DÜRR-Interview: Die Frage ist, wie wir den Turnaround schaffen
Der FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Dürr gab dem „Deutschlandfunk“ das folgende Interview. Die Fragen stellte Josephine Schulz.
Dürr: Guten Morgen, Frau Schulz!
Frage: Ich habe es gesagt: Friedrich Merz hat ja empfohlen, nicht die FDP zu wählen und quasi gesagt, das wäre eine verschenkte Stimme. Was sagen Sie dazu, dass Ihr engster politischer Partner, die Union, jetzt Wahlkampf gegen Sie macht?
Dürr: Also jeder macht Wahlkampf für sich selbst. Aber Herr Merz tut ja gerade so, als ob das die Stimmen von ihm wären. Die Wählerinnen und Wähler entscheiden ja wen sie wählen. Und die fragen sich doch jetzt in den letzten zwei Wochen vor der Bundestagswahl: Wer wird die kommende Bundesregierung stellen? Gibt es einen Politikwechsel in Deutschland bei den zwei wichtigsten Themen, nämlich der Wirtschaftspolitik und der Migrationspolitik? Wenn Herr Merz jetzt im Interview eigentlich andeutet, dass ihm am liebsten schwarz grün wäre, mit Robert Habeck als Wirtschaftsminister, dann muss man sich fragen, wie der Politikwechsel in genau diesen beiden Themen stattfinden soll. Bisher ist ja eine andere Migrationspolitik vor allem an den Grünen gescheitert. Und wirtschaftspolitisch verstehe ich die Nähe der CDU/CSU zu den Grünen an dieser Stelle nicht. Das ist das Geheimnis von Herrn Merz. Ich glaube, die meisten Menschen wünschen sich nach dem 23. Februar, Frau Schulz, eine andere Politik – mehr Wirtschaftswachstum und Ordnung und Kontrolle der Migration. Und die FDP hat hier ein sehr klares Angebot.
Frage: Gut, was die meisten Menschen sich wünschen, das sehen wir dann am 23. Februar. Ich habe das jetzt ehrlich gesagt nicht so verstanden von Friedrich Merz, dass er ganz unbedingt mit den Grünen zusammen regieren will, eher im Gegenteil. Aber sei's drum. Für schwarzgelb, wofür sie Wahlkampf machen, dafür wird es absehbar nicht reichen. Das ist sehr, sehr unrealistisch. Das heißt, zwangsläufig wären Grüne oder SPD wahrscheinlich irgendwie dabei. Da hieß es jetzt aus der FDP schon: Ne, mit denen auf keinen Fall wieder. Hat ja auch nicht gut geklappt in der Vergangenheit. Hieße dann in der logischen Konsequenz für die FDP eigentlich gar keine Regierungsoption.
Dürr: Nein. Christian Lindner hat sich zu Recht zu den Grünen geäußert. Und noch mal auf die Frage – es gibt ja ein Interview von Herrn Merz, auf das Sie ansprechen, Frau Schulz – auf das er [Friedrich Merz] geantwortet hat, dass er sich durchaus Robert Habeck als Wirtschaftsminister und damit ja auch die Grüne Partei als Koalitionspartner vorstellen kann. Das können wir uns nicht vorstellen. Eine erneuerte SPD, vielleicht mit Boris Pistorius an der Spitze, ist etwas anderes als eine SPD, die blockiert und für die Zukunft nicht offen ist, unter Olaf Scholz. Aber das sind ja alles Spekulationen und Entscheidungen anderer Parteien. Mir geht es wirklich um die Frage: Schaffen wir den Turnaround in Deutschland? Kommen wir wirtschaftlich nach vorne? Und ich sage es mal so: Die CDU ist ein bisschen wie ein Chamäleon. Sie nimmt regelmäßig – das sehen wir aus der Vergangenheit bei Frau Merkel – die Farbe ihrer Koalitionspartner an. Und wenn ich mir anschaue – ich habe mir einfach mal die Mühe gemacht, in das Wahlprogramm der CDU rein zu schauen – zum Beispiel beim wichtigen Thema Rente sind Fragen offen: Wie schaffen wir eigentlich eine sichere Rente in Zukunft? Wo sind da die innovativen Vorschläge? Denken Sie an die Idee der FDP für eine gesetzliche Aktienrente, damit die Rente in Zukunft sicher und stabil ist, auf der anderen Seite aber die Beiträge nicht explodieren. Stellen Sie sich die Frage Unternehmenssteuerreform, damit in Deutschland wieder investiert wird. Das ist im CDU Wahlprogramm nicht klar adressiert. Steuerliche Entlastung, das Einhalten der Schuldenbremse. Sie kennen die Äußerungen mancher Politiker. Aber lassen Sie uns gar nicht so sehr über die Union reden.
