STARK-WATZINGER-Gastbeitrag: Die Finanzierung der Grundrente geht auf Kosten der Kleinsparer
Das FDP-Fraktionsvorstandsmitglied und Vorsitzende des Finanzausschusses Bettina Stark-Watzinger schrieb für „Focus Online“ den folgenden Gastbeitrag:
Endlich weißer Rauch beim Thema Grundrente – könnte man sagen. Kompromisse gehören zu Koalitionsregierungen. Das macht die Demokratie aus. Ein schlechter Kuhhandel, wie der vorliegende, allerdings nicht. Schlimmer noch: Union und SPD missbrauchen weiterhin die Sozialsysteme, um gemeinsam weiter zu regieren.
Die politischen Einschätzungen und Kommentare sind eindeutig: Es ist eine Gesichtswahrung für beide Seiten, bei der keiner gewonnen oder verloren hat. In der Sozialpolitik geht es aber nicht um Gesichtswahrung. Die Grundrente ist auch nicht alternativlos, zu der sie insbesondere von den Sozialdemokraten gemacht wurde.
Niemand bestreitet, dass Menschen, die ihr Leben lang gearbeitet haben, im Ruhestand mehr erhalten sollen als andere. Ein finanziell selbstbestimmtes Leben im Alter muss Kernanliegen jeder Partei sein. Der Weg, den die Große Koalition dorthin aber eingeschlagen hat, ist unsolide finanziert. Er untergräbt das Grundgerüst der Rentenversicherung und trägt nicht wirklich zur Lösung der Altersarmut bei.
Ganz nebenbei im Kleingedruckten des Kompromisses erwähnen Union und SPD, wo überhaupt das Geld für die Grundrente herkommen soll. Das Finanzministerium plant die Einführung einer Finanztransaktionssteuer. Olaf Scholz veranschlagt 1,5 Mrd. Euro Einnahmen für die Finanzierung der Grundrente. Kleiner Haken an der Sache: Die Finanztransaktionssteuer gibt es noch nicht.
Dass Scholz nicht viel von privater Vorsorge hält, ist bekannt. Ihn beträfe eine Finanztransaktionssteuer nicht. So sagte er in einem Interview, dass er sich kaum mit Geldanlagen beschäftige, sein Geld liege einfach auf dem Sparbuch rum. Das mag sich ein Finanzminister mit guter Absicherung leisten können, für Millionen von Arbeitnehmern, die nicht die umfassende Altersversorgung eines Politikers haben, ist das keine Lösung.
Der Bundesfinanzminister stellt gerne den sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft in das Zentrum seiner Reden. Die Mitte der Gesellschaft ist sich ihrer sozialen Verantwortung sehr bewusst. Sie kann aber nicht zum Goldesel sozialpolitischer Vorhaben der Großen Koalition gemacht werden.
Es ist daher falsch, dass Menschen, die privat mit Aktien fürs Alter vorsorgen, herangezogen werden, um die Grundrente zu finanzieren. Ziel jeglicher Politik muss es sein, dass die Bürger gar nicht erst staatliche Leistungen in Anspruch nehmen müssen. Statt den Menschen zu helfen, Vermögen aufzubauen, bestraft das neue Vorhaben die „Mitte“ der Gesellschaft. Dabei ist Aktiensparen der vielversprechendste Weg in der Niedrigzinsphase, die Bürger wohlhabend zu machen. Es zeigt sich wieder, dass die Leistungsträger keine Fürsprecher in der Großen Koalition haben.
Die Begründung für die Einführung der Finanztransaktionssteuer war, die Verursacher der Finanzkrise an deren Kosten zu beteiligen. So war sie denn auch in der ersten Formulierung als niedrige Steuer auf alle Finanzprodukte ausgelegt. Dieser Ansatz ist nun vom Tisch. Niemand wird behaupten, dass ausgerechnet Aktien für die Finanzkrise verantwortlich waren. In der neuen Version werden aber nur noch Aktien besteuert. Profis können die Steuer leicht umgehen, indem sie mit Derivaten statt mit Aktien handeln; Kleinaktionäre können dies nicht. Ausgerechnet die von linken Politikern oft als „Teufelszeug“ titulierten Derivate werden von der Besteuerung ausgenommen. Diese Logik der Finanztransaktionssteuer kann man nicht verstehen. Sie ist weder leistungs- noch sachgerecht.
