Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
KUHLE-Interview: Strukturen der Sicherheitsbehörden verbessern
Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Konstantin Kuhle gab dem „Deutschlandfunk“ das folgende Interview. Die Fragen stellte Thielko Grieß.
Frage: Wir haben aus Magdeburg Stimmen gehört, die zumindest teilweise auch die Ohnmacht, das Gefühl von Ohnmacht widerspiegeln. Fühlen und teilen Sie auch diese Ohnmacht?
Kuhle: Die Reportage, die wir gerade gehört haben, beschreibt ja, wie groß die Zäsur ist für die betroffene Stadt, für die betroffene Region ist. Und man muss jetzt aufpassen, dass die politischen Schlussfolgerungen und auch die Äußerungen aus dem politischen Raum von den Betroffenen, von der Stadt und von der Region nicht als bloße politische Rituale wahrgenommen werden. Und insofern kann ich das Gefühl der Ohnmacht und des Schreckens so kurz vor Weihnachten sehr gut nachvollziehen.
Frage: Was wäre denn angemessen, wenn nicht Ritual?
Kuhle: Es ist jetzt angemessen, sich zunächst einmal um die Opfer zu kümmern. Diese Tat, die wir in Magdeburg gesehen haben, erinnert ja in ganz dramatischer Weise an den Anschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz vor etwas mehr als acht Jahren. Die Motivlage am Breitscheidplatz war eine andere, aber der Modus, in dem diese Tat durchgeführt worden ist, dass ein Ziel wie ein Weihnachtsmarkt attackiert wird, ist vergleichbar. Und wir haben seit dem Anschlag vom Berliner Breitscheidplatz einiges darüber gelernt, wie Opfer betreut werden müssen. Dass sich jede Form von Bürokratie, von dem Weiterverweisen von Opfern von einer Stelle zur anderen verbietet. Deswegen gibt es jetzt einen Beauftragten für die Opfer terroristischer Taten im Inland, Pascal Kober, der zwar nicht mehr lange im Amt ist, aber zum jetzigen Zeitpunkt schon die Betreuung der Opfer in Magdeburg übernommen hat. Und diese unbürokratische Weise der Betreuung der Opfer, die sollte jetzt im Zentrum stehen. Neben einer Aufarbeitung der Hintergründe dieser Tat, die muss jetzt dies politische Priorität haben.
Frage: Wir haben in den vergangenen Tagen tatsächlich ja auch Angehörige von Todesopfern vom Breitscheidplatz immer wieder gehört in Medien oder auch Überlebende von damals, die sagen: ‚Das sind schöne Worte, dass man uns hat helfen wollen und weiterhelfen will. Aber wir mussten so sehr kämpfen und müssen es immer noch, um die Anerkennung zu bekommen.‘ Was sagen Sie uns, Herr Kuhle, dass das jetzt mit den Menschen, die in Magdeburg Hilfe brauchen, nicht wieder so sein wird?
Kuhle: Diese Äußerungen der Opfer und der Angehörigen vom Breitscheidplatz zeigt uns vor allen Dingen, dass zu einem Zeitpunkt, wo viele politisch Verantwortliche nicht mehr im Amt sind, wo es andere Minister gibt, andere Verantwortliche bei der Polizei, die Opfer und ihre Angehörigen, immer noch da sind. Deren Angehörige trauern noch immer. Und darüber muss man sich im Klaren sein, dass diese Wunden auch viele Jahre nach der Tat noch da sind. Und dass wir in unserem Staat immer noch nicht gut genug darin sind, solche Taten zu verhindern und uns eben auch angemessen um die Opfer zu kümmern. Gleichwohl hat sich seit der Tat am Berliner Breitscheidplatz bei der Betreuung der Opfer einiges getan. Aber es ist nicht an mir, das zu bewerten, sondern am Ende muss die angemessene Betreuung der Opfer im Zentrum stehen.
Frage: Ich möchte Sie auch nach dem Täter fragen, nach dem mutmaßlichen Täter. Der war offenbar vielen Behörden bekannt, ganz unterschiedlichen Behörden in unterschiedlichen Zusammenhängen. Aber der Name wurde immer wieder offenbar notiert. Warum hat niemand reagiert?
