaltung geeinigt hatten. Richtig ist aber, dass nach dem Einmarsch der Russen in die Ukraine andere Vereinbarungen obsolet waren. Erst recht nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Haushalt 2021. Wir steckten zeitweise mitten in der größten Energiekrise seit Jahrzehnten. Da konnten wir nicht einfach wie bisher weitermachen. Das Reformtempo hätte sich da beschleunigen müssen.
Frage: Wie wollen Sie in einer solchen Lage Zuversicht verbreiten? Ohne die nützt Ihnen die beste Wirtschaftspolitik nichts.
Dürr: Wir müssen deutlich machen, dass Politik etwas ändern kann. Ich gebe Ihnen ein Beispiel, sogar aus unserer Koalition: In den zwei Jahrzehnten vor der Ampel wurde beim Thema Planungsbeschleunigung für Infrastrukturvorhaben nur geredet, nichts getan. Heute können Sie in zwei Jahren eine Brücke ersetzen, auch die A45-Brücke in Nordrhein-Westfalen wird doppelt so schnell gebaut. Das ist auf Betreiben der FDP gekommen. Wenn wir den Mut haben, dies auf mehr Bereiche zu übertragen, wächst auch die Zuversicht. Das ist unser Ziel.
Frage: Warum ist die FDP dann so unbeliebt?
Dürr: Die FDP ist nicht unbeliebt, aber nach dem Ampel-Aus hat der SPD-Kanzler geschickt alles bei uns abgeladen. Wir hätten Scholz deutlicher die rote Karte zeigen müssen. Da waren wir zu vorsichtig.
Frage: Ihr Parteichef Lindner sagt, es gibt nur eine Koalition, wenn die Steuern sinken. Gleichzeitig wollen Sie die Schuldenbremse beibehalten. Können Sie nicht mehr rechnen?
Dürr: Wir können sogar sehr gut rechnen. Lindner hat vorgemacht, wie man den Haushalt umbaut, dass mehr Investitionen möglich sind und auch Spielräume für Steuersenkungen da sind. Man muss nur den Mut dazu haben.
Frage: Welche Steuern wollen Sie senken?
Dürr: Wir müssen die Einkommensteuer für die hart arbeitende Mitte, aber auch die Unternehmensteuern senken. Bei uns sind es 30 Prozent, die USA wollen in Richtung 15 Prozent. Ihre Wirtschaft läuft sehr gut.
Frage: Ohne Kürzungen im Sozialhaushalt wird das aber nicht gehen?
Dürr: Die Ausgaben für Bürgergeld sind zu hoch. Deshalb müssen wir die Zumutbarkeitsregeln für die Arbeitsaufnahme ändern. Wer eine zumutbare Arbeit ablehnt, muss stärker sanktioniert werden. Auch die Arbeitszeiten sollten flexibler werden. Wer in der Woche mehr als 48 Stunden arbeiten will, sollte das tun können. Er kann das in anderen Wochen wieder ausgleichen. Das Gleiche gilt für die Tagesarbeitszeit.
Frage: Wie konnte die FDP zulassen, dass die Arbeitnehmer in der Krankenversicherung einen Beitragsschock mit einem Zusatzbeitrag von 2,4 Prozent und mehr verkraften müssen?
Dürr: Herr Lauterbach war reformresistent. Unser Gesundheitssystem muss aber effizienter werden. Auch hier sollten wir über Neuerungen nachdenken. Ich schlage vor, dass Arbeitnehmer wie in der privaten Krankenversicherung eine Beitragsrückerstattung erhalten, wenn sie in einem Quartal keine ärztlichen Leistungen in Anspruch nehmen oder sie selbst bezahlen.
Frage: Würde die Einführung von Karenztagen helfen?
Dürr: Wichtig ist: Das alles darf nicht zu Lasten der wirklich kranken Menschen gehen, die häufig sehr lange auf Termine bei Fachärzten warten müssen. Ein Karenztag würde sicher viele davon abhalten, unnötig zum Arzt zu gehen und sich krankzumelden. Daher halte ich es für richtig, dass diese Debatte angestoßen wurde. Deutschland hat mit den höchsten Krankenstand unter den Industrieländern. Wir müssen über bessere Anreize nachdenken - wie etwa einen Bonus von den Krankenkassen, wenn man keine medizinischen Leistungen in Anspruch genommen hat.
Frage: FDP-Chef Lindner hat empfohlen, mehr Musk und mehr Milei zu wagen. Der Tech-Milliardär und der argentinische Präsident wollen mit der Kettensäge an staatliche Leistungen. Machen Sie sich das auch zu eigen?
Dürr: Ich muss Sie da leider korrigieren. Lindner hat empfohlen, ein bisschen mehr Musk und Milei zu wagen. Das ist ein Unterschied. Die beiden sind keine politischen Vorbilder für die FDP. Aber sie sprechen die richtigen Themen an. Nehmen Sie das Lieferkettengesetz …
Frage: … das Kinderarbeit in der Dritten Welt verhindern soll.
Dürr: Richtig. Das Anliegen ist völlig in Ordnung. Aber durch die komplizierten Regeln kaufen deutsche Unternehmen nicht mehr in Ländern des globalen Südens. Die liefern dann nach China, unter weit schlechteren Bedingungen. Dadurch passiert das Gegenteil dessen, was mit diesem Gesetz erreicht werden sollte.
Frage: Was schlagen Sie vor?
Dürr: Wir müssen das Lieferkettengesetz abschaffen. Dazu brauche ich keine Kettensäge, sondern einen Beschluss des Bundestags. Fertig.
Frage: Es bleibt die Frage, mit wem Sie das alles durchsetzen wollen. Mit der Union, mit der SPD?
Dürr: Die CDU von Friedrich Merz ist nicht mehr die von Angela Merkel. Da hat sich vieles in Richtung Marktwirtschaft verändert. Die Frage ist, hat die Union den Mut, das auch in Regierungsverantwortung umzusetzen? Die Chancen für ein schwarz-gelbes Bündnis sind gar nicht so schlecht. Warten Sie die Wahlen ab.
Frage: Und wenn es nicht reicht, dann doch wieder die SPD?
Dürr: Darüber mache ich mir jetzt keine Gedanken. Aber eine SPD, die keine Reformen will, ist nicht regierungsfähig. Und Olaf Scholz stand für Reformen nicht bereit. Die SPD muss erstmal beweisen, dass sie das Land nach vorne bringen will.