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Christian Dürr
Pressemitteilung

DÜRR-Interview: Wir werden lange Zeit maßhalten müssen

Der FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Dürr gab dem „Stern“ das folgende Interview. Die Fragen stellten Benedikt Becker und Jan Rosenkranz. 

Frage: Herr Dürr, was haben Sie eigentlich Weihnachten vor?

Dürr: Zu Hause mit der Familie feiern.

Frage: Oder in einem Konferenzraum sitzen und mit Sozialdemokraten und Grünen über einen Haushalt verhandeln?

Dürr: Wir werden in den kommenden Wochen und wahrscheinlich sogar Monaten viel über die Zukunft der Haushaltspolitik in Deutschland sprechen. Aber das muss ja nicht an Heiligabend sein.

Frage: Werden Sie sich beim Haushalt für 2024 denn dieses Jahr noch einig?

Dürr: Wir müssen das Urteil eins zu eins umsetzen. Deshalb spekuliere ich nicht über Zeitpläne. Das tun wir jetzt kurzfristig für den Haushalt 2023. Und das werden wir auch für 2024 tun. Das Verfassungsgericht hat die Schuldenbremse gestärkt. Da darf die politische Antwort jetzt nicht lauten: Gut, dann weichen wir sie auf.

Frage: SPD und Grüne haben noch eine andere Lösung vorgeschlagen, um für nächstes Jahr die Haushaltslücke zu schließen.

Dürr: Sie meinen, dass man noch einmal die Notlage erklären sollte, um mehr Schulden aufnehmen zu können?

Frage: Genau. Für Sie keine Option?

Dürr: Das Urteil hat doch zwei Dimensionen. Das eine ist das Prinzip der Jährlichkeit. Wenn ich Kredite aufnehme, muss ich sie im selben Jahr nutzen und verbuchen. Das andere Prinzip ist der Sachzusammenhang. Man kann nicht einfach so eine Notlage beschließen, sondern muss sie sachlich gut mit einer Ausnahmesituation begründen, die neu aufgetreten ist. Die sehe ich derzeit nicht.

Frage: Die Wirtschaft schrumpft wahrscheinlich in diesem Jahr um 0,4 Prozent. Manche würden das Notlage bezeichnen.

Dürr: Keine Frage, die wirtschaftliche Situation ist herausfordernd. Aber sie ist keine neu aufgetretene Ausnahmesituation. Die war sicherlich während der Corona-Pandemie gegeben. Auch mit der Energiekrise ließ sich eine Ausnahme gut begründen. Deswegen haben wir schließlich die Preisbremsen eingeführt.

Frage: Die Sie jetzt auslaufen lassen.

Dürr: Ja, weil sich der Energiemarkt glücklicherweise stabilisiert hat. Das ist übrigens nicht vom Himmel gefallen. Das ist auch auf politisches Handeln dieser Koalition zurückzuführen. Wir haben die LNG-Terminals gebaut und damit das Angebot ausgeweitet. Deutschland steht auch sonst viel besser da als vor zwei Jahren.

Frage: Woran denken Sie da konkret?

Dürr: Diese Schuldenquote geht runter, seitdem Christian Lindner Finanzminister ist. Da, wo wir schon Haushaltsdisziplin bewiesen haben, zahlt sich es bereits aus.

Frage: Das könnte man aber auch als Argument nehmen, dass wir eigentlich kein Problem mit hoher Verschuldung haben.

Dürr: Aber doch nur, weil wir eine andere Politik machen und Maß halten. Ich selbst war in der letzten Wahlperiode im Haushaltsausschuss und da sind ja die Milliardenbeträge nachts nur so über den Tisch gewandert. Da war auf einmal Geld für alles Mögliche da, was mit Corona nichts zu tun hatte.

Frage: Die Grünen betonen nach dem Urteil, dass der Staat weiterhin massiv in den Umbau der Wirtschaft investieren müsse.