Kuhle: Wir haben ja einen sehr komplexen Fall vorliegen mit einer Motivlage, die es in dieser Form mit einem solchen Anschlag noch nicht gegeben hat. Aus meiner Sicht muss nun genau aufgearbeitet werden, an welcher Stelle es bereits Behördenkontakte dieses Mannes gegeben hat. Das erste, was wir gehört haben am Abend des Anschlags war ja, dass der Täter nicht als gewaltbereiter Islamist bei den Behörden registriert gewesen ist. Und genau das zeigt das Problem, dass wir eine sehr starke Versäulung in unseren Sicherheitsbehörden haben nach verschiedenen Ideologien. Und wenn jemand nicht in dieses Ideologie-Raster passt als gewaltbereiter Täter, dann fällt er durch das Raster – obwohl er selber wahrscheinlich um die 40 Strafanzeigen gestellt hat, auch selber straffällig geworden ist, wirre Kommentare in den sozialen Medien und gegenüber den Behörden abgegeben hat. Und woran es krankt, ist ein System und ein Standard, wie wir mit solchen Menschen umgehen, die sich über mehrere Jahre hinweg in wirrer und abseitiger Weise auch mit Gewaltdrohungen in der Öffentlichkeit und gegenüber Behörden äußern. Ich will aber auch sagen: Die Zahl der Menschen, die so etwas tun, ist durchaus groß. Und deswegen gibt es in Behörden und auch bei den Sicherheitskräften mitunter eine Ohnmacht, wie mit solchen Tätern und wie mit solchen Tatverdächtigen, wie mit solchen Menschen umzugehen ist.
Frage: Also ich höre daraus, dass sie denn ein Problem darin sehen, dass das Raster nicht fein genug oder vielleicht auch flexibel genug modelliert ist.
Kuhle: Ganz genau. Das Raster passt auf Menschen, die bestimmte islamistische, rechtsextreme oder linksextreme Motive benutzen. Die kann man dann ins Verhältnis setzen zu anderen Meldungen, zu anderen Hinweisen, die man möglicherweise bekommt. Aber bei Personen, wo sich Verfolgungswahn, vielleicht auch psychische Erkrankungen oder Probleme mischen mit Verschwörungsideologien und einer Form von gefestigter Weltsicht, die man aber nicht einordnen kann, wissen die Behörden oftmals nicht weiter. Und wenn wir dann so viele unterschiedliche Zuständigkeiten für die Sicherheit in Deutschland haben, dann fallen solche Täter durchs Netz. Und darüber muss jetzt gesprochen werden, wie man solche Taten in Zukunft verhindern kann.
Frage: Für die Tage nach Weihnachten, aber noch vor dem Jahreswechsel, Herr Kuhle, sind vorgesehen Sondersitzungen des Innenausschusses des Deutschen Bundestages und wenn ich das richtig sehe, auch des Parlamentarischen Kontrollgremiums angesetzt. Mit welcher Frage gehen Sie in diese Sitzung?
Kuhle: Wir werden uns als Parlamentarier sehr genau anschauen, welche Behördenkontakte es gegeben hat. Warum sind verschiedene Hinweise, die man bekommen hat, nicht weiterverfolgt worden? Hier muss schonungslos aufgearbeitet werden, ob Fehler gemacht worden sind, wie man auch die Strukturen der Sicherheitsbehörden verbessern kann. Des Weiteren muss darüber gesprochen werden, wie der physische Schutz von Weihnachtsmärkten und von anderen sogenannten weichen Zielen verbessert werden kann. Mir scheint, dass wir immer noch keinen bundesweiten einheitlichen Standard zum Schutz von Weihnachtsmärkten haben. Darüber muss gesprochen werden. Ich würde gerne wissen, welche Hinweise es aus dem Ausland gab zu dem Täter. Es ist nicht per se ein Problem, dass Hinweise aus dem Ausland kommen. Wenn ein solcher Hinweis aus Saudi-Arabien kommt, muss man aber genau hinschauen, weil Saudi Arabien natürlich ein Interesse daran hat, Regimegegner hier bei uns zu verfolgen. Aber kann man solche Hinweise dann ganz abtun? Vor allen Dingen, wenn sich derjenige dann in den sozialen Medien und anderswo so äußert. Über all diese Fragen wird in den zuständigen Gremien zu sprechen sein.
Frage: Und wird auch über Migrationspolitik gesprochen?
Kuhle: Es muss auch über die Frage gesprochen werden, welcher Zusammenhang zwischen Migration nach Deutschland und der inneren Sicherheit besteht. Wir haben ja nicht zuletzt bei dem Anschlag in Solingen gesehen, dass hier ein unmittelbarer Zusammenhang besteht. Ein Zusammenhang muss aber anhand des konkreten Falls dargelegt werden. Und wenn wir jemanden haben, der über ein Arbeitsvisum, der über eine Ausbildung nach Deutschland gekommen ist und sich dann hier radikalisiert hat, dann ist die Frage nicht ganz so einfach zu beantworten wie beim Täter von Solingen.
Frage: Konstantin Kuhle, Innenpolitiker der FDP. Danke für das Gespräch.
Kuhle: Sehr gerne! Und trotz allem gute Feiertage.