DÜRR-Interview: Unser Ziel es ist, Mehrheiten für echte Reformpolitik zu gewinnen
Der FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Dürr gab der „Allgemeinen Zeitung“ (Dienstagsausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten Dennis Rink, Stephen Weber und Elisabeth Saller.
Frage: Herr Dürr, haben Sie schon einen Plan, was Sie nach dem 23. Februar beruflich machen?
Dürr: Ich habe ein abgeschlossenes Studium der Wirtschaftswissenschaften. Deshalb mache ich mir darüber keinen Kopf. Aber mein Fokus liegt darauf, dass die FDP nach der Wahl stark im Bundestag vertreten ist.
Frage: Was lässt Sie daran glauben?
Dürr: Wir erleben seit über einem Jahrzehnt einen großen Stillstand. Die Frage ist, ob die demokratischen Parteien nach der Wahl in der Lage sind, große Reformen auf den Weg zu bringen. Wir sind es. Sonst wenden sich die Wähler von uns ab und uns drohen Verhältnisse wie in Österreich, wo mittlerweile die Rechtspopulisten stärkste Kraft sind.
Frage: Mit der FDP hatten Sie doch die vergangenen drei Jahre die Möglichkeit, notwendige Reformen anzustoßen.
Dürr: Einiges ist uns gelungen. Wir haben zum Beispiel nach jahrelangem Ringen endlich die Planungsbeschleunigung durchgesetzt. Projekte im Straßenbau, Brücken, Schienen, Bauvorhaben im Energiebereich können nun wesentlicher schneller umgesetzt werden als vorher. In der Privatwirtschaft allerdings, wo Wohlstand und Wachstum entstehen, da ist zu wenig passiert. Da müssen wir jetzt ran.
Frage: Wenn Sie dürfen. Was bleibt für Sie vom D-Day-Desaster hängen?
Dürr: Der wahre Grund, wieso die Koalition gescheitert ist: SPD und Grüne wollten keine Reformpolitik. Auch was Bundeskanzler Olaf Scholz zurzeit macht, ist grotesk. Die Tage hat er sich öffentlich gegen die Außenministerin gestellt und gesagt, es wird keine milliardenschwere Ukrainehilfe geben. Dabei war es der Streit um Ukrainegelder, der dazu geführt hat, dass die Koalition geplatzt ist. Der Kanzler wollte uns zwingen, die Schuldenbremse zu brechen, obwohl die Ukraine-Mittel aus dem Haushalt finanziert werden könnten. Und nun will er von Ukraine-Hilfen nichts mehr wissen.
Frage: Die FDP steckt in einer Krise. Ist Lindner noch der richtige Spitzenmann oder wäre es Zeit für Erneuerung?
Dürr: Nicht die FDP steckt in einer Krise, sondern unser Land. Christian Lindner ist der richtige. Er hat die vergangenen Jahre vor allem eines bewiesen: Geradlinigkeit. Wir sind mit der Zusage in die Koalition gegangen, die Schuldenbremse einzuhalten. Scholz wollte diese aber unter fadenscheinigen Gründen brechen. Da ist Lindner nicht mitgegangen. Mir ist diese Geradlinigkeit lieber, als wenn jemand sprunghaft oder sehr vergesslich ist, was wir die vergangenen Jahre in der Koalition leider auch erleben mussten.
Frage: Man merkt, dass das Verhältnis zwischen den Ampelpartner nicht mehr das Beste ist. Aber macht sich die FDP nicht zu abhängig von der CDU als wohl einzigem möglichen Koalitionspartner?
Dürr: Die FDP ist nicht abhängig von einer anderen Partei. Wichtiger ist die Frage, ob andere Parteien auch bereit sind, denselben Mut aufzubringen, um Änderungen anzustoßen. Im Wahlprogramm der CDU erkennen wir diesen Mut. Ich gehe davon aus, dass Friedrich Merz unser nächster Bundeskanzler wird. Er muss dann beweisen, dass aus Wahlprogrammen reale Politik wird.
Frage: Ist eine Jamaika-Koalition aus CDU, Grüne und FDP überhaupt noch eine Option?
Dürr: Ich blicke nicht auf mögliche Dreierkonstellationen nach der Bundestagswahl. Mein Fokus ist es, Mehrheiten zu gewinnen, die sich hinter einer echten Reformpolitik versammeln.
Frage: Wie will die FDP die deutsche Wirtschaft wieder in Gang bekommen?
Dürr: Durch steuerliche Entlastungen. Wir stehen zurzeit bei einer Unternehmensbesteuerung von 30 Prozent. Die neue Regierung in den USA strebt 15 Prozent an. Weitere Punkte: echter Bürokratieabbau sowie die Flexibilisierung des Arbeitszeitgesetzes. Wenn jemand in Deutschland Lust hat, mehr als 48 Stunden in der Woche zu arbeiten, damit er die Woche drauf mehr Freizeit hat, sollte das möglich sein. Bei einer solchen Flexibilität brauchen wir nicht mehr über die Vier-Tage-Woche reden.
Frage: Muss man den Bürokratieabbau nicht systemisch angehen? Viel kommt ja von der EU.
Dürr: Richtig, 80 Prozent des Bürokratie-Aufbaus kommt aus Brüssel. Wir sind der größte Mitgliedstaat, wir haben eine sehr gewichtige Stimme. Die Bundesregierung muss in Brüssel anders auftreten, mit einer Stimme sagen: Wir lehnen Bürokratie-Aufbau ab. Dazu hatte Olaf Scholz nie die Kraft. Man kann übrigens auch in Brüssel Bürokratie abbauen.
Frage: Die Industrie klagt über zu hohe Energiekosten. Wie will die FDP sie konkret senken?
Dürr: Wir können für alle Betriebe und Haushalte die Stromsteuer senken. Wir müssen auf Technologieoffenheit setzen. Aus allem auszusteigen und ausschließlich auf Sonne und Wind zu setzen, war ein Fehler der letzten Großen Koalition.
Frage: Kernenergie soll bleiben?
Dürr: Wir sollten Kernenergie zulassen, auch neue Technologien wie die SMRs. Das sind Reaktoren, die günstiger und sicherer sind. Wir sagen Ja zur Kernfusion. Wenn Deutschland auf alles verzichtet, wird es für die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt nicht funktionieren.
Frage: Was will die FDP noch ändern?
Dürr: Die Strompreise sind zu hoch, die Netzentgelte müssen runter. Das sind Standortfaktoren für Unternehmen. Anstatt mit Steuerzahlergeld energieintensive Unternehmen zu unterstützen, wäre es sinnvoller, dass die Strompreise von Anfang an niedriger sind.
Frage: Die FDP schlägt Boni für Arbeitnehmer vor, die nicht krankmelden. Verstehen Sie den Frust junger Eltern, die sich bei ihren Kindern anstecken? Kinderlose haben hier einen Vorteil.
Dürr: Deutschland hat im europäischen Vergleich die höchsten Krankheitstage und gleichzeitig eine geringe Arbeitszeit. Wie wäre es, wenn die Leute, die ein Quartal nicht zum Arzt gehen oder die Rechnung selbst bezahlen, eine Beitragsrückerstattung erhalten? Die Menschen sind klug genug, etwa bei einer Erkältung selbst zu entscheiden, wann sie zum Arzt gehen. Wenn wir bessere Anreize setzen, solidarisieren wir uns auch mit denen, die monatelang auf einen Facharzttermin warten, weil weniger Menschen unnötig zum Arzt gehen.