Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
VOGEL-Gastbeitrag: Das Existenzrecht des Staates Israel darf nicht angezweifelt werden
Der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion Johannes Vogel schrieb für „Zeit Online“ den folgenden Gastbeitrag:
Die Terroristen, die am 7. Oktober Israel überfielen, hatten einzig und allein ein Ziel: jüdische Menschen zu töten. Öffentlich stellten sie das Grauen zur Schau. Frauen, Männer, Alte, Kinder, ja sogar Babys wurden gequält, hingerichtet, verschleppt. Jüdinnen und Juden auf der ganzen Welt sollten so in Angst und Schrecken versetzt werden. Auch die arabische Welt und Muslime weltweit sollten aufgehetzt und – im Interesse des Terrorpaten Iran – die Annäherung Israels an arabische Staaten gestoppt werden.
Wenn die Existenz Israels bedroht wird, müssen wir für Israels Existenz einstehen – uneingeschränkt. Denn es ist das Land, das für Jüdinnen und Juden nach einer im Holocaust gipfelnden, uralten Verfolgungshistorie, endlich zur sicheren Heimstatt werden sollte. Deswegen gibt es kein „ja, aber“, mit dem die Gräuel der Hamas
relativiert werden könnten. Und es darf auch kein „ja, aber“ bei der Solidarität mit Israel geben. Umso wichtiger ist es, die Beschwörung unserer Staatsräson nicht zur Floskel verkommen zu lassen. Ich bin überzeugt, dass aus diesem Bekenntnis mindestens drei Konkretisierungen folgen müssen.
Erstens: Israel hat das völkerrechtlich verbriefte Recht, sich zu verteidigen. Dazu zählt auch eine Bodenoffensive gegen die Hamas. Das heißt für uns: Israel muss von Deutschland bekommen, was immer das Land jetzt benötigt. Der israelische Botschafter in Deutschland hat in Interviews und bei persönlichen Treffen mit deutschen Politikerinnen und Politikern vor allem darum gebeten, Israel in internationalen Gremien nicht allein zu lassen und jeder Andeutung von Antisemitismus auch dort entschieden entgegenzutreten. Und das beginnt nicht erst da, wo Deutschland auf arabische Staaten trifft. Es beginnt innerhalb der Europäischen Union.
Verhältnis zum Iran nachjustieren
Es ist furchtbar, wie sehr auch die Menschen im Gazastreifen infolge der Taten der Hamas leiden. Bei jeder Hilfe, die aus Europa in palästinensische Gebiete fließt, muss aber ab sofort ohne den geringsten Zweifel gewährleistet werden, dass sie nicht in den Raketenwerkstätten der Hamas landen – sonst darf sie nicht fließen. Es darf keinen Cent für Terror geben. Und vor allem müssen wir Europäer auch unser Verhältnis zum Iran neu justieren. Die Machthaber in Teheran steuern die Hamas und auch die Hisbollah teils wie Marionettenmilizen, um Israel zu vernichten. Zu lange haben wir dieses weltpolitische Pulverfass direkt vor unserer Haustür vernachlässigt. Zu lange waren wir nachsichtig gegenüber dem Mullah-Regime und nicht einmal bereit, die Revolutionsgarden als Terrororganisation anzuerkennen. Das muss sich ändern.
Zweitens: Wir müssen hierzulande konsequenter sein. Anschläge auf jüdische Gemeinden mit Molotowcocktails sind unerträglich. Menschen jüdischen Glaubens leben in Deutschland wieder in Angst – das muss uns beschämen. Auch dass das Holocaust-Mahnmal mit behelmten Polizistinnen und Polizisten geschützt werden muss, ist eine Schande. Was ist zu tun? Das Verbot von Organisationen wie Samidoun, die den Terror gegen Israel auf der Berliner Sonnenallee feierte, ist jetzt unverzüglich durchzusetzen. Allen Institutionen in Deutschland, die gegen Juden und Israel hetzen, etwa dem Islamischen Zentrum in Hamburg, müssen wir die Grundlage entziehen. Wir müssen sicherstellen, dass Betätigungsverbote auch nicht umgangen werden. Aber auch das allein reicht nicht.
Islamhass darf nicht die Antwort auf Israel-Hass sein
Sind Gewaltaufrufe und die Sehnsucht nach israelischen Niederlagen eine zulässige Meinungsäußerung? Solche Fragen müssen wir konsequent beantworten: Das Existenzrecht des Staates Israel darf nicht angezweifelt werden. Es ist eine rote Linie, die wir in Deutschland klar ziehen. Wer sie überschreitet, muss mit Verfahren rechnen. Daher darf es keine Nachlässigkeiten und Ausnahmen mehr geben. Die Polizei muss bei entsprechenden Vorfällen auch alle Personalien aufnehmen. Zu oft haben wir in den letzten Tagen das Gegenteil erlebt. Nur so kommt es auch zu Verfahren, die zu Konsequenzen führen – sowohl bei der Bestrafung deutscher Täter, als auch bei der Beendigung des Aufenthaltsrechts von Menschen ohne deutsche Staatsbürgerschaft. Und im Staatsbürgerschaftsrecht müssen wir gesetzlich festschreiben, dass Menschen gar nicht Deutsche werden können, die Antisemiten sind.
