Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
VOGEL-Interview: Unser Auftrag ist Deutschland zu modernisieren
Der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion Johannes Vogel gab dem „Spiegel“ (Freitagsausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten Christoph Schult und Severin Weiland.
Frage: Herr Vogel, haben Sie Silvester geböllert?
Vogel: Nein. Ich habe Silvester in der Normandie eher ruhig am Meer verbracht. Aber als Liberaler bin ich dafür, dass jeder selbst entscheiden darf, ob er ein Feuerwerk anzünden möchte. Ich kenne viele Menschen, die das glücklich macht.
Frage: Gehört Böllern für Sie zur persönlichen Freiheitsentfaltung, wie es manche Ihrer Parteifreunde in diesen Tagen meinen?
Vogel: Freiheit ist viel mehr. Aber wenn jemand verantwortungsvoll Feuerwerk zündet und andere nicht gefährdet, darf er das natürlich als Teil seiner Freiheit empfinden.
Frage: Zeigen nicht gerade die Exzesse an Silvester, dass es mit der Eigenverantwortung bei manchen Menschen nicht weit her ist?
Vogel: Wir können der Mehrheit doch nicht vorwerfen, dass eine Minderheit nicht verantwortungsvoll mit ihrer Freiheit umgeht. Wir verbieten ja auch nicht den Straßenverkehr, weil es eine Minderheit gibt, die sich nicht an die Regeln hält. Sondern wir sanktionieren diejenigen, die sich nicht an die Gesetze halten.
Frage: In der Debatte um die Gewaltausbrüche gegen Polizisten und Rettungskräfte an Silvester werden von einigen Politikern – etwa aus der CDU – vor allem migrantische Jugendliche verantwortlich gemacht. Sind die Exzesse Ausdruck einer misslungenen Integration?
Vogel: Nicht nur als ehemaliger Rettungssanitäter sage ich: Gewalt gegen Einsatzkräfte ist erschütternd und inakzeptabel. Diese tun Dienst für uns alle. Die Täter müssen mit der ganzen Härte des Rechtsstaates zur Verantwortung gezogen werden. Natürlich müssen wir auch über die Ursachen für diese Gewaltausbrüche diskutieren – egal ob es sich dabei um Linksautonome oder um Jugendliche mit migrantischen Wurzeln handelt. Was aber wie immer nicht hilft, sind plumpe Verallgemeinerungen. Viele Deutsche mit ausländischen Wurzeln waren in den betroffenen Kiezen selbst Opfer oder haben in einem Fall Bewohner aus brennenden Wohnungen gerettet, wie Berliner Feuerwehrleute berichten.
Frage: Die FDP-Bundestagsabgeordnete Katja Adler twitterte, dass „jeder Gedanke an eine kulturelle Überfremdung" reflexhaft in die rechte Ecke geschoben würde. Hat die FDP ein Rassismusproblem?
Vogel: Nein und ihre Frage erscheint mir anlässlich eines Tweets auch als abwegig. Aber um es klar zu sagen: Die Wortwahl und das kollektivistische Konzept dahinter ist für Liberale inakzeptabel – der Tweet wurde ja auch gelöscht.
Frage: Die Coronapandemie geht Experten zufolge in eine endemische Lage über. Sollte deshalb das Infektionsschutzgesetz mit den noch geltenden bundesweiten Beschränkungen im April auslaufen?
Vogel: Ja, die Maßnahmen sollten spätestens dann natürlich enden. Wir haben die Pandemie offensichtlich überstanden – was für eine großartige Nachricht. Und wie haben wir das geschafft? Vor allem dadurch, dass wir durch einen Impfstoff in Rekordzeit für breite Immunität gesorgt haben. Und was hat den Impfstoff ermöglicht? Die Kombination von Einwanderungsland, Offenheit für Neues, Marktwirtschaft und Unternehmertum. Das zeigt doch, wie fundamental das Konzept der Freiheit ist.
Frage: Soll die Maskenpflicht in den ICEs und Fernbussen möglichst bald entfallen?
Vogel: Selbstverständlich. Niemandem ist zu erklären, dass er in einigen Bundesländern im Regionalzug keine Maske tragen muss, aber sehr wohl beim Umstieg in den ICE.
Frage: Am 6. Januar findet erstmals seit zwei Jahren das Dreikönigstreffen Ihrer Partei in Präsenz statt. Das Stuttgarter Treffen dient auch immer als Selbstvergewisserung. Wo steht die FDP im Januar 2023?
