Zuständig für „Freiheit und Menschenrechte weltweit“: Auswärtiges, Angelegenheiten der Europäischen Union, Menschenrechte und humanitäre Hilfe, Verteidigung, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
LAMBSDORFF-Interview: Airlines sind strategische Unternehmen
Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Alexander Graf Lambsdorff gab „Cicero Online“ das folgende Interview. Die Fragen stellte Alexander Marguier:
Frage: Alexander Graf Lambsdorff, der Bund könnte bei der Lufthansa als neuer Miteigentümer einsteigen. Als Fraktionsvize einer marktliberalen Partei dürften Sie von diesen Plänen wenig begeistert sein, oder?
Lambsdorff: Richtig und Falsch. Grundsätzlich wissen wir als Freie Demokraten, dass Politiker nicht die besseren Unternehmer sind. Die Lufthansa selbst hat unter dem Einfluss der Politik in den 1980er Jahren enorm gelitten. Gleichzeitig müssen wir jedoch verhindern, dass Länder wie China die Covid-19-Pandemie nutzen, um europäische Schlüsselindustrien zu übernehmen und ihren globalen Einfluss weiter auszubauen. Deswegen ist es unter bestimmten Voraussetzungen richtig, die Lufthansa zu unterstützen.
Frage: Unter welchen Voraussetzungen halten Sie eine Staatsbeteiligung an der Lufthansa denn für angemessen?
Lambsdorff: Ich halte es zum einen für essentiell, dass die Politik keinen Einfluss auf das operative Geschäft des Unternehmens nimmt. Daher muss sichergestellt sein, dass die Bundesregierung ihre zwei Plätze im Aufsichtsrat mit unabhängigen Experten besetzt und nicht mit Ministerialbeamten. Zum anderen muss es einen klaren Exit-Fahrplan geben. Dass die Bundesregierung wie im Fall der angeschlagenen Commerzbank bis zum Sankt Nimmerleinstag Miteigentümer bleibt, darf nicht passieren.
Frage: Es gilt als sicher, dass der Luftverkehr in den nächsten Jahren schrumpfen wird. Mit einem staatlichen Rettungspaket würde doch letztlich auf Kosten des Steuerzahlers in ein wenig zukunftsträchtiges Geschäftsmodell investiert.
Lambsdorff: IATA, ICAO und Eurocontrol gehen eher von steigenden Passagierzahlen in den nächsten 20 Jahren aus, vor allem in Asien, aber auch in Europa, sowohl für Passagier- als auch für Frachtflüge. Die Lufthansa war hochprofitabel, bevor sie durch die Covid-19-Pandemie unverschuldet schwer getroffen wurde. Selbst wenn der Luftverkehr in den nächsten Jahren schrumpfen sollte, traue ich der Lufthansa eine gute Unternehmensführung zu. Erste Post-Corona-Pläne hat der Vorstandsvorsitzende Carsten Spohr ja auch schon vorgestellt. Nur wenn das Unternehmen überlebt, hat es überhaupt die Möglichkeit, seine Zukunftsfähigkeit und damit viele Arbeitsplätze zu sichern.
Frage: Es heißt jetzt immer wieder, die Lufthansa müsse vor einer feindlichen Übernahme geschützt werden. Allerdings sind auch andere Unternehmen vor feindlichen Übernahmen nicht gefeit. Warum erfährt die Lufthansa eine Sonderbehandlung?
Lambsdorff: Airlines werden von allen größeren Ländern als strategische Unternehmen angesehen. In den USA, dem Land der Marktwirtschaft, darf kein Ausländer mehr als 25 Prozent an einer Airline halten.
Frage: Ein großes Land wie die Bundesrepublik brauche auch eine deutsche Airline, heißt es immer wieder. Dieses Argument ist also auch aus Ihrer Sicht stichhaltig?
Lambsdorff: Luftfahrt in großem Maßstab ist keine Branche wie jede andere, was man ja auch jetzt in der Krise sehen konnte. Sowohl bei der Rückführung von Deutschen und EU-Bürgern nach Hause als auch bei den Transportflügen für medizinische Schutzausrüstung war die Lufthansa im Einsatz. Bei der Lufthansa handelt es sich nicht nur um eine der größten europäischen Luftfahrtgesellschaften, sondern auch um eine der wenigen, die sich zwischen vielen amerikanischen und chinesischen Unternehmen noch unter den Top 15 weltweit befindet.
Frage: Die österreichische Austrian Airlines und die Schweizer Swiss gehören auch seit Jahren zum Lufthansa-Konzern. Von einem Souveränitätsverlust der beiden Länder kann gleichwohl keine Rede sein.
Lambsdorff: Wir sprechen ja auch nicht von einem Souveränitätsverlust, sondern von dem Schutz nationaler Schlüssel-Infrastruktur. Was man darunter fasst und was nicht, ist immer eine Frage der Abwägung, und selbstverständlich spielt dabei auch die Größe eines Landes eine gewisse Rolle.
