Erster Parlamentarischer Geschäftsführer

Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung

Abgeordnete

Vorsitzende des Verteidigungsausschusses

Tel: +32 228 45 58 5
Johannes Vogel Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann
Pressemitteilung

VOGEL/STRACK-ZIMMERMANN-Interview: Uns muss klar sein, wie ernst die Gefahr ist

Der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion Johannes Vogel und die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann gaben „wiwo.de“ das folgende Interview. Die Fragen stellte Sonja Álvarez.             

Frage: Frau Strack-Zimmermann, nach langem Ringen liefert Deutschland nun den Kampfpanzer Leopard in die Ukraine, Sie haben Olaf Scholz zuvor Versagen vorgeworfen. Steht die Zusage für einen grundsätzlichen Kurswechsel im Kanzleramt?                

Strack-Zimmermann: Dass die Bundesregierung jetzt den Weg frei gemacht hat, den Leopard 2 gemeinsam mit den internationalen Partnern zu liefern, ist ein guter und wichtiger Schritt in grausamen Zeiten für das ukrainische Volk.

Frage: Die Bundeswehr steht allerdings noch blanker da als vor einem Jahr, sagt Alfons Mais, Inspekteur des Heeres. 2022 ist aus dem 100 Milliarden Euro Sondervermögen kein einziger Euro ausgegeben worden. Droht Deutschland an der Zeitenwende zu scheitern?

Strack-Zimmermann: Das wird nicht passieren. Allerdings muss gemeinsam mit dem neuen Verteidigungsminister schnellstmöglich der Etat im wahrsten Sinne des Wortes auch auf die Straße gebracht werden. Die Bundeswehr hat einen riesigen Nachholbedarf. Jeder Tag ist von Relevanz.

Frage: Zwar gibt es Munitionsgipfel und Runde Tische zu Puma-Pannen, aber ein großer gemeinsamer Aufschlag von Regierung und Rüstungsindustrie bleibt bisher aus. Liegt das an mangelndem Interesse – oder gegenseitigem Misstrauen?

Vogel: Das ist natürlich eigentlich eine Frage an die Regierung, nicht an uns im Parlament. Die Haltung der FDP ist jedenfalls klar: Je stärker wir die Ukraine im Kampf um ihr Territorium unterstützen, desto schneller endet der Krieg. Denn das einzig sicherheitspolitisch nachhaltige und moralisch denkbare Ende ist, dass die Ukraine den Kampf um ihr Territorium gewinnt.

Frage: Aber ohne Munition kommen die Leopards nicht weit, auch die Bestände der Truppe müssen aufgefüllt werden.

Vogel: Dass es jetzt endlich eine Entscheidung für die Lieferung des Leopard 2 und eine breite Allianz der Verbündeten zur Panzer-Lieferung gibt, ist eine gute Nachricht. Aber es fehlt eben offenbar eine europäische Rüstungsindustrie mit ausreichend Kapazitäten etwa zur Munitionsproduktion. Diese jetzt aufzubauen, ist eine Dimension der Zeitenwende, die nun rasch folgen muss.

Frage: Dann braucht es jetzt eine konzertierte Aktion Zeitenwende?

Strack-Zimmermann: Zeitenwende ist ja nicht nur Geld auszuschütten. Es gehört auch dazu, sich auch mental der Sicherheitslage bewusst zu werden. Der brutale völkerrechtswidrige Angriffs Russlands auf die Ukraine hat die ganze Welt in Bewegung versetzt. Wir werden auch als Exportnation uns Gedanken darüber machen müssen, mit wem wir in Zukunft Verstärkt Handel treiben wollen und wie wir Abhängigkeiten abbauen können.

Frage: Im Schatten von Russlands Angriffskrieg in der Ukraine verschärft China die Drohungen gegen Taiwan. Sie haben das Land kürzlich gemeinsam besucht und unter anderem Präsidentin Tsai Ing-wen getroffen. Haben Sie ein Land erlebt, das sich auf einen Krieg vorbereitet?