Dürr: Der Staat ist dafür da, gute Rahmenbedingungen zu schaffen. Die Investitionen müssen von der Privatwirtschaft kommen. Auch in Deutschland werden neun von zehn Euro von privaten Unternehmen investiert und nicht vom Staat. Und das ist auch gut so.

Frage: Aber was wäre denn so falsch dabei, die Schuldenbremse zu reformieren und künftig bei Krediten eng definiert zu unterscheiden: Fließt das in den Konsum oder sind das Investitionen?

Dürr: Das hatten wir doch alles schon einmal. Das war die „Goldene Regel“ – der Staat darf sich so hoch verschulden, wie er Investitionen tätigt. Das klingt plausibel, aber dann wurde einfach alles zur Investition erklärt. Das hat zu einer exorbitanten Staatsverschuldung geführt. Aber wir können etwas anderes tun, um Investitionen anzuregen. Wir haben gerade steuerliche Erleichterungen beschlossen für diejenigen, die Zukunftsinvestitionen tätigen.

Frage: Klingt gut, bedeutet aber erst einmal weniger Einnahmen.

Dürr: Ja, aber dieses Gesetz wird für mehr private Investitionen in Deutschland sorgen. Umso absurder ist es, dass es die Union gerade im Bundesrat aufhält. Einige in der CDU wollen lieber die Schuldenbremse schleifen. Jetzt verhindern sie steuerliche Erleichterungen. Offen gestanden, ich habe das Gefühl, dass die Union nach dem Urteil völlig planlos ist.

Frage: Wie sehen denn Ihre Pläne aus? Wenn Sie die Schuldenbremse nicht reformieren wollen und die Notlage nicht ausrufen, bleibt nicht viel übrig, um mehr Geld einzunehmen. Also doch Steuererhöhungen?

Dürr: In einem Hochsteuerland ist es nie klug, über Steuererhöhungen zu sprechen.

Frage: Also definitiv keine Steuererhöhungen?

Dürr: Ich bin absolut dagegen. Das wäre auch psychologisch grundfalsch in einer Phase, wo es kaum Wachstum gibt. Wir müssen über die Ausgaben sprechen. Wir werden weit über diese Wahlperiode hinaus maßhalten müssen. Aber sehen Sie mir nach, dass ich jetzt nicht auf den Jahrmarkt der Möglichkeiten gehe und darüber rede, wo man überall sparen könnte.

Frage: Aus Ihrer Partei hört man, dass natürlich die Sozialausgaben besonders in den Blick genommen werden müssen.

Dürr: Der Arbeitsminister prüft ja gerade, wie es mit Arbeitsanreizen aussieht in Deutschland, also wie attraktiv es ist, arbeiten zu gehen. Diese Analyse sollten wir abwarten, um zu schauen, wo wir nachsteuern sollten.

Frage: Aber glauben Sie, dass man da den zweistelligen Milliardenbetrag findet, den man einsparen muss?

Dürr: Es wird nicht ein Instrument am Ende sein, sondern mehrere. Klar ist, dass es keine einfache Lösung geben wird, nach dem Motto: Wir einigen uns auf eine Sache und dann klappt das schon. Das ist ja der Grund, warum so viele Ministerpräsidenten aktuell nervös sind.

Frage: Parteifreunde von Ihnen haben eine ganze Reihe von Ideen, wo man sparen könnte: Bürgergeld, Rente mit 63, kommunale Wärmeplanung.

Dürr: Wir müssen uns mit SPD und Grünen einigen, welche Prioritäten wir setzen. Das kennt doch jeder von zu Hause. Wenn das Geld knapper ist, kann man auch nicht einfach zur Bank gehen. Man muss darüber sprechen, wie man seine Ausgaben restrukturiert. Die Koalition tut gut daran, das intern zu klären.

