DÜRR-Interview: Deutschland wieder auf Wachstumskurs bringen
Der FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Dürr gab dem Handelsblatt (Freitagsausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Jan Hildebrand.
Frage: Herr Dürr, entweder die Ampel einigt sich auf die Wirtschaftswende oder die Koalition ist am Ende – wird dieses Signal vom FDP-Parteitag ausgehen?
Dürr: Nein, solche taktischen Spielchen sind der Situation nicht angemessen. Das Signal des FDP-Bundesparteitages wird sein, dass wir Deutschland wieder auf Wachstumskurs bringen wollen.
Frage: Was passiert, wenn SPD und Grüne bei Ihrer Wirtschaftswende nicht mitmachen? Sie wären ein schlechter Politiker, wenn Sie nicht über einen Plan B nachdenken.
Dürr: Auch unsere Koalitionspartner wollen nicht vor die Wählerinnen und Wähler treten und sagen: Sorry, das mit dem Wirtschaftswachstum hat halt nicht geklappt. Deutschland braucht Reformen. Und es spricht alles dafür, dass wir das als Koalition hinbekommen. Wir haben die Corona-Pandemie bewältigt, wir haben entschlossen auf Russlands Krieg gegen die Ukraine reagiert, wir haben die Energiekrise gemeistert. Ja, die Ampel streitet zu oft. Aber die Entscheidungen waren in der Sache am Ende richtig.
Frage: Kanzler Olaf Scholz sagt, man dürfe den Standort nicht schlechtreden. Das klingt nicht so, als sehe er großen Reformbedarf.
Dürr: Die Auffassung, dass der Standort schlecht geredet wird, teile ich nicht. Deutschland hat reale Probleme. Das ist nicht die Schuld dieses Bundeskanzlers oder dieser Koalition. Im Gegenteil: Die Verantwortung für die aktuelle ökonomische Situation liegt maßgeblich bei CDU und CSU. Aber das ist verschüttete Milch. Es ist jetzt die Verantwortung dieser Koalition, dass wir eine Wirtschaftswende schaffen und unser Land wieder nach vorne bringen.
Frage: Die Ampelkoalition regiert seit zweieinhalb Jahren. Wäre es nicht an der Zeit, mit den Schuldzuweisungen Richtung Union aufzuhören?
Dürr: Es geht nicht um Schuldzuweisungen. Anderthalb Jahrzehnte gab es kaum Wirtschaftsreformen, Deutschland fällt seit zehn Jahren in den Standortrankings kontinuierlich zurück. Die Vorgängerregierungen haben Mist gebaut, da waren alle beteiligt. Auch meine Partei war damals vier Jahre in der Regierung. Nichtstun ist für mich jetzt keine Option.
Frage: SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert sagt, das Wirtschaftskonzept der FDP bestehe vor allem aus der „Beschimpfung von Arbeitnehmern“.
Dürr: Das Gegenteil ist richtig. Ich wünsche mir von Herrn Kühnert, dass er bei den Fakten bleibt. Wir wollen Arbeitnehmer und Unternehmer entlasten. Es gibt Millionen von Menschen, die jeden Tag ranklotzen. Und ich finde, die haben es verdient, dass ihre Leistung wieder honoriert wird. Das gilt für Arbeitnehmer, die das Gefühl haben, dass sich Arbeit kaum lohnt. Und es gilt für mittelständische Familienbetriebe, die voll ins Risiko gehen, aber täglich merken, wie unfassbar schwer es ist, in Deutschland zu investieren.
Frage: Die FDP will die Arbeitsanreize beim Bürgergeld erhöhen. Glauben Sie ernsthaft, dass die SPD da mitmacht?
Dürr: Arbeitsminister Hubertus Heil hat eine Studie des Ifo-Instituts vorliegen, dass man Sozialleistungen wie Bürgergeld und Wohngeld besser aufeinander abstimmen muss, damit sich Arbeit lohnt. Daraus müssen doch Taten folgen. Wir haben eine hohe Zahl an sozialversicherungspflichtigen Jobs, aber das Arbeitsvolumen insgesamt ist in Deutschland nicht groß genug, um Wachstum zu erzeugen. Also brauchen wir mehr Anreize zu arbeiten.