Vogel: Taiwan ist sehr stark sensibilisiert, weil es das sein muss. Schon heute provoziert China nahezu täglich mit militärischen Manövern, lässt seine Kampfflugzeuge die Mittellinie der Taiwanstraße überqueren, was früher ein Tabu war. Deshalb wäre es fahrlässig, wenn sich Taiwan nicht auf einen möglichen Angriff vorbereiten würde. Die Insel befindet sich in einem dauerhaften Alarmzustand. Und auch uns in Europa muss klar sein, wie ernst die Gefahr ist. Desinteresse für diese pazifischen Fragen ist keine Option mehr.

Frage: In den China-Leitlinien von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck wird sogar konkret über einen möglichen Kriegsbeginn spekuliert: 2027 wird als Datum genannt. Ist das kluge Vorausschau oder unnötige Panikmache?

Vogel: Ein konkretes Datum suggeriert, dass der Krieg unausweichlich sei. Das ist er aber gerade nicht. Es muss deshalb nicht nur unser Ziel sein, im Systemwettbewerb mit China zu bestehen, sondern auch als demokratische Gesellschaften ein funktionierendes Abschreckungsszenario aufzubauen, damit die Katastrophe eben nicht eintritt.

Strack-Zimmermann: Wir müssen aufpassen, die Gefahr nicht herbeizureden. Wenn wir immer sagen, dass Xi im Begriff ist anzugreifen, dann greift er auch an. Das nennt man self-fulfilling prophecy. Wir sollten die Dinge nüchtern betrachten – aber nicht naiv sein. Wir müssen aus den Fehlern im Umgang mit Russland lernen. Die Taiwanesen wollen, dass wir die Gefahr, die Taiwan ausgesetzt sind, ernst nehmen, dass wir das nicht aus dem Auge verlieren und sie unterstützen.

Frage: Unterstützung heißt finanzielle und militärische Hilfe?

Strack-Zimmermann: Taiwan erwartet nicht, dass wir Waffen liefern oder sie militärisch unterstützen. Taiwan erhofft sich, dass wir uns Gedanken darüber machen, welch Signale wir an China senden, wenn deutsche Unternehmen trotz der verschärften Drohkulisse, immer neue Milliarden in die Hand nehmen, um dort zu investieren.

Frage: Ausgerechnet Sie als Liberale wollen Unternehmen wie Bayer, BASF und Volkswagen erklären, dass sie raus aus China sollen?

Vogel: Es geht nicht um ein Raus aus China. Aber wir müssen doch in der Lage sein, glaubwürdig ein wirtschaftliches Sanktionsszenario aufzumachen, um auch damit einen Angriff auf Taiwan eben zu verhindern. Genau das meint ja die Logik der Abschreckung.

Frage: Und Abschreckung heißt konkret?

Vogel: Konkret heißt das dreierlei: Zum einen, unsere Innovationskraft so hochzuhalten, dass wir Technikführerschaften ausbauen. Zum zweiten einen China-Stresstest für die deutsche Wirtschaft durchzuführen und zu prüfen: Wo sind wir zu abhängig vom chinesischen Markt? Dabei sollten wir dann übrigens auch das Inland betrachten, denn bei sicherheitsrelevanter Infrastruktur wie etwa Energie oder dem Kern-Mobilfunknetz müssen wir unabhängig von Autokraten sein – das gilt für Putin ebenso wie für Xi.

Frage: Und drittens?

Vogel: Drittens sollten wir zu große Abhängigkeiten vom chinesischen Markt dann ausbalancieren, indem wir neue Partnerschaften mit anderen Ländern stärken, weitere Freihandelsabkommen mit den marktwirtschaftlichen Demokratien im Pazifikraum abschließen. Wenn ein Mittelständler zu abhängig von einem Zulieferer ist, stellt er auch nicht das Geschäft ein – sondern sucht sich weitere, um zu diversifizieren.

Frage: Aber noch einmal: Diversifizierung heißt für viele Dax-Konzerne eben noch immer mehr China. Deutschlands Abhängigkeit im Bereich von Rohstoffen wie seltenen Erden beträgt teilweise 100 Prozent. Wie gut sind wir auf einen möglichen Krieg gegen Taiwan vorbereitet?

