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LAMBSDORFF-Interview: Besser als kein Deal
Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Alexander Graf Lambsdorff gab der „Rhein-Neckar-Zeitung“ (Montagsausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Andreas Herholz:
Frage: Graf Lambsdorff, Einigung in letzter Minute auf den Brexit-Deal. Ist der Handelspakt ein vertretbarer Kompromiss?
Lambsdorff: Ein Deal ist ganz sicher besser als kein Deal. Die Details müssen wir uns noch anschauen, aber natürlich ist aus liberaler Sicht erfreulich, dass es gelungen ist, ein Abkommen ohne Zölle und ohne Mengenbeschränkungen zu vereinbaren. Das bedeutet, dass unsere Lieblingsprodukte aus Großbritannien genauso wie unsere deutschen Produkte in Großbritannien nicht teurer werden müssen.
Frage: Brexit-Chef-Unterhändler Michel Barnier spricht von einem „Lose-lose-Ergebnis“. Gibt es nur Verlierer?
Lambsdorff: Der Brexit-Deal ist ein Grund zur Erleichterung, aber sicher kein Grund zum Jubel. Mit dem Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union geht vieles verloren, man muss nur mal an die Niederlassungsfreiheit denken oder die gemeinsamen europäischen Programme. Überall sind die Briten jetzt raus. Aber das wollten sie so, insofern müssen sie jetzt auch damit leben.
Frage: Wie groß ist die Gefahr, dass die Briten nur den Anfang machen und andere EU-Staaten dem Beispiel folgen werden?
Lambsdorff: Diese Befürchtung gab es ja schon 2016 nach dem Referendum und dann ist das exakte Gegenteil eingetreten: In allen anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union stieg die Zustimmung zur EU, alle Umfragen belegen das. Gleichzeitig ist es gelungen, die 27 Mitgliedsstaaten zusammenzuhalten, sodass wir Großbritannien in allen Phasen der Verhandlungen geschlossen gegenübertreten konnten. Bei allen sonstigen Schwierigkeiten der EU ist das eine bemerkenswerte Erfolgsgeschichte.
Frage: Drohen in Zukunft nicht trotz des Abkommens permanent Handelskonflikte zwischen den Briten und der EU?
Lambsdorff: Das wird es ganz sicher immer mal wieder geben, genau wie mit anderen Drittstaaten auch. In fünf Jahren müssen die Verhandlungen über Fischereirechte von neuem beginnen. Außerdem sind Finanzdienstleistungen beim Brexit-Deal außen vor geblieben, die für die City of London so wichtig sind. Das ist aber nichts Ungewöhnliches, mit permanenten Schwierigkeiten rechne ich auch nicht. Außerdem enthält das Abkommen so genannte Sicherungsmechanismen. Wenn die Britten versuchen, sich unfaire Vorteile zu verschaffen, kann die Europäische Union einseitig reagieren und den Zugang zum Binnenmarkt beschränken oder verbieten, damit unsere Unternehmen keine unfairen Wettbewerbsnachteile haben.
Frage: Die Briten verlassen das Erasmus-Programm für den studentischen Austausch in Europa. Mit welchen Folgen rechnen Sie?
Lambsdorff: Ich hoffe, dass britische Studentinnen und Studenten sich diese Brexit-Lüge ihres Premierministers sehr gut merken. Boris Johnson hat noch im Januar diesen Jahres öffentlich im Parlament erklärt, er wolle mit Großbritannien Teil von Erasmus bleiben. In den Verhandlungen dann hat er das Gegenteil verlangt, nämlich den Ausstieg. Für Zehntausende schottischer, walisischer, nordirischer und englischer Studierender bedeutet das, dass ihnen diese wunderbare Austauscherfahrung, die eine ganze Generation junge Akademiker in Europa geprägt hat, verwehrt bleibt.
Frage: Ist der Brexit-Abschluss in letzter Minute nicht auch ein Erfolg der deutschen Ratspräsidentschaft?
Lambsdorff: Die deutsche Ratspräsidentschaft hatte mit den Brexit-Verhandlungen nichts zu tun, denn die wurden von der EU-Kommission geführt. Chefunterhändler war Michel Barnier und die letzten Punkte, die auf politischer Ebene verhandelt werden mussten, hat die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen direkt mit dem britischen Premierminister vereinbart. Insofern ist es ein Erfolg der Kommission, nicht der rotierenden Präsidentschaft.