DÜRR-Interview: In der Migrationspolitik darf es keine Trippelschritte mehr geben
Der FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Dürr gab dem „RedaktionsNetzwerk Deutschland“ (Samstagsausgabe) und „rnd.de“ das folgende Interview. Die Fragen stellte Daniela Vates:
Frage: Herr Dürr, was folgt für Sie aus dem tödlichen Messerangriff in Aschaffenburg?
Dürr: Zunächst mal: Es ist eine unvorstellbare Tat, die mich fassungslos und wütend macht. Meine Gedanken sind bei den Familien der Opfer. Die Politik muss darauf reagieren. Keine Beschwichtigungen mehr. Ideologische Blockaden müssen aufgegeben werden.
Frage: Was meinen Sie?
Dürr: Die Zuständigkeit für Abschiebungen muss besser gebündelt werden. Wir haben ein wiederkehrendes Problem: Abschiebungen werden nicht vollzogen, Ausreisepflichtige, die die Öffentlichkeit gefährden, können sich frei bewegen. Deshalb brauchen wir einen neuen einheitlichen Mechanismus, bei dem Gefährder festgesetzt werden, bis sie ausreisen – etwa durch eine erweiterte Abschiebungshaft oder Sicherungsverwahrung. Es kann nicht sein, dass ein Wiederholungstäter, der gar nicht im Land sein sollte, frei in der Gegend herumläuft.
Frage: Und außerdem?
Dürr: Es sollte einen automatischen Mechanismus geben, wonach jedes Land zum sicheren Herkunftsstaat wird, aus dem maximal 5 Prozent der Asylbewerber anerkannt werden. Diese Personen kommen dann von vornherein nicht mehr ins Land. Und: Die Abschiebung in Drittstaaten muss erleichtert werden, zudem müssen wir mit Afghanistan und Syrien Rückführungen vereinbaren. Es darf für Länder, die sich weigern, Straftäter zurückzunehmen, keine deutsche Entwicklungshilfe mehr geben.
Frage: Die Union will kommende Woche im Bundestag Verschärfungen in der Migrationspolitik zur Abstimmung stellen. Zieht die FDP da mit? Und wäre es ein Problem, wenn die Mehrheit durch die AfD zustande kommt?
Dürr: Die FDP fordert seit Jahren eine Abkehr von der Merkel-Politik, damit der Staat wieder handlungsfähig wird. Wir stehen für einen Kurswechsel. Wenn die Union eine entschlossene Migrationspolitik im Bundestag vorantreibt, werden wir uns das genau ansehen und unterstützen, wenn es in die richtige Richtung geht. Aber wir werden auch eigene Vorschläge machen. Ich sehe SPD und Grüne in der Verantwortung zuzustimmen, wenn es um die Durchsetzungsfähigkeit unseres Rechtsstaates geht. Schließlich ist eine andere Migrationspolitik jahrelang an Rot-Grün gescheitert. Nach der Wahl braucht es dafür klare und belastbare Mehrheiten. Offensichtlich gibt es die nur mit Schwarz-Gelb.
Frage: CDU-Chef Friedrich Merz hat angekündigt, im Falle eines Wahlsiegs alle deutschen Grenzen dauerhaft zu kontrollieren und illegal Einreisende zurückzuweisen – auch wenn sie einen Schutzgrund haben. Würde die FDP das mitmachen?
Dürr: Ja, das würden wir. Wir hatten bereits in der Regierung Scholz versucht, das umzusetzen, aber SPD und Grüne sind da nicht einsichtig. Auch daran sieht man, dass es richtig war, die Regierung zu verlassen. Unser Staat stößt sicherheitspolitisch an seine Grenzen, das hat das Attentat in Aschaffenburg gezeigt. Wenn die Politik keine wirksamen Antworten liefert, verlieren die Menschen das Vertrauen. Friedrich Merz hat angekündigt, dass er zu einer neuen Migrationspolitik, wie die FDP sie vertritt, bereit ist. Mit einer schwarz-gelben Bundesregierung wäre ein Kurswechsel sofort möglich.
Frage: Die Ampelkoalition hat die Migrationspolitik deutlich verschärft. Die Zahl der Abschiebungen geht hoch, die der Asylanträge sinkt.
Dürr: Es gibt Fortschritte, aber nicht genügend. Ein einzelner Abschiebeflug nach Afghanistan wie letzten Sommer reicht nicht. Wir müssen weg von der Symbolpolitik, hin zu einem echten Durchgreifen des Rechtsstaats. Wenn sich das Gefühl breitmacht, dass aufgrund der Migrationspolitik die Sicherheit nicht mehr gewährleistet ist, ist die liberale Demokratie in Gefahr. Insbesondere die Grünen, die so viel blockiert haben, haben das offenbar noch nicht verstanden.
