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LAMBSDORFF-Interview: Deutsche Ratspräsidentschaft muss eine Wirtschaftspräsidentschaft werden
Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Alexander Graf Lambsdorff gab „rnz.de“ das folgende Interview. Die Fragen stellte Andreas Herholz:
Frage: Deutschland übernimmt die EU-Ratspräsidentschaft. Europa streitet über Corona-Hilfen und ein Wiederaufbauprogramm. Union und SPD beraten beim Koalitionsgipfel über die Agenda. Welche Erwartungen haben Sie?
Lambsdorff: Die Europäische Union steht vor einem Herbst der Unternehmenspleiten und einem Anstieg der Arbeitslosigkeit. Die deutsche Ratspräsidentschaft muss deshalb eine Wirtschaftspräsidentschaft werden. Wir brauchen ein Wiederaufbauprogramm, das Jobs schafft und nicht alte Subventionsstrukturen verfestigt. Es braucht außer einem Brexit-Deal auch neue Impulse für den Freihandel und einen Haushalt, der mehr Geld für Forschung und Digitalisierung vorsieht.
Frage: Das Wiederaufbauprogramm soll bis zu 750 Milliarden Euro an Corona-Hilfen umfassen. Ist das der richtige Weg aus der Krise?
Lambsdorff: Die sparsamen Vier, Österreich, Dänemark, Schweden und die Niederlande, haben Recht. Es muss erst einmal der konkrete Bedarf an Hilfen ermittelt werden. Es sollten auch keine Zuschüsse verteilt, sondern Kredite gegeben werden. Das Geld muss dann auch wirklich in Strukturreformen investiert werden, vor allem in den Gesundheitssektor. Es dürfen keine versäumten Strukturreformen mit Geld zugeschüttet werden.
Frage: Kanzlerin Merkel drängt auf eine schnelle Auszahlung der Hilfen, aber auch auf schnelle Rückzahlung. Ist das realistisch?
Lambsdorff: Wir treten als FDP immer für finanzielle Generationen-Gerechtigkeit ein. Sich jetzt 750 Milliarden Euro auszuleihen und die Rückzahlung auf den Sankt-Nimmerleinstag zu verschieben, wäre einfach ungerecht. Wir brauchen eine solide Finanzpolitik und dürfen die Probleme von heute nicht bei unseren Kindern und Enkeln abladen.
Frage: Die deutschen EU-Beiträge sollen um mehr als 40 Prozent steigen. Kommt der Brexit die Steuerzahler jetzt teuer zu stehen?
Lambsdorff: Es war lange bekannt, dass wir nach dem Brexit höhere Beiträge in die EU zahlen werden müssen. Und es ist richtig, in die EU zu investieren. Das Institut für Weltwirtschaft in Kiel hat berechnet, dass Deutschland jedes Jahr einen Nettogewinn von 175 Milliarden Euro aus der EU zieht. Mal ganz abgesehen von Frieden und Stabilität, die man in Euros gar nicht beziffern kann. Bei aller Kritik im Detail: Europa ist gut für Deutschland.
Frage: China will mit dem Sicherheitsgesetz für Hongkong die Grundrechte und Freiheitsrechte dort einschränken. Muss die EU hier nicht ein deutliches Zeichen setzen?
Lambsdorff: Die Bundesregierung sollte den EU-China-Gipfel in ihrer Ratspräsidentschaft absagen und nicht einfach nur verschieben. China tritt in Hongkong Menschenrechte und demokratische Freiheiten mit Füßen. Da wäre es grundfalsch, der chinesischen Regierung noch mit einem Gipfel eine Plattform für Schönrednerei und Schönfärberei zu geben. Deutschland sollte mit den EU-Partnern China gegenüber selbstbewusster auftreten.
Frage: Es gibt noch immer keine Einigung auf eine gemeinsame Flüchtlingspolitik der EU. Wie könnte eine Lösung aussehen?
Lambsdorff: Wir brauchen eine Reform der Dublin-Verordnung. Es muss einen Verteilungsschlüssel und einen finanziellen Solidaritätsmechanismus geben. Länder, die nicht so viele Flüchtlinge aufnehmen können oder wollen, wie es die Kommission vorsieht, müssen sich dann stärker an den Kosten der anderen Ländern beteiligen. Die europäische Asylagentur muss gestärkt werden. Und wir brauchen einheitliche Kriterien, nach denen beurteilt wird, ob jemand Asyl erhält oder nicht.