Stellv. Fraktionsvorsitzende

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Katja Suding
Pressemitteilung

SUDING-Gastbeitrag: Von wegen muslimische Harems

Die stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Katja Suding schrieb für die „Welt“ (Mittwochsausgabe) den folgenden Gastbeitrag:

Das FDP-Konzept für einen Zivilpakt hat eine Debatte losgetreten. Bisweilen beflügelt sie die Fantasie. Dann ist von Harems muslimischer Vielehen und betagten Nachbarsdamen, die ein lesbisches Verhältnis vortäuschen, die Rede. Solche Fantasien sagen sehr viel mehr über ihre Autoren aus als über unsere Gesellschaft. Der Zivilpakt soll und wird das Beziehungsgefüge in Deutschland nicht ändern. Das haben auch die eingetragene Lebenspartnerschaft und die Ehe für alle – trotz entsprechender Befürchtungen – nicht geschafft. Es geht vielmehr darum, diejenigen Menschen in unserem Land zu unterstützen, die Verantwortung füreinander übernehmen, auch wenn sie nicht eng verwandt oder verheiratet sind. Es geht also im Kern darum, die Gesellschaft zu Stärken – über die Stärkung ihrer kleinen Einheiten, die sie Zusammenhalten.

Solche Verantwortungsgemeinschaften sind weit weniger exotisch, als mancher Kommentar weismachen will: die beiden Damen, die seit Jahrzehnten gemeinsam leben, ohne ein lesbisches Paar zu sein (oder das vorzutäuschen), die Freunde, von denen der eine den anderen pflegt, und die alleinerziehende Mutter, die mit ihrem Kind und einer Ersatzoma zusammenlebt. Das gab und gibt es tausendfach.

Andere Staaten erkennen Verantwortungsgemeinschaften jenseits von Ehe und enger Familie längst an. Frankreich war hier Vorreiter und blickt inzwischen auf fast 20 Jahre Erfahrung zurück: Der pacte civil de solidarité in Frankreich ist so beliebt, dass ihn fast so viele Menschen eingehen wie die Ehe. Aber eben nicht auf Kosten der Ehe, die fast unvermindert häufig abgeschlossen wird.

Es gibt sie also schon, die Vielfalt an Wahlverwandtschaften. Aber unser Staat erkennt sie kaum an und fordert sie nicht. Ganz im Gegenteil, er belastet sie einseitig. Der Staat kennt beispielsweise die sogenannten Bedarfsgemeinschaften bei Hartz IV, das nur gezahlt wird, wenn ein Partner in dieser Gemeinschaft den anderen nicht versorgen kann. Von sozialer Hängematte kann also keine Rede sein.

Wenn der Staat bei Bedarfsgemeinschaften anerkennt, dass Menschen auch jenseits von Ehe und engerer Verwandtschaft Verantwortung füreinander übernehmen, sollte er das auch darüber hinaus. Unsere Gesellschaft wird das stärker machen.

Wenn Menschen mehr Möglichkeiten haben, füreinander einzustehen, wird das Sozialsystem entlastet und kann zielgerichteter wirken. Was ist dagegen einzuwenden, wenn es steuerlich anerkannt würde, dass der Großneffe seine Großtante unterstützt? Geschiedene Paare könnten auch über eine Trennung hinaus leichter füreinander einstehen. Patchwork- und Regenbogenfamilien könnten regeln, wer mit den Kindern zum Arzt gehen darf und wer ein Auskunftsrecht hat.

Über die konkrete Ausgestaltung muss diskutiert werden. Das steht außer Frage. Notwendig ist ein Baukastensystem, bei dem Rechte und Pflichten aufeinander abgestimmt sind. Vorteile bei Steuern und Rente darf es nur geben, wenn auch entsprechend hohe Verantwortung übernommen wird.

Die Einführung eines Zivilpakts in Deutschland wird die gesellschaftlichen Bindungen weder auflösen noch verschieben. Er würde sie vielmehr festigen, weil er diejenigen Menschen unterstützt, die bereits jetzt Verantwortung füreinander übernehmen. Als Gesellschaft muss genau das unser Ziel sein.

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