Stellv. Fraktionsvorsitzender

Zuständig für „Freiheit und Menschenrechte weltweit“: Auswärtiges, Angelegenheiten der Europäischen Union, Menschenrechte und humanitäre Hilfe, Verteidigung, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

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Alexander Graf Lambsdorff
Pressemitteilung

LAMBSDORFF-Interview: Vertrauen braucht Zeit

Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Alexander Graf Lambsdorff gab der „Welt am Sonntag“ (aktuelle Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten Peter Huth, Thorsten Jungholt und Jacques Schuster:

Frage: Graf Lambsdorff, Sie waren Vizepräsident des Europäischen Parlaments. Jetzt sind Sie einer von sechs stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der FDP im Bundestag. Ist das ein Auf- oder ein Abstieg?

Lambsdorff: Für die FDP ist es ein wunderbarer Wiederaufstieg, nach vier Jahren in der zweiten Liga wieder im Deutschen Bundestag anzutreten. Für mich persönlich ist es ein Umstieg. Ich bin nicht mehr in Brüssel, sondern in Berlin für die liberale und die europäische Sache tätig.

Frage: Ein Ministeramt wäre ein persönlicher Aufstieg. Stünden Sie dafür zur Verfügung?

Lambsdorff: Diese Frage stellt sich gegenwärtig nicht.

Frage: Wie wahrscheinlich ist Jamaika nach dem Verlauf der ersten Gesprächsrunden?

Lambsdorff: Die Sondierungen haben gut angefangen, aber jetzt sind wir in einer schwierigen Phase. Vertrauen braucht Zeit. Mit dieser Konstellation unternehmen wir ja eine Art Expedition: Vier Parteien machen sich auf eine gemeinsame Reise durch unbekanntes Gelände und wissen nicht, ob sie gemeinsam ankommen. Es war klar, dass es große inhaltliche Differenzen gibt, aber es gibt auch Konstruktives.

Frage: Wirklich? Wir hören von Stillstand, Gewittern und der Drohung, die Gespräche platzen zu lassen. Wie ernst ist das zu nehmen?

Lambsdorff: Wir sollten nicht jede Äußerung so hoch hängen. Vergessen Sie nicht, dass wir noch ganz am Anfang sind. Die ersten Schritte sind schwierig. Wir sollten uns jetzt auf die Ausarbeitung der Papiere konzentrieren. Klar, dass es da noch verschiedene Deutungen gibt und auch mal rumpelt.

Frage: Wie lange darf man sondieren, ehe ein Abbruch unglaubwürdig wird?

Lambsdorff: Wir müssen Thema für Thema behandeln, schrittweise nach Möglichkeiten suchen, um zusammenzukommen. Am Ende werden alle schauen müssen, ob sie die Ergebnisse mittragen können. Keinem ist damit gedient, wenn es am Ende zu einer Regierung kommt, die sich vier Jahre lang nur streitet.

Frage: Liberale und Grüne waren jahrelang in herzlicher Abneigung miteinander verbunden. In seinem neuen Buch entwirft Ihr Vorsitzender Christian Lindner ein Szenario, dass beide Parteien sich verständigen – und sich den größeren Partner, Union oder SPD, „dereinst“ aussuchen können. Klingt eher nach Vision für die fernere Zukunft.

Lambsdorff: Und doch muss es in diese Richtung gehen. Unser Parteiensystem wandelt sich. Das haben nicht die Parteien, sondern die Wähler so entschieden. Erstens gibt es keine Volksparteien mehr, die 40 Prozent plus x der Stimmen gewinnen. Die Union hat weniger als ein Drittel der Wählerstimmen bekommen, die SPD gerade noch ein Fünftel. Zweitens haben wir eine Partei rechts außen im Bundestag, mit der niemand zusammenarbeiten will und eine Partei links außen, die im Bund regierungsunfähig ist. Also bleibt drittens Liberalen und Grünen gar nichts anderes übrig, als miteinander zu reden. Bündniskonstellationen wie Jamaika werden häufiger nötig. Auf kommunaler und Landesebene sehen wir das schon länger.

Frage: Braucht eine Koalition ein Projekt?

Lambsdorff: Wir brauchen keine hochtrabenden Schlagworte wie die „geistig-moralische Wende“. Es muss um praktische Lösungen für handfeste Probleme gehen. Wir Liberale wollen Funklöcher schließen, Schulen modernisieren und eine steuerliche Entlastung der Mitte. Deshalb wollen wir endlich den Soli abschaffen. Union und Grüne haben andere Projekte. Wenn Sie eine Überschrift brauchen: Nennen Sie uns die Modernisierungskoalition.