Frage: Wie zuversichtlich sind Sie denn, dass Sie Sozialdemokraten und Grüne davon überzeugen können, auch bei Sozialausgaben den Rotstift anzusetzen?

Dürr: Wir haben gemeinsam schon viele schwierige Entscheidungen getroffen. Wir haben in mehreren Krisen gezeigt, dass wir durch konzentriertes Arbeiten das Ruder herumreißen können.

Frage: Und dass jetzt sowohl die SPD als auch die Grünen harte Forderungen aufstellen, macht Sie nicht nervös?

Dürr: Nein, die FDP hat immer gut daran getan, gerade bei solchen Fragen zu ihren Grundsätzen zu stehen. Für diese klare Haltung gibt es nicht immer sofort eine politische Mehrheit. Aber die Breite der Bevölkerung sieht das wie wir.

Frage: Ok, aber woher nehmen Sie die Zuversicht, dass die Wähler die Ampel dafür belohnen, dass sie jetzt ordentlich spart und kürzt?  

Dürr: Ich glaube, die Bürgerinnen und Bürger sind viel klüger. Die sagen nicht, der Staat soll möglichst viel Geld ausgeben oder die Politiker, die viel Geld versprechen, die wähle ich dann. Die wissen doch, dass auch der Staat Maß halten und auch mal sparen muss.

Frage: In Umfrage erklären diese Menschen auch, wie wichtig ihnen der Klimaschutz ist, aber wenn Robert Habeck an ihre Heizungen will, nimmt das schnell ab.

Dürr: Guter Vergleich. Der erste Entwurf des Heizungsgesetzes hätte dem Klima nichts gebracht, außer jeder Menge Ärger. Die Menschen gehen viel rationaler an die Dinge heran, die fragen sich: Was bringt das?

Frage: Sie befürchten also nicht, dass ein Sparkurs am Ende nur die politischen Ränder stärkt? 

Dürr: Die Menschen glauben nicht daran, dass sich alle Probleme dadurch lösen, dass der Staat einfach nur mehr Geld ausgibt. Man muss auch politisch umsteuern können. In der Energiepolitik haben wir bewiesen, dass wir das können. Und wir haben ein Planungsbeschleunigungsgesetz auf den Weg gebracht, über das jahrzehntelang diskutiert worden ist.

Frage: Nun wollen SPD und Grüne vermutlich viel über den Abbau der sogenannten klimaschädlichen Subventionen sprechen, steht ja auch im Koalitionsvertrag. Was kommt Ihnen da in den Sinn?

Dürr: Nach der Liste des Umweltbundesamtes gehört auch der soziale Wohnungsbau dazu, weil dabei viel Beton verbaut wird. Ich habe aber den Vorschlag noch von niemandem gehört, man solle den sozialen Wohnungsbau einstellen. Ich bin sehr dafür, über vieles zu reden. Aber ich glaube, das Beispiel allein zeigt, dass es nicht so einfach ist. 

Frage: Das Dienstwagenprivileg?

Dürr: Naja, wir reden hier steuerrechtlich von einer Pauschale. Theoretisch kann man auch jede dienstliche oder private Fahrt einzeln in Fahrtenbücher erfassen, aber das verursacht viel neue Bürokratie. Und ich bezweifle, dass der Staat dadurch einen Cent mehr einnehmen würde.

Frage: Hält die Ampel eigentlich all diese Widersprüche aus, die jetzt wieder so offen auf dem Tisch liegen?

Dürr: Diese Koalition hält mehr aus, als viele meinen und manche hoffen. Anders als die Vorgängerregierung bringt sie die Kraft auf, in der Migrationspolitik umzusteuern. Mehr Realismus, mehr Einwanderung in Arbeitsmarkt und weniger Migration in die sozialen Sicherungssysteme. Ich glaube, das zeigt, dass es da die Kraft gibt, auch Dogmen über Bord zu werfen.

Frage: Die Ampel ist besser als ihr Ruf?

