Stellv. Fraktionsvorsitzender

Zuständig für „Freiheit und Menschenrechte weltweit“: Auswärtiges, Angelegenheiten der Europäischen Union, Menschenrechte und humanitäre Hilfe, Verteidigung, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

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Alexander Graf Lambsdorff
Pressemitteilung

LAMBSDORFF-Interview: Eine sichere Grenze und humanitäre Werte sind kein Widerspruch

Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Alexander Graf Lambsdorff gab „RBB Inforadio“ das folgende Interview. Die Fragen stellte Alexander Schmidt-Hirschfelder:

Frage: In der EU-Migrationspolitik herrscht heute ein viel härterer Tonfall als im Herbst 2015. Richtig so?

Lambsdorff: Was wir dort sehen, ist ja ein zynisches Spiel von Präsident Erdogan, der signalisiert hat im Land, dass die Grenze nach Europa auf sei. Daraufhin haben sich 10 000, 15 000 Menschen nach Nordwesten aufgemacht. Und natürlich ist es so, dass es einen unkontrollierten Grenzübertritt auf das Gebiet der Europäischen Union nicht geben kann. Das ist übrigens eine Politik, die sehen wir als Freie Demokraten so, die sieht Emmanuel Macron so. Die wird in praktisch allen europäischen Ländern ganz genau so gesehen. Insofern: Ja, das ist richtig so.

Frage: Die EU rühmt sich humanitärer Werte und sie will eine sichere Außengrenze. Stoßen da zwei unvereinbare Prinzipien aufeinander?

Lambsdorff: Manchmal ist das so, wenn man die Bilder sieht, dass man glauben könnte, hier gibt es einen Widerspruch zwischen den Werten. Aber ich glaube, das ist nicht der Fall. Wenn wir jetzt einfach die Grenze aufmachen würden, wir die Grünen beispielsweise vorschlagen, dann würde in der Türkei ein massiver Druck entstehen auf die dreieinhalb Millionen geflüchteten Menschen dort, die von ihren türkischen Nachbarn gesagt kriegen: Ihr müsst nicht hier bleiben, bitte geht doch alle weg. Es wäre also humanitär eine ganz negative Entwicklung, weil wir plötzlich zu einem Vertreibungsdruck aus der Türkei auf die dorthin Geflüchteten kämen. Mit anderen Worten: Ich glaube, eine sichere Grenze und humanitäre Werte, wenn man es vom Ende her denkt, sind kein Widerspruch, sondern bedingen einander.

Frage: Also ist es der richtige Weg: Erst die Grenzen sichern, wenn nötig mit Gewalt, und dann darüber nachdenken, was mit den Menschen dort geschehen soll? So vertritt es ja der Bundesinnenminister.

Lambsdorff: Also, was wir differenzieren müssen, ist auf der einen Seite die Menschen, die sich auf der türkischen Seite der Grenze befinden, die also jetzt versuchen, illegal in die Europäische Union einzureisen, und auf der anderen Seite die Menschen, die schon in der EU sind. Und das muss man wirklich auseinanderhalten. Diejenigen, um die sich Griechenland kümmert, wo es mit den Verfahren zu langsam geht, das wissen wir alles, wo es auch Schwierigkeiten in den Lagern gibt, da kann man jetzt schon helfen. Und da sagen wir auch ganz klar als Freie Demokraten: Diejenigen, die zum Beispiel in medizinischen Notlagen sind, die müssen wir da rausholen, die müssen verteilt werden in der Europäischen Union und dann medizinisch versorgt werden. Das ist eine humanitär ganz klare Frage. Nur noch einmal: Die unkontrollierte Grenzöffnung würde humanitär die Lage nicht verbessern, sondern sie würde sie dramatisch verschlechtern.

Frage: Sie als Europapolitiker, Herr Graf Lambsdorff: Wie sinnvoll ist es eigentlich, haben Flüchtlingsabkommen mit der Türkei festzuhalten?

Lambsdorff: Ja, ich glaube, das ist ganz wichtig, dass man beim Blick auf die Landkarte sich eines klarmacht: Zwischen Syrien und der Europäischen Union liegt exakt ein Land und das ist die Türkei. Und das heißt: Wenn wir wollen, dass die Menschen, die dorthin geflüchtet sind, auch dort versorgt werden, und das wollen wir ja erklärtermaßen alle, dann kann man bei allem Ärger über Erdogan, und ich habe es ja am Anfang deutlich gesagt, dass ich mich auch ärgere, nicht ohne mit der Türkei zu sprechen zu einer Lösung kommen. Und deswegen glaube ich, ist es richtig, wenn die Türken sagen, wir müssen hier über das Abkommen noch einmal reden. Am Ende des Tages ist es allemal günstiger, wir helfen der Türkei dabei, die Flüchtlinge vor Ort im Land zu versorgen, auch nah an ihren Ursprungsländern wie es die Genfer Flüchtlingskonvention vorsieht...

Frage: Was heißt denn dann aber helfen, Herr Graf Lambsdorff? Das heißt also, wir nehmen noch mal mehr Geld in die Hand. Ist das der Weg?

Lambsdorff: Das kann beispielsweise der Fall sein. Es kann aber auch sein, dass wir mit dem THW in bestimmten technischen Sachen helfen. Das kann sein, dass wir medizinische Versorgung ermöglichen. Es kann sein, dass wir über Unicef die Schulen dort unterstützen. Das ist eine ganze Reihe von möglichen Maßnahmen, die man da machen kann, aber am Ende des Tages kostet das Geld. Nur es kostet erheblich weniger Geld als all diese Menschen hier zu uns nach Deutschland zu holen.

Frage: Und heute treffen sich Erdogan und Putin in Moskau und reden über Syrien. Warum nimmt eigentlich kein EU-, kein deutscher Vertreter an so einem Treffen teil?

Lambsdorff: Also, ich glaube, dass das falsch ist. Ich meine, es ist richtig, dass die beiden sich treffen, um den Kern des Problems, nämlich die Lage in Syrien, zu diskutieren. Wie kommt man eigentlich wieder zu Frieden in Syrien? Aber für eine längerfristige Lösung brauchen wir einen Gipfel aller Beteiligten im Grunde vergleichbar der Libyen-Konferenz, die hier in Berlin vor einiger Zeit stattgefunden hat. Und da muss dann die Europäische Union dabei sein, da müssen Emmanuel Macron und Angela Merkel dabei sein. Ich glaube, nur so wird man am Ende des Tages zu einer Situation kommen, in der dieser Migrationsdruck, in der die schreckliche humanitäre Lage, in der sich die Menschen insbesondere in Syrien befinden, lindern lässt. Und ich glaube, das muss unser gemeinsames Ziel sein.

Frage: Sehen Sie aus der Bundesregierung Signale, dass man sich um so etwas bemüht?

Lambsdorff: Na ja, ich sehe zurzeit eine Reisediplomatie des Innenministers, auch Frau Kramp-Karrenbauer und Herr Maas sind auf dem Weg nach Zagreb zu einer europäischen Konferenz. Ich hoffe, das bringt alles was. Am Ende des Tages aber wird es nicht gehen, ohne mit der Türkei und Russland direkt zu reden. Und deswegen schlagen wir als FDP eben vor einen Gipfel vergleichbar zur Libyenkonferenz, auf dem die Lage in Syrien, in Idlib, insbesondere im Nordwesten, diskutiert wird, aber auch der Umgang mit den Geflüchteten nach einer politischen Lösung für Syrien, die wir hoffentlich erreichen werden.

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