Stellv. Fraktionsvorsitzender

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Alexander Graf Lambsdorff
Pressemitteilung

LAMBSDORFF-Interview: Klarer Aufruf von Maas an die palästinensische Seite fehlt

Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Alexander Graf Lambsdorff gab dem „Deutschlandfunk“ das folgende Interview. Die Fragen stellte Dirk Müller:

Frage: Herr Lambsdorff, wird die deutsche Außenpolitik in Israel ernst genommen?

Lambsdorff: Die deutsche Außenpolitik wird in Israel dann ernst genommen, wenn sie glaubwürdig auftritt, wenn sie die Europäische Union im Rücken hat. Alleine spielt Deutschland genauso wie andere europäische Mitgliedsstaaten auch eine geringere Rolle als in der Vergangenheit. Das kann man am Koalitionsvertrag des Likud mit der Partei von Benny Gantz sehen, wo ja was diesen Friedensplan der Amerikaner angeht, auch jetzt diese Annexionsdiskussion, die es gerade gibt, überhaupt nur noch auf die USA Bezug genommen wird und Europa keine Erwähnung mehr findet. Also man sieht, da verschieben sich Dinge, und ich glaube, dass es deswegen umso wichtiger ist, dass Deutschland sich eben wirklich immer europäisch rückversichert.

Frage: Also, Deutschland, Sonderrolle, besondere Beziehungen zu Israel, das bleibt, aber kein besonderer Einfluss.

Lambsdorff: Die bilateralen Beziehungen Deutschlands und Israels, die sind das eine. Die sind parteiübergreifend im Deutschen Bundestag, auch in jeder Bundesregierung ganz klar etwas ganz Besonderes. Wir haben eine Verantwortung für Israel. Wir unterstützen diese einzige Demokratie dort im Nahen Osten bei ihrem Streben nach Sicherheit in anerkannten Grenzen. Das ist vollkommen klar. Das ist die bilaterale Position. Aber wenn es um die strategischen Fragen des Friedensprozesses beispielsweise geht, die größeren Fragen im Nahen und Mittleren Osten insgesamt, dann ist Deutschland nur als Teil der Europäischen Union von echtem Gewicht. Alleine bringen wir da zu wenig auf die Waage.

Frage: Das hat Heiko Maas ja angesprochen, auch klar und deutlich, wir haben mit unserem Korrespondenten vor gut einer halben Stunde darüber geredet. Also Zweistaatenlösung hat er klar gefordert, Abkehr von diesen Annexionsplänen dementsprechend. War das klar genug?

Lambsdorff: Ich denke, es war wichtig, hinzufahren. Ich fand es richtig, dass der Außenminister diese Reise gemacht hat als erste sozusagen nach der Corona-Zeit. Es war auch richtig, dort zu artikulieren, was die Europäische Union bei ihrem Treffen der Außenminister in der letzten Woche festgestellt hat, nämlich, dass eine einseitige Annexion von Teilen des Westjordanlands völkerrechtswidrig wäre und deswegen von der Europäischen Union abgelehnt würde. Was mir fehlt, ist allerdings auch der klare Aufruf von Heiko Maas an die palästinensische Seite, sich endlich aus dieser destruktiven Verweigerungshaltung heraus zu begeben und wieder in Gespräche einzutreten. Es ist ja eine Situation, dass wir seit vielen Jahren von der palästinensischen Seite nur Ablehnung, nur Verweigerung bekommen und es deswegen für jede israelische Regierung, ganz gleich, wer sie führt, praktisch unmöglich ist, zu einer verhandelten Lösung zu kommen.

Frage: Friedensgespräche hat er ja schon gefordert, hat er schon thematisiert. Aber wenn wir das jetzt richtig in Erinnerung haben oder ich richtig in Erinnerung habe, verweigern sich die Palästinenser vor allem auch nach dem Friedensplan von Donald Trump, der tatsächlich diese Annexionen auch vorsieht. Würden Sie anders handeln?