Dürr: Wir machen es uns manchmal kommunikativ sehr schwer, aber ich stelle nüchtern fest, wie die Situation ist: Die Schuldenquote geht runter. Wir machen eine bessere Energiepolitik, und wir ordnen in der Migrationspolitik. Das hat die Union in Regierungsverantwortung nicht hinbekommen. 

Frage: Apropos Kommunikation. Was erwarten Sie eigentlich vom Bundeskanzler?

Dürr: Ich gebe da keine Haltungsnoten. Ich will, dass wir alle gemeinsam dafür sorgen, dass Deutschland in die richtige Richtung steuert. Wäre die FDP jetzt nicht in Verantwortung, wäre längst die Grundgesetzänderung zum Schleifen der Schuldenbremse in der ersten Lesung im Deutschen Bundestag. Allein das ist ein Beleg dafür, dass es notwendig ist, dass wir mitbestimmen.

Frage: Die FDP wirft anderen gern Realitätsverweigerung vor. Kann es sein, dass Sie  sich gerade hinter Grundsätzen verschanzen?

Dürr: Also wenn Sie mit Grundsätzen meinen, dass ich es für falsch halte, dass der Staat mehr Subventionen auskehren sollte und damit höhere Steuern und mehr Schulden in Kauf nehmen sollte, ja dann ist das ein Grundsatz, den ich nicht aufgeben will, weil ich als FDP-Politiker und auch als Ökonom da anderer Auffassung bin.

Frage: Die Grünen mussten auch Grundsätze über Bord werfen – sie waren immer gegen LNG-Terminals, gegen Waffenlieferungen und gegen Verschärfungen im Asylrecht. Was ist das FDP-Pendent?

Dürr: Ich finde den Ansatz etwas merkwürdig, jeder müsste jetzt irgendwas machen, woran er vorher nicht geglaubt hat. Wir sollten alle gemeinsam das Richtige tun.

Frage: Und das Richtige ist dann immer das, was im FDP-Programm steht?

Dürr: Vielleicht nicht immer, aber oft. Das könnte damit zusammenhängen, dass die FDP vorher schon einen sehr rationalen Blick auf die Welt geblickt hatte.

Frage: Unsere Frage zielte auf etwas andere ab: Wo wären Sie denn bereit, den Ampelpartnern entgegenzukommen? 

Dürr: Sie können unseren Pragmatismus daran erkennen, dass wir in einer Krisensituation staatliche Preisbremsen eingeführt haben. Das stand nun wirklich nicht im Wahlprogramm der FDP. Wir sind alles andere als dogmatisch, aber deswegen kann ich nicht einfach das Falsche tun. Und bei der Schuldenbremse kann ich nicht erkennen, dass es richtig wäre, sie aufzuweichen.

Frage: Bei all den großen Herausforderungen, die vor Ihnen liegen: Ist das Vertrauen unter den Ampelpartnern noch groß genug oder hält nur noch die Sorge vor den Neuwahlen die Koalition zusammen?

Dürr: Das Vertrauen ist da. Wir haben mindestens zwei große geopolitische Krisen gemeinsam gemeistert und eine wirtschaftliche Herausforderung, die wir auch meistern. Da gibt es ein Vertrauen, auch wenn man unterschiedlicher Meinung ist.

Frage: Wenn Sie zurückschauen auf das vergangene Jahr: Es begann mit dem Heizungsstreit, es ging weiter mit dem Migrationsstreit, und am Schluss wartet ein veritables Haushaltsloch. Was lief richtig super 2023?

Dürr: Alle drei Beispiele sind in Wahrheit unerledigte Aufgaben der Vorgängerregierung. Darum wundere ich mich über manche Häme der Union. Ich weiß, dass das für die Öffentlichkeit oftmals nicht einfach war, manche Schritte nachzuvollziehen. Für mich zählt am Ende das Ergebnis. Dafür bin ich auch bereit, den schweren Weg zu gehen.

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