BUSCHMANN-Statement: Große Koalition fährt beim Umgang mit Grundrechten Schlangenlinie
Der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion Dr. Marco Buschmann gab vor der Fraktionssitzung folgendes Statement ab:
„[…] Die Bundesnotbremse ist am 22. April beschlossen worden. Und damals war die Linie der Großen Koalition scheinbar klar. Sie hat gesagt, es müsse alles klar bundeseinheitlich geregelt werden, es dürfe möglichst keine Spielräume oder Ausnahmen für die Bundesländer geben. Und zweitens war genauso klar, es dürfe keine Spielräume oder Ausnahmen für Geimpfte und Genesene im Gesetz geben. Das können wir deshalb so gut bezeugen, weil wir selber entsprechende Änderungsanträge gestellt haben. […] Und wir haben diese Anträge auf der Basis von zwei Argumenten gestellt. Das eine ist der klare Rechtssatz, von wem weder für sich noch für andere eine Gefahr ausgeht, in dessen Grundrechte kann man jedenfalls nicht in Bezug auf Corona eingreifen. Und das zweite war die Risikoeinschätzung des Robert-Koch-Instituts vom 31. März. Und auf dieser Basis ist die Große Koalition am 22. April zu dem Ergebnis gekommen, nein, es dürfe keine Ausnahmen für die Bundesländer geben und es dürfe auch keine Ausnahmen für Getestete und Geimpfte geben. Und jetzt, Anfang Mai, passiert das Gegenteil mit dem Argument, dass der Rechtssatz, der schon damals galt, jetzt plötzlich auch in der Großen Koalition angekommen ist, dass nämlich in Grundrechte nicht eingegriffen werden darf, wenn es keine entsprechende Begründung gibt. Und mit Hinweis auf die Risikoeinschätzung des Robert-Koch-Instituts vom 31. März, das steht ausdrücklich im Verordnungsentwurf des BMJ drin, wird plötzlich die gegenteilige Haltung aufgenommen, dass nämlich zum einen Ausnahmen für Bundesländer möglich sind und zum anderen eben insbesondere Grundrechtseinschränkung für genesene und geimpfte Person zurückgenommen werden. Das zeigt eins: Wie in vielen anderen Bereichen fährt die Große Koalition im Rahmen der Corona-Politik auch beim Umgang mit Grundrechten Schlangenlinie. […] Es gibt nur eines, was sich geändert hat, und das ist die Verfassungsbeschwerde, die alle 80 Mitglieder der Fraktion der Freien Demokraten hier im Deutschen Bundestag in Karlsruhe eingelegt haben. Die Große Koalition beugt sich dem Druck unserer Verfassungsbeschwerde und das zeigt, wie wichtig es ist, dass es hier im Haus eine Fraktion gibt, die ihren Auftrag als Anwälte und Hüter der Grundrechte ernst nimmt. [...] Es ist etwas, was Sie selbst lesen können in Äußerungen von Mitgliedern der Großen Koalition, beispielsweise von den SPD-Rechtsexperten, die sagen, wir müssen das tun, weil sonst eben ein Verdikt des Bundesverfassungsgerichts droht. [...] In der Sache geht der Verordnungsentwurf in die richtige Richtung. Alles, was unzulässige Grundrechtseinschränkungen für die betroffenen Personen zurücknimmt, ist von der Richtung her gut. Der Entwurf ist allerdings inkonsequent, denn wenn der Satz gilt, dass man in Grundrechte nicht eingreifen darf, wenn die Betroffenen weder für sich noch für andere eine Gefahr darstellen, dann ist nicht nachvollziehbar, warum geimpfte Personen beispielsweise keinen Mannschaftssport ausüben dürfen, keinen Vollkontaktsport ausüben dürfen […]
Ich komme zu dem anderen Thema, die Konsequenzen aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutzgesetz. […] Die Botschaft des Bundesverfassungsgerichts kann man sich in einem einfachen Bild klarmachen, und zwar, dass wir alle in einem Zug sitzen, dieser Zug fährt auf Gleisen und diese Gleise führen in einen Abgrund und die Strecke zwischen dem Hier und dem Abgrund ist eben so lang, dass nicht mehr wir selber möglicherweise das erleben, einen möglichen Absturz in den Abgrund, sondern eben jetzt erst geborene Kinder, künftige Generationen. Und was das Bundesverfassungsgericht jetzt gesagt hat, ist, dass man einen langfristigen, einen plausiblen Plan braucht, wie wir den Zug vor dem Abgrund zum Stehen bringen. [...] Und weil es sich um eine so lange Strecke handelt, muss die Bremsenergie, um im Bild zu bleiben, auf die verschiedenen Generationen gerecht, fair, generationengerecht verteilt werden. […] Und deshalb kann ich nur sagen, fühlen wir uns sehr stark darin bestätigt, weil unser Modell eines Zertifikatehandels für eine Sache sorgt. Wenn man CO2 zu einem handelbaren Gut machen möchte, dann muss man es zu einem knappen Gut machen. Das heißt, unsere Idee bedeutet immer, die Ausstoßmenge für CO2 fest und hart zu deckeln. Sonst hat man kein knappes Gut und dann kann man die Sache nicht handeln. Und genau das ist der Ansatz, um einen langfristigen, plausiblen Plan aufzustellen, indem wir nämlich schlichtweg die Jahresausstoßmengen so entsprechend reduzieren und die dann verbleibenden CO2-Ausstoßmengen handelbar halten, um eben einen solchen langfristigen Plan umzusetzen, wie sich das Bundesverfassungsgericht wünscht, nämlich der langfristig sicherstellt, dass der Zug zum Stehen kommt. […] Das Bundesverfassungsgericht hat gesagt, es wäre falsch, die Bremsenergie, die Lasten aus dieser Bremsenergie, den künftigen Generationen hauptsächlich auf die Schultern zu legen. Es ist übrigens genauso falsch, jetzt sämtliche Bremsenergie in die Gegenwart zu ziehen. Das Bundesverfassungsgericht hat den ultimativen Freiheitseingriff, den es zu verhindern gilt, mit den Worten beschrieben ‚radikale eigene Enthaltsamkeit‘. Das ist künftigen Generationen nicht zuzumuten, es ist aber genauso wenig heutigen Generation zuzumuten. Es geht um eine faire Lastenverteilung. Und auch das bedeutet, wir brauchen einen langfristigen Plan, der den Aufwand fair verteilt. Und deshalb kann ich nur appellieren, dass wir zu dem kommen, was einige einen nationalen überparteilichen Klimakonsens genannt haben. Das Schlimmste für eine effektive Klimapolitik [...] wäre es jetzt, wenn wir in der Bundespolitik das aufführen, was wir aus der Landespolitik lange Zeit bei dem Thema Bildung gesehen haben. Dass jede neue Mehrheit, jede neue Regierung immer meint, komplett umsteuern zu müssen. Jeder macht eine neue Strukturreform, jeder setzt wieder ein neues System auf. Das haben Schüler, Eltern und Lehrer viele Jahre lang im Bereich der Bildungspolitik immer wieder erleben müssen. Wenn wir das jetzt im Bereich der Klimapolitik machen, dass mit jeder neuen Mehrheit wieder ein radikaler Kurswechsel einsetzt, wieder ein anderes System aufgesetzt wird, wieder eine andere Einsparlogik verfolgt wird, dann werden wir hier nicht dieses langfristige, in sich plausible Konzept haben und erreichen können, das die Richter der Politik ins Stammbuch geschrieben haben. Und deshalb würde es Sinn machen, wenn alle seriösen Parteien sich auf einen Klimakonsens committen würden […]“