Lambsdorff: Also, wir haben die Reaktionen ja aus der arabischen Welt. Jordanien hat es klar abgelehnt, Ägypten hat es auf der anderen Seite als Start von Verhandlungen für eine Grundlage erklärt. Ich halte die ägyptische Haltung hier für richtiger. Die Palästinenser haben es sofort in Bausch und Bogen verdammt und im Grunde an alte schlechte Traditionen angeknüpft. Die drei Neins von Khartum nach dem Sechstagekrieg: kein Frieden, keine Verhandlungen, keine Anerkennung. Das sind so Dinge, so Positionen mit denen man einfach nicht vom Fleck kommt. Wenn man die Zweistaatenlösung will – und der Plan enthält eine Zwei-Staaten-Lösung, die Europäische Union, Deutschland unterstützen eine Zweistaatenlösung – dann muss man auch bereit sein, in Gespräche einzutreten. Und wenn einem der Plan von Donald Trump nicht passt, was ich übrigens gut verstehen kann aus palästinensischer Sicht, dann muss man aber zumindest die Bereitschaft haben, einfach mal in Diskussionen reinzugehen: Wie kommt man denn zu einer Zwei-Staaten-Lösung? Aber dazu ist Mahmud Abbas jedenfalls nach Lage der Dinge nicht bereit.

Frage: Der Friedensplan von Donald Trump ist für Sie konstruktiv verhandelbar genug, gut genug?

Lambsdorff: Er ist ein Element in einer ganzen Reihe von Vorschlägen. Wir haben ja die arabische Friedensinitiative. Die Palästinenser selber haben eine Skizze jetzt hektisch entworfen, auf deren Grundlage man reden kann. Ich finde, man muss die verschiedenen Optionen zusammenbinden. Jeder weiß, wie die Lösung aussehen soll, aber niemand ist in der Lage, den Weg zur Lösung zu finden. Und ich glaube, das hat auch ganz entscheidend mit der Verweigerungshaltung auf palästinensischer Seite zu tun.

Frage: Gibt es vielleicht viel Frustration nach vielen Jahrzehnten der vergeblichen Annäherung?

Lambsdorff: Ja, klar, Herr Müller, das ist vollkommen offensichtlich, dass hier Frustration auf beiden Seiten herrscht. Auch auf Seiten der amerikanischen Diplomatie herrscht Frustration. Es haben ja Präsidenten von Barack Obama über Bill Clinton über Bush Vater und Sohn haben immer wieder versucht, immer wieder versucht, hier die Lösung, also zwei Staaten, die in anerkannten Grenzen jeweils in Sicherheit leben, herbeizuführen. Und niemand hat es geschafft. Und deswegen ist dieser einseitige Plan, den Donald Trump jetzt vorgelegt hat, sozusagen eine Weiterdrehung, ein Drehen der Schraube, das deutlich zu weit geht. Ich würde den Plan als solchen auch nicht umgesetzt sehen wollen. Aber er ist jedenfalls eine Grundlage für Gespräche, auf die die Palästinenser nicht so hätten reagieren sollen, wie sie es getan haben.

Frage: Wir wollten noch über die deutsche Außenpolitik, das deutsche Gewicht reden. Sie haben immer wieder gesagt: Deutschland alleine, das ist nicht viel, auch gerade im internationalen Kontext. Deswegen immer wieder Europa. Nur Europa ist gemeinsam stark, haben Sie auch als Europapolitiker immer wieder gefordert, so haben Sie immer wieder argumentiert. Jetzt haben die europäischen Außenminister darüber geredet. Was können wir machen, wenn Israel bei diesen Annexionsplänen bleibt? Da war auch die Rede von möglichen Sanktionen. Das hat Heiko Maas abgelehnt, andere Außenminister haben das offenbar direkt oder indirekt gefordert. Sanktionen gegen Israel, wenn Israel gegen Völkerrecht verstößt, würden Sie da mitmachen?

Lambsdorff: Ich glaube, das wäre der falsche Weg. Der Deutsche Bundestag hat ja in großer Einigkeit gerade eine Resolution verabschiedet, in der man sich gegen Sanktionen gegen Israel ausgesprochen hat.

Frage: Weil es Israel ist?

Lambsdorff: Na ja, natürlich, weil es Israel ist aus deutscher Sicht, aber aus europäischer Sicht gibt es eine ganze Reihe von anderen Ländern, die hier auch an der Seite Deutschlands stehen. Sie haben völlig recht, Herr Müller, innerhalb des Rats der Europäischen Union gibt es da unterschiedliche Ansichten. Da wird Deutschland übrigens eine wichtige Rolle haben ab dem 1. Juli. Das ist der Tag, an dem die israelische Regierung angekündigt hat, unter Umständen erste Schritte zu gehen. Wobei das angesichts der Koalitionslage in Israel auch noch offen ist. Ich glaube, die Gespräche sind noch nicht abgeschlossen. Und Deutschland wird an diesem 1. Juli auch die Ratspräsidentschaft der Europäischen Union übernehmen und muss dann eine vermittelnde Haltung einnehmen. Und ich glaube, das ist eine Chance. Das ist eine Chance, den Versuch zu machen, in der Europäischen Union zu einer gemeinsamen Haltung zu kommen, die von Deutschland befördert wird. Das ist eine Herausforderung auch für die deutsche Diplomatie, der sie gerecht werden muss.