Frage: SPD und Grünen antworten darauf: Dann erhöhen wir doch den Mindestlohn.
Dürr: Das unterstellt, dass der Staat Arbeitslöhne einfach beliebig festlegen könnte. Und als Nächstes legen wir noch die Preise zentral fest. Das erinnert mich an ein Wirtschaftsmodell, das schon mal auf deutschem Boden gescheitert ist.
Frage: Die Ampelkoalition hat doch eine Erhöhung des Mindestlohns auf zwölf Euro verordnet.
Dürr: Das war seinerzeit ein Kompromiss in der Koalition. Und wie wir heute wissen: Aufgrund der Inflation wäre der Mindestlohn ohnehin auf zwölf Euro gestiegen. Insofern war der Eingriff marginal. Und er war einmalig. Es darf keinen politischen Mindestlohn geben.
Frage: Es fällt auf, dass derzeit vor allem SPD und FDP streiten. Wie sollen beide Parteien in der Sozialpolitik zusammenkommen?
Dürr: Die FDP will den Sozialstaat nicht einreißen, sondern effizienter machen. Das ist auch eine Frage der Gerechtigkeit gegenüber den Arbeitnehmern, die ihn mit ihren Steuern und Abgaben finanzieren. Das sollte nicht nur im Interesse der FDP sein, sondern auch der SPD.
Frage: Arbeitsminister Heil und Finanzminister Lindner haben sich auf das Rentenpaket II geeinigt. Die SPD hat erreicht, dass das Rentenniveau stabil bleibt und die FDP bekommt das Generationenkapital. Nun will die FDP-Fraktion das wieder aufschnüren. Hat Lindner so schlecht verhandelt?
Dürr: Nein. Christian Lindner hat schon bei der Vorstellung des Rentenpakets gesagt, dass weitere Schritte folgen müssen.
Frage: Es klang so, als meinte er damit die Zeit nach der Bundestagswahl und nicht schon diesen Sommer.
Dürr: Der Handlungsbedarf ist doch offensichtlich und durch die Wirtschaftslage noch drängender geworden. Um das deutlich zu sagen: Alle, die ihr Leben lang gearbeitet haben, haben einen Anspruch auf eine faire und gute Rente. Aber das geht nur, wenn die Rente stabil finanziert ist. Wenn die Babyboomer in den wohlverdienten Ruhestand gehen, gerät das System in Schieflage.
Frage: Was wollen Sie konkret ändern?
Dürr: Die Rente mit 63 ist ein Anachronismus. Ein starres Renteneintrittsalter ist etwas von gestern. Die Lebensentwürfe sind heute ganz unterschiedlich, und entsprechend flexibel sollte das Renteneintrittsalter gestaltet werden. Zweitens können wir das Generationenkapital noch ausbauen. Es wäre sinnvoll, auch einen Teil der Rentenbeiträge dafür zu nutzen. Nur wenn wir stärker auf den Kapitalmarkt setzen und nicht ausschließlich Arbeitnehmer und Steuerzahler die Last tragen, stabilisieren wir das Rentensystem.
Frage: Bürgergeld, Rente, Steuerentlastung: Was sind die wichtigsten Maßnahmen im 12-Punkte-Plan der FDP? Worauf werden Sie auf keinen Fall verzichten?
Dürr: Das werde ich jetzt nicht hierarchisieren.
Frage: Damit später nicht ersichtlich wird, ob die FDP sich durchsetzen konnte?
Dürr: Nein. Es gibt einen guten Gradmesser dafür, ob die Wirtschaftswende gelingt: Deutschlands Potenzialwachstum liegt bei mickrigen 0,5 Prozent. Selbst wenn die Weltkonjunktur super läuft, wachsen wir nur sehr schwach. Die USA haben ein Potenzialwachstum von 1,5 Prozent. Das werden wir so schnell nicht erreichen, aber ein Prozent sollte drin sein. Daran sollten sich die Maßnahmen messen lassen.
Frage: Und ein Prozent Potenzialwachstum lässt sich durch den 12-Punkte-Plan erreichen?
