Ehrenvorsitzender der Fraktion
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Dr. Hermann Otto Solms
Pressemitteilung

SOLMS-Interview: Viele sind an der Existenzschwelle

Der Ehrenvorsitzende der FDP-Fraktion Dr. Hermann Otto Solms gab der „Gießener Allgemeinen“ (Mittwochsausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Jonas Wissner:

Frage: Seit ein paar Wochen sind wir alle von drastischen Einschränkungen betroffen. Sie sind 79 Jahre alt, gehören nun zur Corona-Risikogruppe. Gehen Sie noch einkaufen?

Solms: Ich vermeide es zurzeit einzukaufen, aber es kommt trotzdem schon einmal vor. Dann trage ich eine Gesichtsmaske und halte Abstand. Ich finde, das ist kein Problem, man muss auch mit gutem Beispiel vorangehen. Das dient ja dem Schutz der anderen.

Frage: Was vermissen Sie im Alltag nun am meisten?

Solms: Am meisten vermisse ich die Begegnung mit anderen – in der Fraktion, in der Partei, aber auch mit den Bürgern. Man kann über Videokonferenzen vieles machen. Aber man braucht auch gelegentlich den persönlichen Kontakt. Auch wir als FDP brauchen Kontakt zu unseren Mitgliedern und Wählern – und müssen noch herausfinden, wie sich das organisieren lässt.

Frage: Der heutige Tag könnte entscheidend werden: Die Bundeskanzlerin wird mit den Ministerpräsidenten den weiteren Kurs abstecken. Zuletzt gab es viele Forderungen, zügig eine Exit-Strategie zu entwickeln, etwa von Forschern der Nationalakademie Leopoldina. Haben Sie einen Tipp, was heute auf den Weg gebracht wird?

Solms: Ich habe mir unter anderem die Studie der Leopoldina angeschaut. Das sind vernünftige Vorschläge, über die heute gesprochen werden muss. Jetzt geht es darum, wie wir die vielen Einschränkungen nach und nach auflösen. Wir brauchen einen differenzierten Umgang mit dem Virus. Junge Leute sind sehr wenig gefährdet, sondern insbesondere die Alten und Menschen mit Vorerkrankungen. Also mehr Freiraum für die Jungen, dauerhaften Schutz für die Alten.

Frage: Was heißt das zum Beispiel für Einkäufe im Einzelhandel?

Solms: Wir dürfen jetzt die Läden nicht länger geschlossen halten, sondern müssen das Einkaufsverhalten als solches ändern: Durchsetzen, dass die Menschen mit Gesichtsmasken einkaufen gehen; dass die Geschäfte den Zugang der Kunden reduzieren. Aber wir dürfen die Geschäfte nicht weiter schließen, sonst gerät der Einzelhandel in Existenzgefahr. Das dürfen wir nicht zulassen.

Frage: Ein Problem mit den einfachen Schutzmasken ist, dass sie nicht flächendeckend zur Verfügung stehen.

Solms: Meine Frau hat eine Schneiderin beauftragt. Die hat ihr 200 Masken genäht, die dann über das Rote Kreuz verteilt wurden. Viele Menschen können selbst nähen, eine solche Maske ist ja kein großes Kunststück. Da ist Selbsthilfe angesagt.

Frage: Was halten Sie von einer baldigen Öffnung von Kitas und Schulen?

Solms: Ich bin dafür, dass Kitas und Schulen so schnell wie möglich wieder geöffnet werden. Zumal ja die jungen Leute zum Teil kaum gefährdet sind. Dabei gilt es, den Kontakt der jungen Menschen zu jenen, die im „Gefahrenalter“ sind, zu reduzieren. Es geht also jetzt nicht mehr darum, die Einschränkungen beizubehalten, sondern darum, mit der Ansteckungsgefahr vernünftig umzugehen.

Frage: Wie schnell sollten solche Lockerungen kommen?

Solms: Wir könnten schon in der kommenden Woche damit beginnen, dass Schulen und Kitas sukzessive geöffnet werden – natürlich mit Maßnahmen hinsichtlich Abstand und Schutz von Gefährdeten. Bei den Geschäften gilt das Gleiche, vielleicht auch mit Maskenzwang, wie es ja auch einige Fachleute empfehlen. Man darf nicht vergessen: Viele sind an der Existenzschwelle. Gerade Fachgeschäfte, die bis jetzt noch überlebt haben, würden es nicht überleben, wenn sich die Situation noch lange hinzieht. Und es ist auch nicht gerecht, dass man in einer Aktion bei Lidl ein Fahrrad kaufen kann, aber der kleine Fahrradhändler darf keines verkaufen. So etwas ergibt keinen Sinn.

Frage: Sie sind auch Ökonom. Was brauchen Unternehmen nun, um die negativen Folgen der Corona-Krise zu minimieren?

Solms: Die Vorstellungen der Bundesregierung gehen mir da nicht weit genug, sie sind auch nicht klar. Man muss jetzt die Investitionskräfte stärken und zugleich die Erneuerung der Wirtschaft durch flexiblere Vorschriften ermöglichen.

Frage: Woran denken Sie dabei?

