LINDNER-Interview: Wirecard-Affäre ist im Zentrum der Regierung angekommen
Der FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Lindner gab dem „Donaukurier“ (Montagsausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Andreas Herholz:
Frage: Herr Lindner, immer neue Vorwürfe im Wirecard-Skandal: Jetzt gibt es Vorwürfe nicht nur gegen das Finanzministerium, sondern auch gegen das Bundeskanzleramt. Was erwarten Sie von der Bundesregierung?
Lindner: Finanzminister Scholz sollte in der nächsten Woche die letzte Chance für umfassende Aufklärung nutzen. Das Finanzministerium wusste seit Anfang des vergangenen Jahres von Verdachtsmomenten. Dennoch ist wenig bis nichts geschehen. Es gab informelle Gespräche zwischen dem Finanzstaatssekretär Kukies und dem Vorstandsvorsitzenden von Wirecard. Noch im September hat die Bundeskanzlerin bei einer Reise nach China für dieses Unternehmen geworben – Monate, nachdem es bereits Verdachtsmomente gab. Die Affäre ist damit im Zentrum der Regierung angekommen. Hier ist ein immenser Schaden für viele Kleinanleger und den Finanzplatz Deutschland entstanden. Das muss Konsequenzen haben.
Frage: Es wird bereits der Ruf nach einem Untersuchungsausschuss des Bundestages in dieser Angelegenheit laut ...
Lindner: Ja, die FDP ist nur noch einen Schritt von der Forderung eines Untersuchungsausschusses entfernt. Die kommende Woche entscheidet. Die Rolle der Finanzaufsicht und die des Staatssekretärs Kukies werfen Fragen auf, Herr Scholz hat das mindestens unterschätzt. Es geht hier auch darum, das Vertrauen in die Kapitalmärkte zu sichern. Man kann nicht einerseits für privates Vorsorgen und Aktiensparen werben, aber andererseits Betrug mit Vorsatz in Milliardenhöhe zulassen.
Frage: Die EU-Partner ringen hart um den Corona-Wiederaufbaufonds. Ist die Kritik der „Sparsamen Vier“ berechtigt?
Lindner: Die Kritik der „Sparsamen Vier“ war ein wichtiger Punkt und hat die Debatte vorangebracht. Es muss klar sein, wofür die Milliardenhilfen gebrauchtwerden, bevor das Volumen festgelegt wird. Die Mittelzusagen sollten zudem an die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit geknüpft werden. Vor allem müssen die Strukturmaßnahmen Europa stärker machen. Es dürfen nicht nur alte Defizite mit neuen Schulden zugedeckt werden. Am Ende ist das Gesamtpaket hoffentlich besser als zu Beginn der Verhandlungen.
Frage: Ist es nicht ein falsches Signal, wenn die Blockierer am Ende mit Rabatten belohnt werden?
Lindner: In der Realität gehören solche Einigungsprämien wohl zu Verhandlungen. Akzeptabel ist das aber nur, wenn die Europäische Union am Ende stärker aus dieser Krise herauskommt. Ob Binnenmarkt, Digitalisierung, Klimaschutz und Gesundheitsschutz – hier muss Europa gemeinsam besser werden. Wenn es Finanzmittel gibt, müssen diese an Reformzusagen und konkrete Projekte gebunden sein. Sonst haben wir am Ende alte Probleme mit neuen Schulden. Wir werden das genau prüfen. Man darf nicht vergessen, dass der Deutsche Bundestag dem Ergebnis voraussichtlich mit Zwei-Drittel-Mehrheit zustimmen muss.
Frage: Insgesamt ist von einem Finanzvolumen von 1,8 Billionen Euro die Rede – eine zu hohe Belastung für künftige Generationen?
Lindner: Wir müssen uns Sorgen um die Schuldentragfähigkeit machen, selbst um die deutsche. Es gibt nicht nur die explizite Staatsverschuldung. Dazu kommen noch weitere Belastungen wie die staatlich finanzierte Grundrente. Wir haben bei der Staatsverschuldung bereits italienische Verhältnisse, wenn wir die versteckten Schulden der Sozialsysteme einbeziehen. Es kann bei den Corona-Hilfen nicht weiter nach dem Motto „Koste es, was es wolle“ gehen. Die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt muss sich wieder über Wertschöpfung finanzieren und nicht über Kapitalmärkte.