Dr. Marco Buschmann
Pressemitteilung

BUSCHMANN-Gastbeitrag: Der gefährliche Ruf nach einer „Pandemiewirtschaft“

Der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion Dr. Marco Buschmann schrieb für die „Welt“ (Montagsausgabe) den folgenden Gastbeitrag:

Die Impfkampagne gegen Corona kommt nur schleppend voran. Der Sündenbock ist schnell gefunden: das freie Unternehmertum. Daher solle nun der Staat die Produktion steuern. Von „Not-Impfstoff-Wirtschaft“ (Markus Söder) oder „Pandemiewirtschaft“ (Bündnis 90/Die Grünen) ist die Rede und bei einigen Ökonomen sogar schon von „Kriegswirtschaft“. Das alles sind nicht nur falsche Ideen. Sie sind auch gefährlich, weil sie den Sieg über Corona nicht beschleunigen, sondern verlangsamen.

Der Staat war noch nie erfolgreich darin, die volkswirtschaftliche Produktion effektiv zu steuern. Nicht einmal im Krieg. Als das Deutsche Reich in den Ersten Weltkrieg zog, musste erst ein Unternehmer und Industriemanager den Beamten die Lieferketten der Rüstungsproduktion erklären. Erst so wurde künftige Rohstoffknappheit absehbar. Dieser Unternehmer hieß Walther Rathenau. Dem späteren DDP-Politiker und Außenminister der Weimarer Republik, den Rechtsradikale noch später ermordeten, übertrug man daher die Leitung über die Rohstoffbeschaffung in der deutschen Kriegswirtschaft. Von diesem Beispiel war Lenin sichtlich fasziniert. Er kopierte nicht nur Rathenaus „Look“, der sich durch Glatze und Spitzbart auszeichnete. Lenin verstieg sich sogar in die Idee einer vollständig zentral geplanten Wirtschaft. Sozialismus ist Kriegswirtschaft und umgekehrt.

Die Idee der zentral geplanten Wirtschaft scheiterte sowohl im Deutschen Reich als auch im Sowjetimperium wie überall auf der Welt. Es kam zu enormen Verschwendungen, ineffizienten und gescheiterten Plänen am laufenden Band. Warum das so war, hat der Ökonom Walter Eucken am Beispiel der Kriegswirtschaft des Dritten Reichs untersucht.

Euckens Analyse war ernüchternd: Ministerien und Behörden waren in der sozialen Wirklichkeit eben nicht die Verkörperung neutraler Sachlichkeit und stoischer Überlegenheit mit Überblick vom Feldherrnhügel aus. Die verschiedenen Ministerien und Fachabteilungen hielten stets das Thema ihrer eigenen Zuständigkeit für das wichtigste bei der Zuteilung von Ressourcen. Diese Scheuklappen führten zu unproduktiven Konflikten: „Gruppen-anarchische Kämpfe scheinen dieser Form der Wirtschaftsordnung system-inhärent zu sein“, schrieb Eucken.

Eucken wurde zu einem der Begründer des Ordoliberalismus. Diese Schule wirtschaftlichen Denkens, der auch das Konzept der Sozialen Marktwirtschaft entspringt, stellt am Markt frei gebildete Preise als volkswirtschaftliches Steuerungsinstrument in den Mittelpunkt. Denn solche Preise haben viele Vorteile: Sie spiegeln schneller und verlässlicher die Knappheit eines Guts wider als jedes statistische Messverfahren. Sie machen verschiedene Verwendungsmöglichkeiten miteinander verrechenbar. Durch diese Verrechenbarkeit ist überhaupt erst rationale Investitionsplanung möglich. Denn nur so kann gegenwärtiger gegen künftigen Nutzen verrechnet werden. Preise üben auch eine Kontrollfunktion aus. Denn wenn die Umsätze sich nicht mit der Planung decken, dann war sie offenbar fehlerhaft und muss angepasst werden.

Schließlich bieten Marktpreise auch eine Anreizfunktion: Wer ein begehrtes Gut liefern kann, wird belohnt. Hier kann staatliche Kommandowirtschaft nicht mithalten. Ihr Instrument sind Befehl und Sanktion. Experimente der „behavioral economics“, also der verhaltensorientierten Wirtschaftswissenschaft, haben gezeigt, dass Sanktionen zwar gut sind, um eine Unterlassung zu erwirken. So funktioniert ja auch das Strafrecht: Unterlasse dieses oder jenes, denn sonst wirst Du bestraft! Bei der Motivation zur Leistung jedoch wie zum Beispiel einer höheren Produktionsmenge bleibt das Messer der Sanktion stumpf.