Vogel: Wir können aus den letzten Krisenjahren mit dem Überfall Russlands auf die Ukraine, mit Corona und der Energiekrise vieles lernen. Die wichtigste Lehre ist doch, dass uns absehbare Versäumnisse einholen. Wir wussten, dass die Bundeswehr kaputtgespart ist – und plötzlich wird es zu einer existenziellen Frage, ob die Nato Europa verteidigen kann und welchen Beitrag Deutschland dazu leistet. Wir wussten, dass wir zu abhängig sind von russischem Gas. Die Politik sollte langfristiges Denken bei den großen Herausforderungen und die mutige Gestaltung der Zukunft daher zum Leitmotiv für das Jahr 2023 machen. Das ist die Rolle der Freien Demokraten. Konkret heißt das zum Beispiel: Die sozialen Sicherungssysteme müssen generationenfest aufgestellt, die Soziale Marktwirtschaft gestärkt, die Einwanderung von Fachkräften besser geordnet und organisiert und die möglichst klimafreundliche Energieversorgung gesichert werden.
Frage: Müssten die deutschen Atomkraftwerke in diesem Frühjahr doch länger laufen, um gewappnet zu sein für 2024?
Vogel: Unser gemeinsames Ziel ist klar: Die Erneuerbaren Energien müssen schneller ausgebaut und die Strom- und Energieversorgung langfristig voll dekarbonisiert werden – mit Speichern, Wasserstoff und allem, was dazu gehört. Ich erwarte aber, dass Wirtschaftsminister Robert Habeck von den Grünen auch ein Konzept vorlegt, wie wir für unsere Industrienation dabei auch kurz- und mittelfristig sichere und bezahlbare Energien garantieren. Da darf es keine Denkverbote geben, weder mit Blick auf die weitere Nutzung der noch laufenden AKW als auch die Nutzung heimischer Gasreserven inklusive Schiefergas.
Frage: Kanzler Scholz hat im Herbst erklärt, die AKW liefen längstens bis April 2023. Stellen Sie dieses Machtwort als FDP jetzt infrage?
Vogel: Ich stelle erst mal nur eine Frage und nichts infrage: Wie bekommen wir eine sichere, bezahlbare und möglichst CO2-arme Energieproduktion hin? Im Moment verfeuern wir doch viel zu viel Kohle. Meine Mission ist es nicht, die Grünen oder den Kanzler zu ärgern, sondern Deutschland besser zu machen. Dazu gehört auch für die Energieversorgung ein Plan, der dauerhaft funktioniert.
Frage: Können Sie uns mal erklären, warum Ihre Partei die Liebe zum Fracking neu entdeckt hat?
Vogel: Also ich liebe keinen fossilen Energieträger. Aber ich weiß, dass wir Gas als Brücke bis zur kompletten Dekarbonisierung der Energieversorgung benötigen. Wir sollten uns ehrlich machen: Wir nutzen über die LNG-Terminals längst Schiefergas, zum Beispiel aus den USA. Eine Expertenkommission des Bundestags hat 2021 festgestellt, dass Schiefergas sicher zu fördern ist. Nur bei sich zu Hause dagegen zu sein, überzeugt mich daher weder moralisch noch energie- und sicherheitspolitisch.
Frage: Das Jahr 2022 lief mit Blick auf die Landtagswahlen nicht gut für die FDP. Warum eigentlich nicht?
Vogel: Wir können mit dem Jahr 2022 nicht zufrieden sein. Aber jetzt beginnt ein neues Jahr und damit auch neue Chancen, etwa bei den Wahlen in Berlin, Bremen, Hessen und Bayern. Und ich finde, dass 50 Milliarden Euro Steuerentlastung, Einhaltung der Schuldenbremse, Vernunft in der Energiepolitik Dinge sind, die sich sehen lassen können. 2023 müssen wir aber über die akute Krisenreaktion hinauskommen und die Fundamente unseres Wohlstands sichern. Als Freie Demokraten müssen wir die Ärmel hochkrempeln und die großen Fragen unserer Zeit angehen.
Frage: In der Öffentlichkeit ist die FDP oft als Blockierer wahrgenommen worden.
Vogel: Bisweilen ist es notwendig, Falsches zu verhindern. Aber unser Auftrag ist nicht in erster Linie, das Falsche von Grünen und SPD zu verhindern, sondern Deutschland zu modernisieren.
Frage: FDP-Vize Wolfgang Kubicki bemerkte jüngst, drei Viertel ihrer Wählerschaft fremdelten mit der Arbeit der FDP in Berlin. Wenn nun SPD und Grüne Forderungen erhöben, die nicht im Koalitionsvertrag stünden, dann mache die FDP das jetzt auch. Eine „FDP pur“ sei nötig. Haben Sie mit Kubicki mal darüber geredet?