Frage: Die SPD hätte bei einer Lufthansa-Beteiligung gern eine Sperrminorität von 25 Prozent plus eine Aktie – die Lufthansa will genau das verhindern, weil sie eine Einmischung des Staates fürchtet. Übersetzt heißt das aus Unternehmenssicht: „Euer Geld nehmen wir gern, aber zu sagen habt ihr nichts.“ Nach einem fairen Deal klingt das nicht.
Lambsdorff: Welche Strecken werden wie häufig und mit welchem Fluggerät bedient? Wollen wir das im Verkehrsausschuss des Bundestages entscheiden? Das ist doch Paläo-Sozialismus, die reine Planwirtschaft. Vorstand und Manager müssen das entscheiden. Ein Einstieg ohne jedes Mitspracherecht ist kapitalmarktrechtlich ohnehin nicht möglich. Worum es geht, ist ein vernünftiger Kompromiss zwischen Mitsprache und unternehmerischer Freiheit. Der Einstieg mit 20 Prozent, also ohne Sperrminorität und entsprechende Entscheidungsbefugnisse, stellt einen solchen dar, zumal über die Wandelschuldverschreibung eine Erhöhung des Anteils erreicht werden kann, falls es zum Versuch einer feindlichen Übernahme kommen sollte.
Frage: Wegen der Corona-Krise wird wohl nicht nur die Lufthansa staatlich gepäppelt, sondern auch die deutsche Autoindustrie. Die Bundesregierung scheint ein Faible für Großkonzerne zu haben, die für Ressourcenverbrauch und Old Economy stehen. Wäre da nicht ein Paradigmenwechsel angebracht?
Lambsdorff: Schlüsselbranchen in Deutschland sichern Millionen von Arbeitsplätzen und Existenzen, und diese Pandemie geht nicht auf unternehmerische Fehler zurück. Dass die Luftfahrt heute für Old Economy stehen soll, sehe ich nicht ganz so; allein die Cargo-Sparte der Lufthansa spart durch leichtere Container jährlich tausende Tonnen CO2 ein. Und das Auto wird einer der Gewinner dieser Pandemie werden, die Hersteller brauchen keine Hilfe, deswegen hat sich die FDP auch ganz klar gegen die Idee einer Abwrackprämie gestellt. Den Paradigmenwechsel brauchen wir ganz woanders: Die Bundesregierung verschläft die Digitalisierung, was wir an der 5G-Debatte und der Tragödie um die Corona-Tracing-App einmal mehr leidvoll vor Augen geführt bekommen.
Frage: Die Bundeskanzlerin und der französische Präsident wollen, dass die EU für einen Wiederaufbauplan nach Corona 500 Milliarden Euro Schulden aufnimmt. Wäre das der endgültige Einstieg in die Vergemeinschaftung von Schulden?
Lambsdorff: Das nicht, aber es wäre der Ausstieg aus dem Verschuldungsverbot für die EU, das die Verträge aus gutem Grund seit langem festschreiben. Ich halte Hilfen der EU jedoch für immens wichtig. Besser und vor allem politisch aussichtsreicher als einfache Geldgeschenke ist es, auf die Europäische Investitionsbank (EIB) zurückzugreifen. Aus meiner Sicht ist die EIB das richtige Instrument, um Zuschüsse und Investitionen schnell, verlässlich und rechtssicher zu ermöglichen und die Wirtschaft in ganz Europa nach der Krise wieder anzukurbeln.
Frage: Als Oppositionspartei tun Sie sich jetzt mit Kritik leicht. Wollen Sie ernsthaft behaupten, die Rettungspolitik wäre anders verlaufen, wenn sich die FDP zum Mitregieren in einer Jamaika-Koalition entschieden hätte?
Lambsdorff: Bestimmte Maßnahmen waren unausweichlich, anderes steht völlig zurecht in der politischen Diskussion. Natürlich tut es dem Land gut, wenn eine marktwirtschaftliche Kraft mit am Regierungstisch sitzt und ihre Positionen für Mehrheiten berücksichtigt werden müssen. Die Gefahr, dass in einzelne Unternehmen aus der Politik hineinregiert würde, wie die SPD das will, gäbe es mit uns jedenfalls nicht.
Frage: So richtig viel ist von der FDP aber nicht zu hören. Befindet sich Ihre Partei in der Corona-Starre?
Lambsdorff: Das Gegenteil ist der Fall: Gerade wir nehmen den Verfassungsauftrag zur Kontrolle der Regierung sehr ernst. Wer hat denn die Freiheitsrechte der Bürger in der Krise immer wieder und auch bei heftigem Gegenwind thematisiert? Das waren die Freien Demokraten. Zugleich zeigen wir überzeugend auf, wie der Spagat zwischen guter Gesundheitsvorsorge und gesellschaftlicher sowie wirtschaftlicher Belebung gelingen kann, denn wir stehen in drei Bundesländern selber in Regierungsverantwortung. Das ist nicht starr, das ist liberal, mutig und lösungsorientiert.