Das mit Sanktion belegte Kommando motiviert insbesondere die Wissensarbeiter moderner Volkswirtschaften kaum. Es blockiert geistig eher. Angst und Stress führen nicht zu geistigen Höchstleistungen. Anreize wirken dagegen mitunter Wunder. Daher wird zentrale Planung in der digitalen Wissensgesellschaft noch weniger funktionieren als in der Kriegswirtschaft von Kaiserreich oder Sowjetimperium. Da wirkt es ausgesprochen naiv zu glauben, dass der Output der Impfstoffindustrie gesteigert würde, wenn der Staat sie im Wege der Kommandowirtschaft steuert.

Die Steuerung von Produktion über Preise und Anreize funktioniert dagegen auch in der Pandemie. Die US-Regierung hat 18 Milliarden US-Dollar, also etwa 15 Milliarden Euro, zur Verfügung gestellt, um 330 Millionen US-Bürger mit Impfstoff zu versorgen. Die EU-Staaten haben für die Impfstoffbeschaffung eine Einkaufsgemeinschaft gebildet, die jedenfalls im ersten Schritt lediglich 2,7 Milliarden Euro zur Verfügung hatte, um über 500 Millionen EU-Einwohner mit Impfstoff zu versorgen. Man benötigt keinen Nobelpreis in Wirtschaftswissenschaften, um zu prognostizieren, dass der Impfstoff in der EU im Vergleich zu den USA knapp sein würde. Globale Märkte reagieren auf solche stark unterschiedlichen Preissignale. In der Beschaffung schlägt Anreiz immer Sanktion.

Mehr Geld für weniger Impfstoffknappheit ist auch eine ausgesprochen vernünftige Investition. Jeder Tag, jede Woche, jeder Monat weniger Pandemie und Lockdown retten Menschenleben und wehren gewaltige volkswirtschaftliche Verluste ab. Daher haben diejenigen Ökonomen recht, die nicht auf staatliche Kommandowirtschaft, sondern auf Anreize setzen, um die Impfstoffproduktion zu beschleunigen. Das kann etwa in Form einer Anreizprämie für vorzeitige Lieferungen oder einer Ausschreibung mit höheren Preisen erfolgen.

Das ist mehr als blanke Theorie. Eine solche Ausschreibung hat etwa die Knappheit an medizinischen Masken in Deutschland ausgesprochen schnell beseitigt. Das Bundesgesundheitsministerium hatte es freilich versäumt, die Ankaufsmenge bei dieser Ausschreibung nach oben zu begrenzen. Jetzt sind Verträge für das fünffache der gewollten Menge zustande gekommen. Das zeigt zwei Dinge: Märkte lösen Beschaffungsprobleme enorm schnell. Behörden sind nicht besonders gut bei der Steuerung solcher Beschaffungsvorgänge.

Was für den Ankauf gilt, gilt auch für die Behauptung, die Impfstoffhersteller würden Produktionskapazitäten nicht ausweiten, weil dies langfristig nicht rentabel sei. Selbst wenn das stimmen sollte, was nicht bewiesen ist, bräuchte man keine Kommandowirtschaft, um das Problem zu beheben. Besser wäre es zum Beispiel, die künftig überflüssigen Produktionskapazitäten einer steuerlichen Sonderabschreibung zugänglich zu machen. Man könnte auch die Kosten für den künftigen Rückbau solcher Kapazitäten in die Preiskalkulation einfließen lassen. Das gelingt freilich nicht, wenn die Preise durch ein Einkaufsmonopol zuvor fixiert worden sind.

Die Bundeskanzlerin hat jüngst im Fernsehen erklärt, dass mehr Geld die Versorgung mit Impfstoff nicht verbessern könne. Die EU-Kommissionspräsidentin hat sich parallel dazu an die Regierungschefs der Mitgliedstaaten genau mit der gegenteiligen These gewandt: mehr Geld für mehr Impfstoff. Wie die beiden Politikerinnen ihren Streit untereinander entscheiden, bleibt abzuwarten. Aber einstweilen steht fest: Das Preissignal ist das beste Steuerungsinstrument, das der Politik zur Verfügung steht, um die Produktion eines hochkomplexen Produkts wie dem des Covid-19-Impfstoffs zu beschleunigen. Auf seine Nutzung sollte sich die Politik konzentrieren, anstatt gegen alle Grundsätze unserer Wirtschaftsverfassung und die Lehren der Wirtschaftsgeschichte zu verstoßen.

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