Stellv. Fraktionsvorsitzender

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Alexander Graf Lambsdorff
Pressemitteilung

LAMBSDORFF-Gastbeitrag: Wider das chinesische Handelsdiktat

Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Alexander Graf Lambsdorff schrieb für die „Welt“ (Samstagsausgabe) den folgenden Gastbeitrag:

Während die Welt mit Corona ringt, haben unter Führung Pekings fünfzehn asiatische Staaten den Abschluss des weltweit größten Freihandelsabkommens RCEP bekannt gegeben. Es umfasst fast ein Drittel des Welthandels und rund 2,2 Milliarden Menschen. Außen vor sind sowohl die USA als auch die EU. Damit sollte auch dem Letzten in Berlin und Brüssel klar geworden sein: Die Welt wartet weder auf Deutschland noch auf Europa.

Jahrelang war die Debatte über Freihandel in Deutschland begleitet von Protesten gegen Chlorhühnchen und Genmais. Obwohl in Deutschland mehr als zehn Millionen Arbeitsplätze vom Export abhängen, hat der Lockruf des Protektionismus längst auch in der politischen Mitte Gehör gefunden. Dem Ausmaß der Irrationalität sind dabei scheinbar keine Grenzen gesetzt. Auch der Verlust von Wohlstand und Werten wird offenbar billigend in Kauf genommen. So wurde selbst CETA, das mustergültige Handelsabkommen mit Kanada, noch immer nicht von Deutschland ratifiziert. Insbesondere die Grünen verharren bei dem Thema Freihandel im Dogmatismus. Auf ihr Veto in Sachen Freihandelsabkommen ist ausnahmslos Verlass – sei es bei CETA, TTIP oder TiSA.

Ein einfaches Nein zu Freihandelsabkommen ist aber keine Lösung. Wer so antwortet, dem geht es um die Bewahrung politischer Glaubenssätze, nicht aber um Fortschritt und Wohlstand.

Die Zahlen sprechen eine eindeutige Sprache: Die EU-Kommission erwartet, dass in den kommenden 10 bis 15 Jahren 90 Prozent des globalen Wirtschaftswachstums außerhalb der EU erzielt werden. Die Prognose zeigt, wie wichtig Freihandel und offene Märkte sind, um Wachstum und Arbeitsplätze in Deutschland und Europa zu sichern. Der Abschluss von RCEP war für China und seine asiatischen Partnerstaaten deshalb auch eine Richtungsentscheidung. Dem Corona-bedingten Einbruch der Weltwirtschaft darf keine Welle des Protektionismus folgen. Das muss auch für Europa gelten. Die Bundesregierung muss dazu ihren Beitrag leisten und sollte klar Stellung beziehen, indem sie zum Jahresende CETA endlich dem Deutschen Bundestag zur Ratifizierung vorlegt. Wichtiger noch ist eine europäische Initiative zur Wiederbelebung des transatlantischen Freihandels.

Unter Trump waren die USA ein schwieriger Partner. Der von ihm forcierte Rückzug der USA aus dem Handelsabkommen TPP und seine Amerika-First-Politik haben die anderen Asien-Pazifik-Staaten noch stärker für ein Abkommen mit China geöffnet – und damit einem Land in die Hände gespielt, das sich offen als Systemwettbewerber zum Westen positioniert. Wenn wir unsere Werte und unseren Wohlstand erhalten oder gar mehren wollen, müssen wir den künftigen US-Präsidenten Biden beim Wort nehmen und verhindern, dass weltweite Handelsregeln künftig allein von Peking diktiert werden. Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft sollte gemeinsam mit der Kommission bereits heute handelspolitische Gesprächskanäle mit der zukünftigen Biden-Administration suchen. Deutschland und Europa profitieren davon, dass im Freihandel nicht das Recht des Stärkeren, sondern die Stärke des Rechts gilt. Bidens Wahl bietet nun die Chance, nicht nur zu einem transatlantischen Abkommen zu kommen, sondern auch die WTO und ihren Streitschlichtungsmechanismus zu reformieren.

Man darf allerdings nicht naiv sein: Auch von einem Präsidenten Biden erhoffen sich viele Amerikaner protektionistische Maßnahmen zum Schutz ihrer Arbeitsplätze. Umso wichtiger ist, dass die Bundesregierung gemeinsame handelspolitische Interessen identifiziert, die den Corona-gebeutelten Volkswirtschaften auf beiden Seiten des Atlantiks sichtbare Vorteile verschafft, und unmittelbar auf die neue US-Administration zugeht.

Ein erster Schritt könnte die wechselseitige Abschaffung von Zöllen auf Industrieprodukte sein. Unser Ziel sollte es sein, ein solches Abkommen bereits 2021 zu erreichen. Gleichzeitig muss es darum gehen, die Abhängigkeit von China zu reduzieren. Asien ist mehr als China: 2050 wird Indien beispielsweise die zweitgrößte Volkswirtschaft der Erde sein.

Die EU sollte deshalb mehr dafür tun, um die größte Demokratie der Welt durch ein Freihandelsabkommen als engen Partner zu gewinnen, aber auch weitere Handelsabkommen mit asiatischen Ländern schließen, wie es mit Südkorea oder Japan bereits gelungen ist. Der Zugang zu neuen Märkten verheißt nicht nur Wachstum und Wohlstand, sondern ermöglicht auch das Ausstrahlen eigener Werte und die Festlegung hoher Standards.

Es ist die Chance, der Globalisierung gute Regeln zu geben. Wer vor Freihandel zurückschreckt, sich der Irrationalität unterwirft und Abkommen verweigert, darf sich nicht wundern, wenn woanders Fakten geschaffen werden und Abkommen wie das RCEP jegliche Art von Arbeitnehmer- oder Umweltrechten vermissen lassen.

Für die Freien Demokraten kann daraus nur eins folgen: Deutschland und die EU müssen mehr Handelsmacht wagen. Dafür müssen wir den EU-Binnenmarkt vollenden, das EU-Mercosur-Abkommen abschließen und Verhandlungen über transatlantischen Freihandel wiederbeleben.

Sonst ergeht es uns auch künftig wie nach dem Abschluss von RCEP: Wir haben das Nachsehen.

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