Dürr: Ja. Die ökonomischen Fakten rufen nach Angebotspolitik: Bürokratische Mauern einreißen, Steuern senken, Arbeitsanreize vergrößern. Es ist gerade nicht die Zeit für mehr Subventionen, sondern für mehr Reformen.
Frage: Und Sie glauben, SPD und Grüne sehen das noch ein, wenn die FDP es nur oft genug wiederholt?
Dürr: Hätte jemand geglaubt, dass diese Koalition unter Beteiligung der Grünen Autobahnen schneller baut als die CDU-geführte Vorgängerregierung? Wahrscheinlich nicht. Aber es hat geklappt. Und ich habe auch bei den Grünen niemand gefunden, der ernsthaft meint, dass wir mit Schulden und Subventionen das Potenzialwachstum steigern können. Zumindest nicht, nachdem wir ausführlich darüber diskutiert haben.
Frage: Hat FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai also doch recht, wenn er sagt, er müsse den Koalitionspartnern jedes Mal erst die Marktwirtschaft erklären?
Dürr: Vielleicht ist es Aufgabe der FDP, sie allen anderen Parteien zu erklären. Die Union würde ich da nicht ausnehmen.
Frage: Der Internationale Währungsfonds, der Sachverständigenrat und viele Ökonomen erklären der FDP immer wieder, dass sie die Schuldenbremse lockern muss. Wann haben Sie ein Einsehen?
Dürr: Da müssen wir das Kleingedruckte lesen. Viele Experten sagen: Wenn wir den Konsolidierungskurs fortsetzen und die Verschuldung unter 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegt, dann kann das Defizit wieder etwas steigen. Christian Lindner hat bereits gesagt, dass wir unter dieser Bedingung ab dem Jahr 2028 größere Spielräume haben, um zum Beispiel die Bundeswehr weiterhin solide zu finanzieren. Dafür braucht es keine Änderung der Schuldenbremse.
Frage: Es gibt aber nicht nur bei der Bundeswehr Investitionsbedarf.
Dürr: Wir investieren schon heute in die Infrastruktur wie nie zuvor – und das unter Einhaltung der Schuldenbremse. Im Haushalt 2024 liegt die Investitionsquote um 50 Prozent höher als zu Zeiten der Großen Koalition.
Frage: Ohne Schuldenbremse könnten Sie die Unternehmen viel stärker entlasten. Ärgern Sie sich nicht über diese Steuersenkungsbremse?
Dürr: Es wäre keine solide Finanzpolitik, Steuersenkungen komplett auf Pump zu finanzieren. Und dass es anders geht, haben wir bewiesen: Die Ampelkoalition hat in dieser Legislaturperiode bereits Entlastungen bei der Einkommensteuer im Volumen von 50 Milliarden Euro umgesetzt.
Frage: Mit den 50 Milliarden Euro wurde vor allem die kalte Progression ausgeglichen. Das war also eher die Verhinderung einer schleichenden Steuererhöhung. Jetzt will die FDP den Solidaritätszuschlag vollständig abschaffen und die Steuerlast für Unternehmen auf 25 Prozent senken. Wie soll das finanziert werden?
Dürr: Die Entlastung für die Unternehmen ist geboten und sie ist auch finanzierbar. Der Bundeshaushalt ist nichts Unveränderbares, sondern ein Kuchen, der jedes Jahr neu gebacken wird. Und den kann man vergrößern. Wenn wir für mehr Wirtschaftswachstum sorgen, dann steigen die Einnahmen des Staates. Das schafft Spielräume für Entlastungen.
Frage: Zum Schluss noch mal zum Parteitag: Fürchten Sie den Frust der Delegierten angesichts der Ampel-Performance und der schwachen Umfragewerte der FDP?
Dürr: Wir sind eine Partei, die nicht andauernd auf Umfragen schaut und sich mit sich selbst beschäftigt. Wir beschäftigen uns mit dem Wirtschaftsstandort Deutschland.
Frage: Aber Sie hätten schon gerne mehr als 4,9 Prozent bei der nächsten Bundestagswahl?
Dürr: Das eine folgt auf das andere. Die vergangenen zwei Bundestagswahlen haben gezeigt, dass es eine zweistellige Nachfrage für eine Partei gibt, die für wirtschaftliche Reformen kämpft.