Frage: Aber viele, die das prinzipiell sehen, die sagen: Die Krim-Besetzung Russlands, da gibt es zum Beispiel Sanktionen gegen Russland. Wenn Israel gegen das Völkerrecht verstößt, das ist ja offenbar unstrittig, zumindest bei den Vereinten Nationen, also das Westjordanland in Teilen wie auch immer annektiert, dann ist das ein Bruch des Völkerrechts, warum dann keine Sanktionen?

Lambsdorff: Na ja, weil Sie in einer Region unterwegs sind, in der Sie Staaten haben, die das Völkerrecht genau so massiv brechen, und wo der Konflikt schon so lange läuft, dass es praktisch unmöglich ist, hier hinzugehen und der einzigen Demokratie im Nahen Osten Sanktionen anzudrohen. Es gibt viele andere Länder dort, bei denen die Lage, auch was die Menschenrechte angeht, was das humanitäre Völkerrecht angeht, erheblich schlechter ist.

Frage: Gegenüber dem Iran geht das, aber nicht gegenüber Israel.

Lambsdorff: Ich meine, der Iran verhält sich nun massiv völkerrechtswidrig und hat dementsprechend auch Sanktionen zu gewärtigen. Der Iran, das ist ein Unterschied zu Israel, hat eine aggressive, expansive, militärisch geprägte Außenpolitik, die auch vor dem Einsatz von Terrormaßnahmen ja überhaupt nicht zurückschreckt. Also eine völlig andere Herangehensweise, als das bei Israel der Fall ist. Noch mal: Man muss auch dosieren, es ist nicht schwarz-weiß. Man kann auch über den Status des Westjordanlands reden. Israel hat eine völlig andere völkerrechtliche Auffassung beispielsweise als andere Staaten, während es bei der Krim ja niemanden gibt, der bezweifelt, dass sie legal, rechtlich nach wie vor zur Ukraine gehört. Also insofern ist das, glaube ich, eine Diskussion, in die man, glaube ich, nicht einsteigen soll.

Frage: Vielleicht tun das aber die Russen. Aber ich möchte trotzdem noch mal fragen: Wenn eine demokratische Nation, das ist ja in Israel zweifelsfrei der Fall, wenn eine demokratische Nation massiv Völkerrecht bricht, ist das nicht ganz so schlimm?

Lambsdorff: Der Bruch des Völkerrechts ist etwas, das wir als Europäische Union, das wir als Deutschland kritisieren und auch verurteilen. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat das ja auch 2016 noch einmal getan. Aber das ist etwas, wo die Verurteilung auf diplomatischem Wege ein starkes Signal ist. Der Schritt zu Sanktionen ist etwas anderes. Und ich glaube, dass das gegenüber Israel auch nicht angezeigt wäre.

Frage: Welches Druckmittel hat Deutschland, hat Europa gegenüber Jerusalem?

Lambsdorff: Die Europäische Union ist für Israel ein ganz wichtiger Partner. Wir sind in vielen Programmen mit Israel verbunden. Israel nimmt an unserem Forschungsprogramm teil, Israel nimmt an unserem Jugendaustausch teil. Also da gibt es die Möglichkeit, auch abgestimmt zu dosieren, beispielsweise die Beteiligung an Horizon 2020 nach dem 1. Juli oder nach dem 1. Januar 2021 zu modifizieren. Da gibt es unterhalb der Ebene von Sanktionen schon Möglichkeiten, über Marktzugang zu reden. Sie erinnern sich an das Urteil des Europäischen Gerichtshofs, was die Kennzeichnung von Produkten aus Siedlungen im Westjordanland angeht. Das hat eine große Unruhe ausgelöst in Israel. Die Europäische Union ist ein wichtiger Markt, ein wichtiger Zielort auch für israelische Firmen. Da gibt es Möglichkeiten, etwas zu tun. Aber wie gesagt, alles unterhalb der Schwelle von Sanktionen.

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