Erster Parlamentarischer Geschäftsführer

Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung

Johannes Vogel
Pressemitteilung

VOGEL-Interview: Müssen alle Kraft in die Wirtschaftswende stecken

Der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion Johannes Vogel gab dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (Freitagsausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Daniela Vates.

Frage: Herr Vogel, bei der Europawahl haben alle drei Ampelparteien schlecht abgeschnitten – profitiert hat die AfD. Was folgert daraus für die Koalition?

Vogel: Für mich folgt zunächst die Erkenntnis, dass wir uns als FDP mit einem eigenständigen Profil behaupten können. Ich danke Marie-Agnes Strack-Zimmermann für ihren tollen Wahlkampf. Das Signal an die Koalition insgesamt ist aber, dass es so nicht weitergehen kann. Diese muss über sich hinauswachsen, damit wieder mehr Zukunftsvertrauen in der Gesellschaft entstehen kann. Das ist auch ein wichtiger Teil des Rezepts gegen extremistische Parteien. Wer Angst hat vor dem eigenen ökonomischen Abstieg, dem erscheinen alle Krisen noch bedrohlicher. Wer den Glauben hat, dass es einem selbst und der eigenen Familie auch künftig gut geht, kommt mit Veränderungen besser zurecht. Wir brauchen einen großen Wurf, um den ökonomischen Turnaround zu schaffen.

Frage: Bei SPD und Grünen heißt es, die Streiterei der Ampelparteien sei eine der Hauptursachen für ihr schlechtes Abschneiden. Liegen die falsch?

Vogel: In einer Koalition müssen die Unterschiede der Parteien sichtbar werden dürfen. Entscheidend ist, dass am Ende einer Diskussion eine Lösung steht, die mehr ist als der kleinste gemeinsame Nenner. An vielen Stellen hat die Koalition das geschafft: beim Einstieg in mehr Ordnung der Migration, bei der Fachkräfteeinwanderung mit Punktesystem oder der gesteigerten Planungsbeschleunigung. Jetzt müssen wir alle Kraft in die Wirtschaftswende stecken.

Frage: FDP-Vize Wolfgang Kubicki hat den großen Wurf so definiert: SPD und Grüne müssten sich auf die FDP zubewegen. Da schwingt weder Kompromissbereitschaft noch Selbstkritik mit – ist das das liberale Credo?

Vogel: In einer Koalition müssen alle Partner kompromissfähig sein. Die Herausforderungen definieren aber die Realität: Deutschland ist als Wirtschaftsstandort seit 2014 von Platz 6 auf Platz 24 abgerutscht. Der Kurs dieser Koalition muss auf Wirtschaftswende gesetzt sein, da hat Wolfgang Kubicki recht.

Frage: Muss sich am Umgangston in der Koalition etwas ändern?

Vogel: Veränderungen müssen vor allem in der Substanz größer gelingen. Aber Stil und Ton dürfen gerne konstruktiver und lösungsorientierter sein. Wenn wir beides schaffen, wird die Koalition auch wieder mehr Vertrauen bekommen.

Frage: In den Haushaltsverhandlungen gäbe es dazu eine Chance. Allerdings will die FDP nicht an der Schuldenbremse rütteln, SPD und Grüne fordern einen kreativeren Umgang. Wie kommt man da zusammen?

Vogel: Es ist keine Zumutung für die Regierung, einen verfassungskonformen Haushalt vorzulegen. Die Schuldenbremse ist keine Sache der politischen Präferenz. Sie steht im Grundgesetz. Damit gibt es einen klaren verfassungsrechtlichen Rahmen. Das ist gleichzeitig generationengerecht und obendrein vernünftig, weil die Schuldenbremse als Inflationsbremse wirkt. Die Regierung muss ihre Zusatzausgaben priorisieren, genauso wie jeder Bürger und jede Bürgerin das im Alltag auch tut.

Frage: Was hat Priorität und worauf ließe sich verzichten?