Wenn Menschen mit antisemitischen Taten davonkommen, wenn jüdische Einrichtungen nicht mit aller Konsequenz wirksam geschützt werden, ist das ein dramatisches politisches Versagen. Und wenn die Hauptstadt Berlin allein nicht in der Lage sein sollte, etwa gegen Ausschreitungen vorzugehen, dann muss es eine Aufgabe aller Länder und des Bundes sein, sie mit Polizeikräften zu unterstützen.
Unsere Antwort auf Israel-Hass darf nicht Islamhass, sondern muss der Rechtsstaat sein. Nicht Millionen deutscher Muslime müssen bekämpft werden, sondern Straftaten und Antisemitismus – egal von wem und in wessen Namen. Wer seine ohnehin bestehende, stumpfe Ablehnung von Muslimen unter der Überschrift des Kampfes gegen Antisemitismus verkauft, instrumentalisiert das Leid der Jüdinnen und Juden für seine oft verschwörungstheoretischen oder extremen Zwecke. Eine liberale Gesellschaft darf das nicht zulassen. Genauso wenig darf sie aber länger die Augen vor den vielfältigen Quellen des heutigen Antisemitismus verschließen: Wir müssen ihm auch in den muslimischen Communitys entgegentreten und dabei endlich deren Abhängigkeit von hetzenden Akteuren und Verbänden, oft unter dem Einfluss von Erdoğans Türkei, beenden.
Gemeinsame Faktenbasis nötig
Seit Jahren reden wir etwa über Imame, die an deutschen Universitäten ausgebildet werden. Wann, wenn nicht jetzt, sollen sie endlich kommen? Wir müssen dem Rechtsextremismus entgegentreten, denn vor vier Jahren verhinderte nur die dicke Holztür der Synagoge in Halle das schlimmste antisemitische Massaker auf deutschem Boden seit Gründung der Bundesrepublik. Wir müssen auch linke Hetze bekämpfen, die unter dem Deckmantel von Antikolonialismus immer wieder um Deutungshoheit ringt, wenn etwa dieser Tage „free Palestine from german guilt“ skandiert, von Israel (mit rund zwei Millionen arabischstämmigen Staatsbürgern) als einem „Apartheid-Regime“ schwadroniert oder die antiisraelische BDS-Bewegung hofiert wird. Und wir müssen dem latenten, oft auch unbewussten Antiisraelismus und Antisemitismus im Alltag entgegentreten, etwa wenn selbst öffentlich-rechtliche Nachrichteninstitutionen ungeprüft Hamas-Propaganda zur Grundlage von Berichterstattung machen.
All das wird nur gelingen, wenn wir – drittens – den Nährboden austrocknen, der immer offenkundiger zur Quelle des gedanklichen Sumpfes wird: die grassierende Ahnungslosigkeit über die Grundlagen der Geografie und der Geschichte der Region, über die objektiven Ereignisse des Nahostkonfliktes seit 1948 und der Geschichte des stets bedrohten Israels, der einzigen Demokratie im Nahen Osten. Man kann bei Streitfragen des Konfliktes oder bei der konkreten Bewertung israelischer Regierungen unterschiedlicher Meinung sein. Aber es muss dafür eine gemeinsame und integre Faktenbasis geben. Wer aber dieser Tage etwa mit jungen Menschen palästinensischer Abstammung oder Teilen unserer muslimischen Communitys spricht, wird teils konfrontiert mit dem grässlichen Widerhall von Desinformation und Propaganda – durch (Staats-)Fernsehen aus Katar oder der Türkei, in sozialen Netzwerken, am Küchentisch oder auf dem Schulhof. Bildung muss deshalb eine zentrale Waffe sein im Kampf gegen die Lügenprediger des Hasses. Dagegen hilft ein entsprechender Lehrplan und eine Befähigung Lehrender, die dem gerecht wird. Wenn die Sicherheit Israels wirklich deutsche Staatsräson ist, sollte künftig niemand mehr eine deutsche Schule verlassen, ohne neben Lesen, Schreiben, Rechnen und vielem mehr auch grundlegende Fakten über Israels Geschichte und den Nahostkonflikt vermittelt bekommen zu haben. Denn „Nie wieder“ ist immer: jetzt.