Vogel: Ich rede regelmäßig mit Wolfgang. Natürlich ist es richtig, dass wir in der Partei die reine Lehre formulieren müssen. Im neuen Parteiensystem müssen Parteien auch in einer Koalition erkennbar bleiben. Aber wir sollten nicht mit unserer Rolle in der Verantwortung fremdeln, sondern wegweisende Weichenstellungen durchsetzen. Und natürlich ist ein Koalitionsvertrag nicht statisch wenn die Realität sich verändert – die Freiheit nehme ich mir auch.
Frage: Christian Lindner hat im vergangenen Jahr bei vielen Gelegenheiten betont, dass man in diese Ampel gehen musste, weil die Union nicht regierungsfähig war. Die FDP hat sich damit eigentlich ziemlich klein gemacht, oder?
Vogel: Wir sind in der Koalition, weil wir einen Modernisierungsauftrag erhalten haben. CDU und CSU waren im Herbst 2021 wirklich nicht regierungsfähig und bemerkenswert finde ich, dass sie bis heute bei keinem Zukunftsthema einen spannenden neuen Vorschlag in die Debatte eingebracht haben – ein Vorsitzender aus der Vergangenheit ist noch kein Programm für die Zukunft. Wir als FDP wollen lieber immer einen Schritt weiterdenken und so auch den Wettbewerb um die Wählerinnen und Wähler aufnehmen, die zwischen uns und der Union schwanken.
Frage: Sie haben kürzlich das Schlagwort der „Dafür-Partei“ in die Debatte geworfen. Sie sind also mit dem Außenbild der FDP offenkundig nicht zufrieden?
Vogel: Ich habe in meinen Worten die Rolle der Freien Demokraten formuliert. Dazu gehört auch der Mut, den Modus der Politik der letzten Jahre in Deutschland ändern zu wollen. Viel zu lange wurde den großen Fragen ausgewichen. Wir haben doch jetzt die großartige Chance, es zu schaffen, mehr freien Handel mit der freien Welt anzustoßen, mit einem Einwanderungsgesetz samt Punktesystem besser zu werden im globalen Wettbewerb um Talente und Selbstständigen und Start-Ups endlich das Leben leichter zu machen. Und zugleich die Planungsbeschleunigung wie jetzt beim LNG-Terminal in Wilhelmshaven auf alle großen Infrastrukturprojekte auszuweiten, damit unser Land nicht länger in Langsamkeit erstickt. Unser Land hier nach vorne zu bringen, ist die Aufgabe der FDP. Denn ich bin dafür, dass wir bei Innovations- und Wirtschaftskraft wieder stark werden.
Frage: Sollte Deutschland mehr Waffen liefern, um die Ukraine gegen eine mutmaßliche Frühjahrsoffensive der russischen Truppen auszustatten?
Vogel: Kurze Antwort: ja. Längere Antwort: Um diesen furchtbaren Krieg zu beenden, gibt es in meinen Augen nur ein moralisch und sicherheitspolitisch sinnvolles Szenario – die Ukraine muss den Kampf um ihr Territorium gewinnen. An diesem Ziel muss sich die westliche Politik ausrichten. Wie zentral dabei unsere Waffenlieferungen sind, sieht man bereits. Unser Schützenpanzer „Marder“ wäre eine weitere enorme Unterstützung, gerade für eine Frühjahrsoffensive.
Frage: Was ist mit der Lieferung von Leopard-2-Kampfpanzern?
Vogel: Es ist absolut richtig, die Lieferung von Kampfpanzern im Bündnis abzustimmen und einheitlich zu agieren. Derzeit hören wir aus der Nato aber unterschiedliche Positionen, was die Lieferung solcher Panzer angeht.
Frage: Sollte der Kanzler dieses Tabu aktiv angehen?
Vogel: Deutschland muss in dieser Frage nicht abwarten, bis andere eine Strategie formulieren, sondern kann diesen Diskussionsprozess im Bündnis doch selbst anstoßen. Denn je stärker wir die Ukraine unterstützen, desto schneller endet der Krieg.
Frage: Verteidigungsministerin Christine Lambrecht hat sich gerade mit einem Privatvideo aus der Silvesternacht zum Gespött gemacht. Was haben Sie gedacht, als Sie diesen Auftritt gesehen haben?
Vogel: Das empfand ich als unerträglich unpassend. Aber wenn Sie darauf hinaus wollen: An Personalspekulationen beteilige ich mich nicht. Ich arbeite lieber daran mit, dass wir unser Land für die Zukunft gut aufstellen.