Strack-Zimmermann: Bisher gibt es ein funktionierendes Prinzip: Die Aktie steigt und die Aktionäre sind zufrieden damit. Das funktioniert, solange Taiwan nicht angegriffen wird, und es keine militärische Auseinandersetzung im Indopazifik gibt. Deutsche Unternehmen sollten sich deshalb spätestens jetzt sehr konkret damit auseinandersetzen, welche Konsequenzen ihre Investitionen nicht nur heute und morgen, sondern auch übermorgen haben. Wir offenbaren unser technisches Know-how auf dem chinesischen Markt und werden möglicherweise damit belohnt, dass chinesische Unternehmen unseren Markt mit günstigen Elektroautos fluten und deutschen Herstellern den Markt abgraben. Dann bekommt das deutsche Unternehmen auf dem eigenen Markt ein massives Problem.

Frage: Bisher war Deutschlands China-Politik von einer Art Ad-Hocismus geprägt, wie die Debatten zum Einstieg der Staatsreederei Cosco im Hamburger Hafenterminal und zum Aufkauf der Dortmunder Chipfabrik gezeigt haben. Glauben Sie ernsthaft, dass sich das mit der neuen Chinastrategie ändert?

Vogel: Es hat ja bisher fatalerweise unter der Unions-Kanzlerschaft gar keine Chinastrategie gegeben, das wollen wir jetzt ändern. Denn weder ist die Bedrohung erst seit fünf Jahren da, noch in fünf Jahren weg. Wir müssen uns in diesem verschärften Systemwettbewerb jetzt besser aufstellen, denn der Westen hat die Veränderung des chinesischen Regimes unter Xi lange nicht klar genug gesehen. Die Taiwanfrage ist dabei nur einer der vielen Mosaiksteine in der Strategie, die wir mindestens europäisch, besser aber noch transatlantisch und idealerweise auch mit Staaten wie Australien, Neuseeland, Japan und Südkorea abstimmen müssen.      

Frage: Aber schon die Häfen zeigen doch, wie schwierig allein in Europa eine gemeinsame Haltung zu China ist. Die Griechen werden den Hafen von Piräus kaum zurückkaufen können oder wollen. Ist der Wunsch nach einer einheitlichen Strategie da nicht reichlich naiv?

Strack-Zimmermann: Einspruch. Es wäre naiv, wenn wir das System immer weiter füttern, welches uns dann am Ende schlucken will. Häfen sind Teil der kritischen Infrastruktur, noch sensibler ist der Bereich Mobilfunk. So, wie China niemals europäische Technik in seinen Netzen zulassen würde, können wir entscheiden, dass chinesische Technik in einem Teil unseres Netzes nicht zu suchen hat.

Frage: Huawei ist aber schon für 59 Prozent des 5G-Netzes in Deutschland verantwortlich, wie kürzlich eine Studie zeigte – auch, weil bisher eben oft der Preis entscheidend war.

Vogel: Das war ein Fehler der Politik letzten Jahre, den wir nun korrigieren müssen. Souveränität darf keine Preisfrage sein, das hat spätestens Deutschlands Abhängigkeit vom russischen Gas gezeigt. Aber mehr Souveränität heißt nicht Decoupling. Handel mit China kann und muss ja auch kohärent zu den genannten Parametern weiter stattfinden, aber eben auf Augenhöhe und nach gleichen Regeln. Und je einheitlicher Europa hier vorgeht, desto erfolgreicher werden wir sie durchsetzen können.

Frage: Während Deutschland den Schulterschluss mit Partnern sucht, verstärkt China seine Achse mit Russland. Welche Folgen hat das – gerade auch mit Blick auf den Kriegsverlauf in der Ukraine?

Strack-Zimmermann: China und Russland sind in einer Sache fest verbunden: Im Widerstand gegen die freie, demokratische Gesellschaft. Wirtschaftlich liegen dagegen Welten zwischen beiden Ländern. Russland hatte wirtschaftlich nie die Dynamik, die China heute hat. Und China weiß genau auf welchen Markt es setzen sollte, um sein eigenes wirtschaftliches Wachstum zu sichern und zu garantieren, gerade nach der Coronazeit. Und das ist sicher nicht der russische Markt.

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