Vogel: Wichtig ist, dass die Regierung parallel zu einem verfassungskonformen Haushalt ihre Pläne für die Wirtschaftswende vorlegt. Damit könnten wir das Land positiv überraschen. Es wächst dann die Zuversicht, die Ränder können der Gesellschaft weniger Gift einträufeln und mit der Aussicht auf Wirtschaftswachstum und damit steigende Steuereinnahmen fallen vielleicht auch Priorisierungsentscheidungen leichter. Richtig ist es, im Haushalt einen Schwerpunkt auf Investitionen und Zukunftsfähigkeit zu setzen. Unstreitig ist, dass wir mehr Geld für Verteidigung ausgeben müssen.

Frage: Das heißt: Ohne Sozialkürzungen geht es aus FDP-Sicht nicht?

Vogel: Gesetzliche Leistungen stehen fest. Die kann und will niemand kürzen. Aber zum Versprechen der sozialen Absicherung gehört, dass man selber mithelfen muss, die Bedürftigkeit wieder zu verlassen. Wenn das nicht passiert, kann sanktioniert werden. Die Koalition hat bei den sogenannten Totalverweigerern einen ersten Schritt gemacht, diesen Grundsatz zu unterstreichen. Da geht aber mehr. Der Sozialstaat darf nicht die Akzeptanz derer verlieren, die ihn finanzieren. Und die Ausgaben für die Grundsicherung sinken, wenn wir mehr Menschen in Arbeit bringen.

Frage: Es gibt Studien, die besagen, dass Anreiz zur Mehrarbeit im Bürgergeld nicht gegeben ist, weil der Lohn zu sehr angerechnet wird. Sollte das geändert werden – und wenn ja, wann?

Vogel: Ja, denn bessere Zuverdienstregeln sind ein wichtiger Hebel. Für junge Menschen haben wir sie bereits verbessert – eine Ausbildung lohnt sich jetzt und beim ersten selbst verdienten Geld ist die Anstrengung gleich viel wert, egal aus welcher Familie man kommt. Die Koalition sollte die Kraft finden, die Regeln auch für die Erwachsenen und Familien zu verbessern. Wir sollten noch in diesem Herbst ein entsprechendes Gesetz auf den Weg bringen, damit es sich mehr lohnt mehr zu arbeiten und in die finanzielle Selbstständigkeit zu wachsen. Das wäre ein gutes Zeichen für einen aufstiegsorientierten Sozialstaat und würde für mehr Fairness sorgen.

Frage: FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai fordert, Neuankommenden aus der Ukraine kein Bürgergeld mehr zu zahlen, sondern die niedrigeren Leistungen für Asylbewerber. Diese Kosten lägen dann nicht mehr beim Bund, sondern bei den Ländern. Und Asylbewerber haben eingeschränkte Arbeitsmöglichkeiten. Ist das nicht kontraproduktiv?

Vogel: Zunächst mal: Es ist richtig und wichtig, dass wir vielen Menschen aus der Ukraine hier Schutz gewähren – diese kommen wegen Putins Krieg. Es ist zugleich berechtigt, im Zuge der Verlängerung der entsprechenden EU-Richtlinie neben einer ausgewogeneren Verteilung ein europaweit einheitlicheres Niveau der staatlichen Leistungen für neu Ankommende anzustreben. Es erscheint rechtlich möglich, einen geringeren Regelsatz mit den Arbeitsmöglichkeiten des Bürgergelds samt der Vermittlungsstrukturen zu kombinieren. Denn Arbeitsmöglichkeiten müssen natürlich ab Tag eins bestehen, das Ziel muss ja sein, ukrainische Geflüchtete möglichst schnell in den Arbeitsmarkt zu bringen. Da ist gerade in Deutschland im Vergleich noch Luft nach oben.

Frage: Ein weiterer Konfliktpunkt bleibt die Rente. FDP-Chef Christian Lindner hat dem Rentenpaket II zugestimmt, das den Einstieg in eine Aktienrente und die Absicherung des Rentenniveaus vorsieht. Die Fraktion fordert zusätzliche Schritte. Hat Lindner schlecht verhandelt?