Frage: Ich wollte gerade sagen, lassen Sie uns jetzt nicht das ganze Wahlprogramm der Union referieren.
Dürr: Sie haben mich ja nach Herrn Merz gefragt und gefragt, wie diese Aussage zustande kommt. Vielleicht hängt es damit zusammen, dass die Union inhaltlich einfach noch nicht klar positioniert ist. Und ich glaube, vielen Menschen ist lieber, dass wir wirklich einen Politikwechsel bekommen, als dass es vier Jahre Stillstand gibt.
Frage: Okay, Sie kritisieren jetzt, die Union sei nicht klar positioniert, sei so ein bisschen so ein Chamäleon. Da fällt mir jetzt spontan das ein, was letzte Woche im Bundestag geschehen ist, was die Gesellschaft sehr gespalten hat: die Abstimmung mit der AfD. Da haben Sie versucht, eine Mehrheit in Ihrer Fraktion im Grunde für die Union zu organisieren. Ein Viertel Ihrer Fraktion hat da nicht mitgemacht. Also da sieht man doch auch Zerrissenheit, keine klare Linie oder?
Dürr: Ich habe keine Mehrheit versucht für die Union zu organisieren. Herr Merz hat einen Gesetzentwurf zur Abstimmung gestellt. Das war offensichtlich nicht klug durchdacht. Er wollte ja am Anfang der Woche noch keine Mehrheiten dafür, auch mit der AfD, wie er sagte. Später dann doch. Aber das ist auch alles sein Geheimnis. Da will ich gar nicht interpretieren. Aber die Inhalte, um die es ging, am vergangenen Freitag, also am vorvergangenen Freitag genauer gesagt, das sind ja Forderungen der Freien Demokraten seit 2017. Das ist Beschluss der Ministerpräsidenten in Deutschland. Dazu haben auch rote Ministerpräsidenten schon „Ja“ gesagt. Und, Frau Schulz, was ich getan habe, ist den Vorschlag zu unterbreiten, gerade in Richtung der SPD – die Grünen sind bei der Migrationspolitik blockiert –, dass das, was alle Ministerpräsidenten, auch rote, wozu die schon ja gesagt haben. Da muss es doch eine demokratische Mehrheit geben. Ich, Frau Schulz, habe sehr deutlich gesagt: Ich will keine Mehrheit mit den Rechten. Ich will eine Mehrheit mit den Demokraten.
Frage: Na ja, gut, aber im Grunde haben Sie die ja – an Sie richtet sich ja das Gleiche wie an die Union – so in Kauf genommen am Ende.