Frage: Die Grünen haben sich relativ weit bewegt.
Dürr: Sie haben sich von einer absurden Position aus minimal bewegt. Wir sehen doch, dass das nicht reicht. Es geht auch nicht um grüne Befindlichkeiten, sondern um echte Probleme in unserem Land. Die Grünen stecken mit ihrer Migrationspolitik in einer alten Zeit fest. Das nützt keinem, auch nicht der Weltoffenheit des Landes. Im Gegenteil. Denn eine schlechte Migrationspolitik stärkt Extremisten. Die AfD betrachtet sie als Geschenk.
Frage: Die FDP hat sich zum Ziel gesetzt, bei der Wahl potenzielle AfD-Wähler anzusprechen. Wie geht das, ohne sich mit der AfD gleichzumachen?
Dürr: Ich bin nicht bereit zu akzeptieren, dass diejenigen den Ton angeben, die kein Interesse an der Problemlösung haben. Die Migrationspolitik muss ein Kernfeld der Demokraten sein. Für uns ist sie das. Die Menschen dürfen nicht den Eindruck haben, dass die liberale Demokratie nicht wehrhaft ist. Das heißt: echte Konsequenzen, Klarheit in der Sache, keine Trippelschritte mehr. Das Motto muss sein: Es muss leichter sein, nach Deutschland zu kommen, um zu arbeiten, als nach Deutschland zu kommen, um nicht zu arbeiten.
Frage: Bei Ihrem ausgemachten Lieblingskoalitionspartner CDU/CSU würden sie auf das Problem stoßen, dass der Ihre Reform des Staatsangehörigkeitsrechts wieder rückgängig machen will – mit dem Argument, der deutsche Pass werde damit verschleudert.
Dürr: Das ist nicht nachvollziehbar. Anspruch auf die deutsche Staatsbürgerschaft hat jetzt nur noch, wer seinen Lebensunterhalt selbst bestreitet. Und anders als zuvor kann nicht Deutscher werden, wer antisemitisch auffällig geworden ist. Das wieder abzuschaffen, wäre ein völlig falsches Signal. Wir sollten nicht vermitteln, dass Migration in die sozialen Sicherungssysteme zum deutschen Pass führen kann.
Frage: Und davon können Sie Merz und CSU-Chef Markus Söder noch überzeugen?
Dürr: Ich bin mir sicher, dass Union und FDP sich darauf einigen können, dass Leistung zählt. Und dass das auch bei der Staatsangehörigkeit gilt. Und die Probleme liegen wirklich an anderer Stelle.
Frage: In seiner letzten Sitzungswoche vor der Wahl debattiert der Bundestag kommende Woche über einen fraktionsübergreifenden Antrag von 124 Abgeordneten auf ein AfD-Verbotsverfahren. Welche Chancen räumen Sie dem ein?
Dürr: Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Antrag eine Mehrheit findet. Ein Verbot ist der falsche Zugang. Denn die Ideologie wäre damit ja nicht weg. Und das gescheiterte NPD-Verbotsverfahren sollte eine Mahnung sein. Wenn das Bundesverfassungsgericht ein AfD-Verbot kassieren würde, wäre das quasi ein Persilschein für die AfD. Ich rate dringend dazu, dass wir die AfD politisch bekämpfen – und zwar durch Handeln, nicht durch Lippenbekenntnisse.
Frage: Nach dieser Logik könnte man ja nie ein Verbotsverfahren anstrengen. Und das NPD-Verbot ist unter anderem an deren geringer Größe gescheitert.
Dürr: Dennoch: Der Bundestag ist die falsche Adresse für den Anstoß eines Verbotsverfahrens. Die Abgeordneten sollten in den Wettstreit gehen mit dieser Partei, ganz konkret. Eine ordentliche Wirtschaftspolitik, eine ideologiefreie Energiepolitik, eine echte moderne Migrationspolitik sind die Antworten auf diese Partei und kein Verbotsverfahren. Eine Wirtschaftswende bekommt man mit der AfD sicher nicht. Die steht für steigende Sozialbeiträge, Enteignung und EU-Austritt – das wäre Gift für die Wirtschaft und ein Armutsprogramm für die Menschen in Deutschland.
Frage: Es gibt ein fast fertiges Gesetz der Ampelkoalition zur CO₂-Speicherung. Die Union hat signalisiert, den Bedenken der Grünen entgegenzukommen und bestimmte Branchen auszunehmen. Könnte man also noch hinbekommen kommende Woche, oder?
Dürr: Ohne CCS werden wir die Strom- und Energiekosten nicht senken können. Aber jetzt noch schnell ein halbes CCS-Gesetz zu verabschieden, weil die Grünen wieder Bedenken haben, bringt nicht viel. Lieber sollte die nächste Bundesregierung einen richtigen Aufschlag machen.
