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THOMAE-Interview: Das ist ein diplomatischer Störfall allerersten Grades
Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Stephan Thomae gab dem „ZDF-Morgenmagazin“ das folgende Interview. Die Fragen stellte Mitri Sirin:
Frage: Herr Thomae, wie haben es gerade gehört, Moskau droht mit Gegenmaßnahmen. Und jetzt?
Thomae: Das ist eine gespielte Empörung der Russen. Schon lange deutet sehr viel darauf hin, dass dieser Mord mitten in Berlin, mitten in unserer Hauptstadt, am helllichten Tag, in aller Öffentlichkeit begangen, in Rufweite zum Bundesinnenministerium verübt, von Russland aus gesteuert worden ist. Zustände, wie wir sie schon lange nicht mehr gehabt haben. Das ist ein diplomatischer Störfall allerersten Grades. Das ist ein gravierender Vorfall, der nicht ungeahndet bleiben kann.
Frage: Also, Sie sprechen von einem diplomatischen Störfall, also halten Sie es auch gerechtfertigt, dass Deutschland jetzt diese zwei Botschaftsmitarbeiter ausgewiesen hat?
Thomae: Der Generalbundesanwalt hat ja nun wirklich sehr lange gewartet, bis er die Ermittlungen an sich gezogen hat. Er hat gleichwohl schon früh mit der Beobachtung des Falles begonnen. Auch die Bundesregierung hat lange zugewartet. Wir wissen noch nicht ganz genau, was die neuesten Erkenntnisse sind, die Generalbundesanwalt und Bundesregierung veranlasst haben, sich jetzt auf den Fall draufzuschalten. Aber offenbar haben sich die Hinweise so stark verdichtet, dass es keine andere Möglichkeit mehr gab, als zu sagen: Das ist ein Fall, der vom GBA und von der Bundesregierung aufgenommen werden muss. Insofern war es wohl richtig, jetzt Maßnahmen zu ergreifen. Man stelle sich vor, dass jetzt hier wieder bei uns mitten in der Hauptstadt solche Taten verübt werden. Da ist sogar die Ausweisung zweier Diplomaten vielleicht nur der Anfang des Falles. Jetzt wäre es wichtig, dass die Regierung schnellstens mit Moskau Kontakt aufnimmt, alle Kanäle bedient, um aufzuklären, was hier geschehen ist, damit diese Krise nicht weiter eskaliert.
Frage: Genau das können wir weiter ausführen, weil dieser Fall vom Sommer erinnert an einen anderen Fall, und zwar an den Fall Skripal, dem russischen Ex-Agenten und seiner Tochter, die im britischen Salisbury mit dem Nervengift Nowitschok vergiftet wurden. Da führten die Spuren auch nach Moskau. Deutschland hat damals vier russische Botschaftsmitarbeiter ausweisen lassen, jetzt sind es nur zwei. Können Sie uns eine Antwort darauf geben, warum das so ist?
Thomae: Das ist richtig. Die Briten haben damals wesentlich massiver reagiert. Sie haben mehr Diplomaten selbst ausgewiesen. Sie haben die Verbündeten aufgefordert und gebeten, ebenfalls in dieser Aktion mitzuwirken, ebenfalls Diplomaten auszuweisen. Das hat die Bundesregierung bis dato noch nicht getan. Sie hat nicht bei den Verbündeten darum gebeten, hier Schützenhilfe zu gewähren, hat nur zwei Diplomaten ausgewiesen. Man sieht, da gibt es noch weitere diplomatische Eskalationsstufen, die zu bedienen sind. Wir haben abzuwarten, was sich hier weiter ergibt. Es ist jedenfalls noch Spiel drin. Vielleicht ist das nicht das Ende, sondern der Anfang einer weiteren Krise. Der Fall ist wirklich ernst zu nehmen, ist sehr gravierend einzuschätzen.
Frage: Herr Thomae, jetzt Ausweisungen von Botschaftsmitarbeitern aus Deutschland. Als Retourkutsche werden auch deutsche Diplomaten wahrscheinlich des Landes verwiesen. Muss das Parlament bei solchen Maßnahmen umfassend informiert werden? Was ist Ihre Meinung?
Thomae: Also, davon gehen wir aus. Natürlich werden wir in den entsprechenden Gremien des Bundestages auch Fragen an die Bundesregierung richten. Und wir erwarten, dass wir hier klare Auskunft erhalten, welche Erkenntnisse vorliegen, welche Gespräche stattfinden zwischen Berlin und Moskau, was weiter geplant ist, was noch passieren kann und was noch droht. Das ist eine Sache, die nicht nur die Regierung betrifft, sondern natürlich auch das Parlament. Und wir werden hier entsprechende Nachfragen stellen.
Frage: Man muss sich wirklich schon wundern, was hier auf offener Straße geschieht, wenn dem wirklich so ist. Sie sind Geheimdienstexperte, wie aktiv sind denn ausländische Geheimdienste hier in Deutschland? Hat das zugenommen?
Thomae: Tja, man muss befürchten, dass sich hier bei uns in Deutschland auch fremde Nachrichtendienste bewegen. Auch das ist ja nicht der einzige Fall, der in der letzten Zeit sich bei uns zugetragen hat. Man denke an den Fall 2018, als ein Vietnamese, Herr Trinh, mitten in Berlin vom vietnamesischen Geheimdienst entführt und nach Vietnam verbracht worden ist. Es scheint so zu sein, dass hier bei uns in Deutschland, in Berlin, ausländische Nachrichtendienste hoch aktiv sind.
Frage: Letzte Frage, Herr Thomae, die Ermittlungen und Konsequenzen zum Mordfall, die überschatten womöglich auch das Ukraine-Treffen kommende Woche im Normandie-Format, das ist was sehr wichtiges, wo die Kanzlerin unter anderem eben auch auf den russischen Präsidenten Putin treffen wird. Der Fall gerät im Grunde jetzt schon zum Politikum. Kann man hier überhaupt noch unbefangen weiterermitteln?
Thomae: Man sollte diese Fälle voneinander trennen. Die Ukraine ist ein ganz anderes Ereignis. Aber es zeigt sich schon, dass Russland hier gewisse Aktivitäten entfaltet, um andere Länder zu destabilisieren. Dieser Arm reicht bis nach London, bis nach Berlin. Das ist sehr, sehr ernst zu nehmen. Ich erwarte, dass die Kanzlerin hier auch ein offenes Wort mit dem russischen Präsidenten spricht.