Dürr: Am Ende habe ich aber vorab versucht, die SPD zu überzeugen: Mensch, dazu, wozu ihr schon ja gesagt habt – teilweise ist es sogar das Wahlprogramm der SPD – da kann es doch nicht sein, dass Demokraten sich blockieren. Die Menschen lässt das doch ratlos zurück in Deutschland, wenn wir immer wieder in der Situation sind, dass sogar schlimme Attentate passieren und man feststellt, derjenige, der das begangen hat, diese Personen war ausreisepflichtig, hat eine Straftat vorab begangen – Da muss es doch möglich sein, dass die Politiker der Mitte eine andere Gesetzgebung schaffen, damit das in Zukunft unterbleibt. Also eine echte Wende der Migrationspolitik. Und einen Punkt, Frau Schulz, will ich hinzufügen: Es geht ja nicht darum Deutschland abzuschotten. Sondern die Migrationspolitik in Deutschland muss doch aus meiner Sicht ein Leitsatz haben: Es muss leichter sein, nach Deutschland zu kommen, um zu arbeiten, als nach Deutschland zu kommen, um nicht zu arbeiten. Darum ging es uns. Ich hätte mir gewünscht, dass die SPD dazu „Ja“ sagt. Am Ende ist der Gesetzentwurf ja gescheitert, weil unter anderem die SPD-Abgeordneten mit „Nein“ gestimmt haben.
Frage: Okay, also Sie sagen jetzt, es geht nicht um Abschottung. Das würden, glaube ich, viele anders sehen, wenn man auch noch die Unionsanträge von Mitte der Woche dazu nimmt, dass im Grunde überhaupt kein Zuwanderer mehr einfach über die Grenze nach Deutschland kommen kann. Aber das wollte ich Sie gar nicht fragen. Man hört und liest es sei da hinterher bei Ihnen, hinter den Kulissen ziemlich hart zur Sache gegangen, gegen diese Personen, die da nicht mitstimmen wollten, die seien ziemlich hart angegangen worden. Fragt man sich so ein bisschen: Haben Menschen keinen Platz mehr in der FDP, die ein Rechtsschwenk nicht mitmachen wollen?
Dürr: Nein. Es geht ja auch nicht um einen Rechtsschwenk. Die Kolleginnen und Kollegen, die nicht zugestimmt haben, haben ja gesagt: Inhaltlich ist es richtig, aber – und ich habe das ja auch gerade betont Frau Schulz – wir wollen keine Mehrheiten mit einer rechten Partei. Auch Herr Merz hat das ja gesagt. Nochmal: Das waren keine Gesetzentwürfe, kein Gesetzentwurf von uns, sondern von der CDU/CSU. Jetzt muss man Herrn Merz fragen, warum er das in der Woche gemacht hat. In der letzten Woche das beantragt, in dieser Woche spricht er davon, dass er sich Robert Habeck als Wirtschaftsminister vorstellen kann. Das ist aber gar nicht an mir, das alles zu beurteilen. Ich habe doch eine andere Aufgabe. Ich habe die Aufgabe, dass wir Mehrheiten in der Mitte des Hauses finden, damit es in Deutschland eine andere Migrationspolitik gibt. Ich glaube, dass sich noch nicht die SPD aus dem Würgegriff der Grünen hier befreit hat. Aber das muss in Zukunft möglich sein. Es kann doch nicht sein, dass man sich gegenseitig blockiert. Alle gucken sich an. Da muss es doch eine Partei in Deutschland geben – und das waren die Freien Demokraten – die versuchen hier die Brücke zu bauen. Der Vorschlag, den ich gemacht habe, Frau Schulz, war ja ein Gesetzentwurf von SPD und Grünen gemeinsam mit dem anderen Gesetzentwurf, der auch Forderungen von uns enthält, von der Union, zur Abstimmung zu stellen. Das hätte ein Kompromiss sein können. Leider ist die SPD nicht darauf eingegangen.
Frage: Lassen Sie uns das nicht alles noch mal aufrollen. Ich würde gern noch mal fragen: Sie sprechen jetzt immer von Brücke, von Mitte, von einer mittigen Migrationspolitik. Kirchen, zum Beispiel, sehen das völlig anders. Sie sagen das, was da mittlerweile gefordert wird, das ist eine total menschenfeindliche Migrationspolitik. Wo ist denn noch das Liberale in der FDP? Also auch mit Blick auf die Migrationsthemen? Heißt liberal nicht, mehr aufs Individuum zu gucken, auch Vielfalt zu fördern und Menschen nicht pauschal abzulehnen aufgrund ihrer Herkunft?