Zu Zeiten der Agenda 2010 hieß es bei der SPD noch, man brauche den vorsorgenden statt den versorgenden Sozialstaat. Heute werden die Menschen, die privat Vorsorge betreiben, im Stich gelassen. Wer der Mitte der Gesellschaft keine Beachtung schenkt, spaltet die Gesellschaft.
Ministerpräsidentin Malu Dreyer hat die Grundrente als wichtigen sozialpolitischen Meilenstein bezeichnet. Dieser Meilenstein greift aber einen wesentlichen Grundsatz unserer Rentenversicherung an: Jeder eingezahlte Euro soll gleich viel wert sein. Dieses Prinzip ist mehr als mathematische Äquivalenz. Es ist das Fundament, auf dem das Vertrauen der Menschen in das Rentensystem beruht. Mit dem Konzept der Grundrente, bei der einzelne Rentenpunkte zu Lasten der anderen Versicherten mit einem Zu- oder Abschlag versehen werden können, ist der Willkür für weitere Zu- und Abschläge Tür und Tor geöffnet. Hinzu kommt, dass mit der Einkommensprüfung neue Ungerechtigkeiten und damit Verteilungsdiskussionen entstehen werden. Soll zukünftig auch bei Hartz IV oder der Sozialhilfe auf eine Vermögensprüfung verzichtet werden?
Es muss klar sein: Umverteilung gehört nicht in das Renten-, sondern in das Steuersystem. Die Bundesregierung hat diesen Grundsatz aufgegeben. Dieser Schaden wird größer sein als die finanziellen Belastungen. Eine solch weitreichende Entscheidung mit Blick auf zwei bevorstehende Parteitage, zeigt die Anfälligkeit, die Sozialkassen für Wahlkampf-Zwecke zu entfremden.
Ja, wir brauchen endlich eine faire und zielgerichtete Hilfe gegen Altersarmut. Dies kann man aber auf anderem Wege besser erreichen. Wir müssen die betriebliche und private Altersvorsorge ausbauen – gerade auch für Personen, die am Monatsende kaum Geld übrig haben, um zu sparen. Dazu sollten wir ergänzend eine Basisrente anstelle der Grundrente einführen. Bei diesem Vorschlag bleibt es beim Äquivalenzprinzip in der Rentenversicherung. Erreicht wird dies durch einen Freibetrag in der Grundsicherung im Alter für Einkünfte aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Konkret schlagen die Freien Demokraten einen Freibeitrag in Höhe von 20 Prozent der Rentenansprüche vor. Zudem sollen Beantragung und Auszahlung der Basisrente unter dem Dach der Rentenversicherung zusammengeführt werden, damit der Gang zum Sozialamt zukünftig entfällt. Der Vorschlag zeigt, es gibt bessere Alternativen, um die Ziele zu erreichen.
Mit der Grundrente wurde nicht mehr erreicht, als den koalitions- sowie den parteiinternen Frieden zu sichern. Sie greift allerdings weitgehend in die Fundamente unserer Sozialversicherung ein. Überdenken werden Union und SPD diese Entscheidung allerdings nicht mehr. Zu heftig waren die vorausgegangenen Streitereien. Überdenken muss die Große Koalition aber die Finanzierung dieses Vorhabens. Die Finanztransaktionssteuer, die leider zu einer Kleinaktionärssteuer gedreht wurde, schadet der privaten Altersvorsorge. Wir sollten nicht auch noch damit beginnen, die Grundrente gegen die private Altersvorsorge auszuspielen. Wenn wir eins stattdessen tun sollten – auch mit Blick auf das Ausland – dann doch den Vermögensaufbau mit Aktien attraktiver zu machen.