Vogel: Es herrscht Gewaltenteilung und natürlich bringen wir Parlamentarier unsere Vorstellungen ein. Der Teil, den Arbeitsminister Hubertus Heil zum Paket beigesteuert hat, ist noch nicht generationengerecht abgesichert. Das fordert aber der Koalitionsvertrag. Die Lehre dieser Legislatur ist zudem doch: Absehbare Versäumnisse holen einen ein. Beim Rentensystem darf uns aber die Demografieabhängigkeit nicht einholen, wie uns die Abhängigkeit von Putins Gas eingeholt hat.

Frage: Und wenn nichts ergänzt wird, lässt die FDP das Paket scheitern – und damit auch ihren Wunsch nach der Aktienrente platzen?

Vogel: Das Ziel ist doch, die Maßnahmen in eine Balance zu bringen. Alle Koalitionspartner sollten ein Interesse daran haben, dass die Rentenbeiträge für die arbeitende Mitte nicht immer weiter steigen.

Frage: Wie denn?

Vogel: Entweder nähern wir uns weiter dem schwedischen Modell der Aktienrente schneller weiter an und kommen zu individuellen Ansprüchen aus Beitragszahlungen. Oder wir stabilisieren die Finanzlage des Umlagesystems so, dass der Beitragsanstieg gebremst wird. Dazu wäre zum Beispiel ein flexibler Renteneintritt sinnvoll. Das Vorbild Schweden zeigt auch hier, dass die Menschen dort länger arbeiten – weil es attraktiv ist und sie es wollen.

Frage: Mit Blick auf die Idee individueller Beiträge in einen Renten-Aktienfonds warnt unter anderem die SPD vor Spekulation mit der Rente.

Vogel: Es geht um Anlagezeiträume von 30, 40 Jahren, da ist das Risiko null. Ausgerechnet die Schweden als Spekulierer oder Zocker zu beschimpfen, gehört zu den Schubladendiskussionen, die wir in Deutschland hinter uns lassen müssen, wenn wir das Rentensystem zukunftsfest machen wollen. Vielmehr ist das der einzige Weg, mit dem das Rentenniveau langfristig sogar wieder steigt und die Menschen mehr raus bekommen!

Frage: Wann soll das Rentenpaket beschlossen werden?

Vogel: Es bringt nichts, sich auf Zeitmarken zu fokussieren, es muss ein gutes Ergebnis geben. Substanziell verhandeln können wir ohnehin erst, wenn klar ist, ob die Regierung wie angekündigt ergänzende Vorschläge zur Rente vorlegt, etwa im Rahmen der Wirtschaftswende.

Frage: Der Regierungsentwurf zum Haushalt sollte am 3. Juli vorliegen. Wieviel später dürfte es werden?

Vogel: Das müssen die Spitzen dieser Bundesregierung untereinander klären. Für mich zählt auch hier das Ergebnis.

Frage: Im FDP-geführten Bundesbildungsministerium wurde überlegt, Fördergelder für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu überprüfen, die mit dem Hinweis auf Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit in einem Offenen Brief die Räumung eines pro-palästinensischen Protestcamps an einer Universität kritisiert hatten. Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger hat ihre Staatssekretärin als Schuldige identifiziert und entlassen. Wie bewerten Sie das Krisenmanagement?

Vogel: Es ist gut, dass die Ministerin ihre klare Haltung gegen den verstörenden Antisemitismus an Hochschulen deutlich gemacht hat. Klar ist zudem, dass in jedem Ministerium das Vertrauensverhältnis zwischen Ministern und Staatssekretären absolut intakt sein muss. Wenn das nicht mehr gewährleistet ist, ist ein personeller Wechsel eine nachvollziehbare Entscheidung.

Frage: Ist es glaubwürdig, dass die Ministerin von dem Prüfauftrag nichts gewusst hat? Oder sollte auch sie gehen?

Vogel: Ich habe keinerlei Grund, an der Glaubwürdigkeit zu zweifeln. Die Rücktrittsforderungen sind absurd.

Frage: Gehen Sie davon aus, dass die Koalition diesen Sommer und auch dieses Jahr übersteht?

Vogel: Ich traue der Regierung natürlich zu, dass sie einen verfassungskonformen Haushalt vorlegt. Und die Koalition hat das Potenzial, das Land mit einem ausreichend großen Wurf für mehr Wettbewerbsfähigkeit zu überraschen. Das muss sie aber auch zeigen.

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