Dürr: Sie rennen bei mir ein offenes Scheunentor, Frau Schulz.
Frage: Aber das machen Sie ja gerade, wenn Sie wieder sagen, es geht um Messerstecher und es geht um Kriminalität.
Dürr: Lassen Sie mich das kurz erklären. Ich habe ja gerade gesagt: Deutschland muss ein modernes Einwanderungsland sein. Es muss leichter sein, nach Deutschland zu kommen, um zu arbeiten, als nach Deutschland zu kommen, um nicht zu arbeiten. Der Weg, um nach Deutschland zu kommen, hier in die Gesellschaft zu kommen, die deutsche Sprache zu lernen, im Arbeitsmarkt unterwegs zu sein, das muss doch die reguläre Erwerbsmigration sein. Das kann doch nicht die irreguläre Migration über das Mittelmeer sein. Wie unmenschlich ist denn eine Gesellschaft, die sagt: Der Weg, um nach Deutschland zu kommen, ist der über das Mittelmeer, über Schlepperbanden? Das ist doch grundfalsch. Es muss doch die Möglichkeit geben, für diejenigen, die in Deutschland dauerhaft bleiben wollen, sich auf ein Arbeitsvisum zu bewerben. Das ist doch der reguläre Weg. Ich habe wirklich offen gestanden, auch für die Grünen und Teile der SPD kein Verständnis dafür, dass sie akzeptiert haben, dass der reguläre Weg nach Deutschland über die illegale Migration ist. Das ist grundfalsch, das muss geordnet werden. Und ich glaube, dass die große Mehrheit der Menschen in Deutschland sehr weltoffen ist. Aber sie wünschen sich Ordnung und Kontrollen der Migration. Nicht die irregulären Migration in die sozialen Sicherungssysteme ist das Ziel, sondern die Erwerbsmigration über den Arbeitsmarkt. Und so benimmt sich ein modernes Einwanderungsland.
Frage: Aber der Sound, den wir im Bundestag hören, ist von Massenvergewaltigungen, von Attentaten. Die vielen Millionen Menschen mit Migrationsgeschichte in Deutschland, oder auch die 100.000 Geflüchteten, von denen ja viele hart arbeiten, die eigentlich diesen Leistungsgedanken der FDP, dass sich jeder was aufbauen soll, total erfüllen. Glauben Sie nicht, dass sich die auch von Ihrem Diskurs total pauschal abgewertet fühlen.
Dürr: Aber Frau Schulz, das was Sie gerade zitieren, sind ja die Worte der AfD, die ich bekämpfen will. Wir müssen es doch schaffen, aus der Mitte der deutschen Politik dieser rechten Partei den Nährboden und ihre Lebensversicherung zu entziehen. Die AfD spekuliert doch nicht darauf, dass die Migrationsfrage gelöst wird. Herr Gauland hat mal gesagt, das sei ein Geschenk für Ihre Partei. Die spielen doch Spielchen mit den demokratischen Parteien. Es muss doch gelingen, dass die Ordnung der Migrationspolitik ein Thema der Mitte der Parteien wird. Es kann ja nicht angehen, dass man andauernd sich verweigert – auch von SPD und Grünen und in der Vergangenheit, offen gestanden auch von der CDU/CSU. Das was hier zur Abstimmung stand, sind Forderungen der FDP aus 2017, weil wir mehr Ordnung haben wollen. Das heißt eben auch, das mit Weltoffenheit zu verbinden. Ich bitte wirklich, da die Dinge vernünftig zu sortieren. Ich will, dass eine rechte Partei überflüssig wird, indem die Demokraten es schaffen, Ordnung in die Migrationspolitik in Deutschland zu bringen.
Frage: Sagt Christian Dürr, Fraktionsvorsitzender der FDP. Herzlichen Dank Ihnen für die Zeit und für das Interview.
Dürr: Ich danke Ihnen.