Solms: In allen Bereichen sind wir überreguliert, wir leben in einem Vorschriftendschungel. Ein Beispiel sind die Arbeitszeitvorschriften: In einer Zeit, wo wir immer mehr zum Homeoffice übergehen, sind diese Vorschriften überholt. Sie sind im Homeoffice auch nicht kontrollierbar. Das kann nur durch Eigenverantwortung und Selbstorganisation der Beschäftigten vernünftig laufen. Es reicht, wenn man die Arbeitszeit pro Woche festlegt. Wie sie innerhalb der Woche im Einzelnen organisiert wird, muss man den Betroffenen überlassen.

Frage: Welche Folgen erwarten Sie für die lokale Wirtschaft – etwa für Geschäfte in den Innenstädten im Kreis Gießen?

Solms: Im Kreis Gießen bestehen die gleichen Probleme wie überall sonst auch. Bestimmte Sektoren sind von der Krise besonders betroffen, zum Beispiel die Kulturschaffenden und Solo-Selbstständigen, und natürlich die Gastronomie und der Fremdenverkehr. Hier können Hunderttausende ihren Arbeitsplatz beziehungsweise ihre Existenz verlieren. Um das zu vermeiden, wurden ja auch kurzfristig wirksame Hilfsprogramme auf den Weg gebracht. Gerade viele Künstler leben quasi von der Hand in den Mund, sie gestalten von den Einnahmen der Auftritte ihr tägliches Leben. Bei der Gastronomie können die Umsätze nicht nachgeholt werden, die sind endgültig verloren. Die Verpflichtungen der Gastronomen bleiben aber. Jetzt kommt es darauf an, ihnen möglichst schnell wieder eine Existenzbasis zu eröffnen.

Frage: Denken Sie, dass die beschlossenen Förderungen ausreichen – oder muss der Staat da noch mal nachlegen?

Solms: Das muss man jetzt beobachten. Nordrhein-Westfalen hat den Solo-Selbstständigen noch einmal aus Landesmitteln eine Zulage von 2000 Euro pro Monat gewährt. Das ist ein vernünftiger Schritt. Hessen hat das bislang nicht getan.

Frage: In Ihrer Rede als Alterspräsident des derzeitigen Bundestags haben Sie 2017 die Bedeutung des Parlaments herausgehoben und eine starke Debattenkultur gefordert. Nun ist, lokal wie national, auch der parlamentarische Alltag eingeschränkt. Ist das gefährlich für unsere Demokratie?

Solms: Krisen sind immer Zeiten der Exekutive, also der Regierungen, und zwar auf allen Ebenen der Gebietskörperschaften. Aber das darf auf Dauer nicht so sein. Auf Dauer muss klar sein, dass Demokratie über die gewählten Vertreter des Volkes funktioniert. Deswegen dürfen die Sonderrechte, die der Regierung jetzt auch mit unserer Unterstützung zugestanden worden sind, nur befristet in Kraft sein. Wir müssen wieder zu dem bewährten Machtverhältnis zwischen Regierung und Parlament zurückkommen. Die Freiheitsrechte dürfen nicht auf Dauer eingeschränkt werden, das ist für uns der Kerngedanke dabei.

Frage: Wie beurteilen Sie das aktuelle Krisenmanagement der Bundesregierung?

Solms: Die Bundesregierung ist zwar spät gestartet, hat dann aber vernünftig agiert. Wir fanden es auch gut, dass die Regierung mit den Oppositionsfraktionen bei den jüngsten Gesetzesänderungen konstruktiv umgegangen ist. Wir konnten unsere Argumente einbringen, insbesondere bei der Befristung von Grundrechtseinschränkungen. Aber man darf da nicht stehen bleiben. Wir müssen lernen, mit dem Virus zu leben. Deswegen müssen die Einschränkungen so schnell wie möglich zurückgenommen werden. Das normale Leben muss weitergehen, aber begleitet von Vorsichtsmaßnahmen.

Frage: Umfragen zeigen, dass das Gros der Bevölkerung mit den Einschränkungen und dem Krisenmanagement zurzeit einverstanden ist.

Solms: Das war bislang richtig, aber die Unruhe nimmt zu. Aufgabe des Parlaments ist es jetzt, den Weg aus der Krise zu eröffnen.

Frage: Einerseits hat die Corona-Krise zu viel Solidarität in der Gesellschaft geführt, andererseits sehen wir auch unsoziales Verhalten wie zum Beispiel Hamsterkäufe. Was wird am Ende bleiben?

Solms: Das mit den Hamsterkäufen würde ich nicht überbetonen. Das ist eine unwillkürliche Reaktion von Leuten, die sagen: Ich muss schauen, dass ich die nächsten Wochen überstehe. Aber das große Maß an Solidarität, wie man sich gegenseitig hilft – das ist ein wunderbares Zeichen. Ich hoffe, dass vieles davon bleiben wird. Und ich muss an die Finanzkrise 2008, 2009 erinnern: Da herrschte viel Angst und Skepsis, aber danach ist es uns gelungen, aus der Krise herauszuwachsen durch Förderung von Zukunftsinvestitionen. Das heißt: Wenn man ein anpassungsfähiges, flexibles und vernünftiges Gesellschaftssystem hat, dann schafft man es, sich wieder aus der Krise herauszuarbeiten.

Frage: Unterm Strich sind Sie also recht guter Dinge?

Solms: Ich bin ein geborener Optimist, ich sehe in jeder Veränderung immer die Chance. Man muss die Chance allerdings ergreifen, und dazu gehören auch Risikobereitschaft und Mut.

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