Frage: Europa ist ein zentrales Thema der Sondierungsgespräche, das Papier dazu sehr allgemein. Braucht es nicht endlich eine konkrete deutsche Antwort auf Emmanuel Macrons Europa-Rede?

Lambsdorff: Manche haben Macron dafür kritisiert, dass er seine Rede so kurz nach der Bundestagswahl gehalten hat. Ich fand diesen Zeitpunkt genau richtig. Wir wissen jetzt, was er denkt.

Frage: Was fanden Sie besonders wichtig?

Lambsdorff: Er hat ein neues Verständnis der Souveränität eingeführt. Macron geht es in erster Linie um Europas Selbstbehauptung auf der Weltbühne, dafür sei Frankreich allein zu schwach. Das stimmt und gilt genauso für uns hier in Deutschland. Die Antwort muss also Europa heißen. Wir müssen jetzt Antworten geben: Wie soll unsere neue, gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik aussehen? Wie schützen wir die EU-Außengrenzen? Wie gestalten wir das Verhältnis zu Afrika? Gemeinsam mit Paris sollten wir auch schauen, wo wir die bilateralen Verbindungen vertiefen können.

Frage: Zum Beispiel?

Lambsdorff: Macron hat vorgeschlagen, den Élysée-Vertrag zu aktualisieren. Das finde ich eine gute Idee. Frankreich hat außenpolitisch eine herausgehobene Position. Es ist Nuklearmacht und ständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat. Deutschland wiederum ist die stärkste Wirtschaftsmacht der EU. Warum schaffen wir aus dieser Konstellation heraus nicht eine permanente Koordinierung unseres Auftretens in den Vereinten Nationen, im Sinne Europas?

Frage: Die Grünen stellen die nukleare Teilhabe Deutschlands infrage und wollen die US-Atomwaffen aus der Eifel abziehen. Wie wollen Sie mit so einer Partei den Ausbau der sicherheitspolitischen Zusammenarbeit mit der Nuklearmacht Frankreich erreichen?

Lambsdorff: Anders als die Linkspartei sind die Grünen auf dem Feld der Verteidigungspolitik profiliert und pragmatisch. Sie wissen, dass die Nato ein nukleares Bündnis ist, in dem nur mitentscheiden darf, wer einen Teil dieser Last trägt. Würden die ganz wenigen noch vorhandenen Waffen abgezogen, könnten wir als Deutsche in der Nato bei dieser Frage unsere Werte nicht mehr vertreten, unsere Interessen nicht mehr behaupten. Das wäre kurzsichtig: Einfluss hat nur, wer in allen entscheidenden Gremien Sitz, Stimme und Gehör unserer Partner hat.

Frage: Wie wollen Sie die Grünen von der Notwendigkeit einer Abschiebepolitik überzeugen?

Lambsdorff: Flüchtlingspolitik ist viel mehr als Abschiebung. Wir haben zahlreiche Berührungspunkte mit den Grünen. Denken Sie an ein Einwanderungsgesetz, das beide Parteien fordern. Allerdings müssen wir mit den Grünen über die Frage der sicheren Herkunftsländer reden. Wir finden, dass etwa die Urlaubsländer Marokko oder Tunesien dazugehören.

Frage: Und Afghanistan?

Lambsdorff: Auch Teile Afghanistans sind sicher.

Frage: Sollte die Visavergabe für Staatsangehörige jener Länder erschwert werden, die sich weigern, ihre Bürger zurückzunehmen?

Lambsdorff: Wir haben ein legitimes Interesse daran, dass Länder ihre Staatsangehörigen zurücknehmen, die bei uns keinerlei Anspruch auf Asyl haben. Die Drosselung der Visumsvergabe ist ein sinnvoller Hebel, um sie dazu zu bewegen. Auch die Kürzung der Entwicklungshilfe ist ein Druckmittel oder unser Abstimmungsverhalten in internationalen Organisationen. Schließlich benötigen die Staaten der Dritten Welt oft die Hilfe der EU, etwa um ihre Leute in der Uno zu platzieren. Warum sollten wir einem Staat dabei helfen, wenn er uns auf anderen Gebieten nicht hilft?

Frage: Sollte es zu einer Jamaika-Koalition mit vier Parteien kommen, kann es dann eine Richtlinienkompetenz der Bundeskanzlerin geben? 