Frage: Wird kommende Woche noch eine Einigung über die Aufstockung der Ukraine-Hilfe gelingen? Der Kanzler plädiert für eine Finanzierung aus Krediten, Union, FDP und Grüne wollen das Geld aus dem Haushalt nehmen.
Dürr: Jetzt wie damals geht es dem Kanzler nur darum, die Schuldenbremse außer Kraft zu setzen und damit die Verfassung zu brechen. Olaf Scholz verhält sich wie ein auf den Boden stampfendes, um sich schlagendes Kind. Er hat sich komplett verrannt.
Frage: Scholz argumentiert, wenn das Geld aus dem Haushalt komme, müsse dafür an anderer Stelle gekürzt werden, etwa bei der Rente.
Dürr: Das ist nachweislich Quatsch. Die Argumentation von Scholz ist mehrfach zusammengebrochen. Es müsste nicht gekürzt werden. Die 3 Milliarden Euro lassen sich in einem 500-Milliarden-Euro-Haushalt darstellen, es gibt ja auch noch nicht verwendete Mittel aus dem letzten Jahr. Und Scholz macht ja selbst kostspielige Vorschläge wie die Senkung der Mehrwertsteuer auf einige Lebensmittel. Da scheint er kein Finanzierungsproblem zu sehen. Dass ein Bundeskanzler die Ukraine gegen Rentnerinnen und Rentner in Deutschland ausspielt, zeigt, dass er ungeeignet ist.
Frage: Donald Trump hat seine zweite Amtszeit als US-Präsident mit rabiaten Ankündigungen begonnen. Wie sollte Deutschland reagieren?
Dürr: Auf keinen Fall bringt uns Moralisieren weiter. Es ist doppelt wichtig, dass wir wirtschaftliche Stärke zurückgewinnen. Nur wenn Deutschland wirtschaftlich wieder in der Champions League spielt, werden wir im Kräftemessen mit Donald Trump standhalten können. Und nur mit wirtschaftlicher Stärke können wir unsere Verteidigung gewährleisten und geopolitisch in Sicherheit leben.
Frage: Wie hoch müssen die Verteidigungsausgaben künftig sein? Grünen-Spitzenkandidat Robert Habeck hat 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts als Nato-Ziel ins Gespräch gebracht, fast eine Verdoppelung des heutigen Stands. Trump spricht von 5 Prozent.
Dürr: Dieses Prozent-Bingo ist irritierend. Entscheidend ist nicht, dass wir einfach mehr Geld ausgeben, sondern wie viel Sicherheit wir für unser Geld bekommen. Da gibt es in Deutschland enormen Nachholbedarf in der Effizienz. Es gibt da ein Umdenken, aber die Umsetzung im Verteidigungsministerium fehlt. Das Beschaffungswesen ist ein Musterbeispiel für Verfahrensverschleppung durch Bürokratie.
Frage: Trump ist allerdings ein Fan von Prozent-Bingo. Wie würde die FDP höhere Verteidigungsausgaben finanzieren?
Dürr: Natürlich wird Deutschland die Nato-Standards erfüllen. Aber es bringt nichts, Zahlen ins Schaufenster zu stellen. Deutschland wird mehr Geld für die Verteidigung ausgeben. Und im Gegenzug muss sich der Staat auf seine Kernaufgaben konzentrieren und massiv Subventionen abbauen. Das ist moderne Marktwirtschaftspolitik statt gelenkter Volkswirtschaft.
Frage: Trump steckt gerade massiv Subventionen in Künstliche Intelligenz. Wären da Subventionen gerechtfertigt?
Dürr: Das ist keine Frage von Subventionen. Europa muss dringend darauf achten, bei der KI wettbewerbsfähig zu werden. Schon bei den sozialen Netzwerken sind wir abhängig von den USA – das sollte bei der KI nicht auch so werden. Dazu müssen in Deutschland und Europa Regulierungen fallen. In Deutschland braucht es eine andere Energiepolitik, damit für KI-Rechenzentren genügend und günstiger Strom zur Verfügung steht. Das bedeutet: Offenheit für Kernfusion und synthetische Kraftstoffe. Ich bin es wirklich leid, dass andauernd überall Bedenkenträger stehen.
Frage: Die Ampel war bekannt für ihren rüden Umgangston. Sollte die neue Regierung daran etwas ändern?
Dürr: Natürlich muss man in der Politik vernünftig miteinander umgehen. Aber nur Heididei reicht nicht. Am wichtigsten ist, dass Klarheit in der Sache besteht und auch wirklich entschieden wird. Und dass ein Kanzler Konflikte nicht ewig laufen lässt.