Lambsdorff: Die Richtlinienkompetenz steht im Grundgesetz. Aber sollte es tatsächlich zu einer Vierer-Koalition kommen, brauchen wir eine neue Form der Regierungsarbeit. Man wird sich viel häufiger als bisher unter den Koalitionspartnern treffen müssen, um sich zu koordinieren.

Frage: Ein permanenter Koalitionsausschuss also. Wäre das nicht eine Art Nebenregierung?

Lambsdorff: Nein. Wir haben ein parlamentarisches Regierungssystem. Daran will keiner etwas ändern. Aber wir müssen überlegen, wie wir die Regierungsarbeit so reibungslos wie möglich organisieren. Ich halte einen solchen Koalitionsausschuss bei einer Vierer-Koalition für unabdingbar.

Frage: Die FDP sieht allein das Finanzressort auf Augenhöhe mit dem Kanzleramt. Schmerzt Sie als gelernten Diplomaten der offensichtliche Bedeutungsverlust des Auswärtigen Amtes?

Lambsdorff: Über das Haushaltsrecht kann der Finanzminister in jedes einzelne Ministerium eingreifen. Gerade die letzten Jahre haben darüber hinaus gezeigt, wie wichtig das Schatzamt auch auf internationaler Ebene ist. Deshalb darf dieses Ressort nicht die verlängerte Werkbank des Kanzleramts sein. Im Übrigen sehe ich den Bedeutungsverlust des Auswärtigen Amtes nicht. Brexit, Umgang mit der Türkei, Russland und Ukraine-Krise, die neue Politik der Trump-Administration: Das Außenministerium muss gewaltige Herausforderungen stemmen, damit Frieden und Stabilität erhalten werden.

Frage: Ihre Parteifreunde Christian Lindner und Wolfgang Kubicki haben ein bemerkenswertes Verständnis für die Politik von Russlands Präsident Putin entwickelt und fordern ein Einfrieren der Krimkrise, weniger Sanktionen und mehr Dialog statt Nato-Soldaten in Osteuropa. Was fasziniert Liberale an einem Autokraten?

Lambsdorff: Nichts. Die Frage stimmt ja auch nicht, denn wir haben kein Verständnis für Putins Expansionspolitik in der Ukraine. Aber selbst die Regierung in Kiew rechnet nicht damit, dass Moskau die Krim in absehbarer Zeit zurückgeben wird. Wir schätzen das ähnlich ein. Dass in dieser Situation bei Themen von gemeinsamem Interesse der Dialog mit Moskau möglich sein muss, ist eine Position, zu der wir stehen. Dennoch ist unsere rechtliche Position eindeutig: Die Besetzung der Krim ist ein schwerer Verstoß gegen das Völkerrecht. Die Sanktionen gegen Russland sind berechtigt und müssen aufrechterhalten bleiben. Bei einer Verschärfung des Konflikts sind wir sogar für eine Verschärfung des Sanktionsregimes. Das ist in der medialen Aufregung über die Äußerungen ganz untergegangen. Und natürlich unterstützen wir die Stationierung der Nato im Baltikum und in Polen. Es darf in Europa keine Zonen unterschiedlicher Sicherheit geben. Ich selber werde die Bundeswehr in Litauen besuchen, sobald die Sondierungen in Berlin abgeschlossen sind.

Frage: Wie stehen Sie zu dem Bekenntnis früherer Bundesregierungen zum Nato-Ziel, zwei Prozent des BIPs für Verteidigung auszugeben?

Lambsdorff: Dass wir mehr tun müssen, ist vollkommen klar. Die Soldaten im Einsatz brauchen die bestmögliche Ausbildung, Ausrüstung und Betreuung. Die haben sie derzeit nicht, weil das Geld fehlt. Ob es exakt zwei Prozent sein müssen, sei dahingestellt. Im Rahmen der vernetzten Sicherheit erscheint es mir klüger, Diplomatie, Entwicklungshilfe und Verteidigung gemeinsam zu betrachten und dafür künftig drei Prozent unserer Wirtschaftsleistung auszugeben. Das sollten uns Frieden, Fluchtursachenbekämpfung und Sicherheit wert sein. Es kann dann sein, dass mal mehr Geld in die Entwicklungspolitik fließt, ein anderes Mal mehr in die Beschaffung besserer Ausrüstung für unsere Soldaten. Wir werden das in den Sondierungen so vorschlagen.

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