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Dr. Ann-Veruschka Jurisch Michael Link
Pressemitteilung

Link/Jurisch-Gastbeitrag: Nationaler Sicherheitsrat würde für klare Prozesse sorgen

Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Michael Link und die Obfrau der FDP-Fraktion im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss Afghanistan Dr. Ann-Veruschka Jurisch schrieben für „Welt“ (Mittwochsausgabe) den folgenden Gastbeitrag:

Die Bilder haben sich ins kollektive Gedächtnis eingebrannt: chaotische Szenen am Flughafen Kabul; Menschen, die auf dem Rollfeld startenden Flugzeugen hinterherrennen, gar versuchen, sich an diesen festzuklammern. Zeugen im parlamentarischen Untersuchungsausschuss Afghanistan des Deutschen Bundestages sprechen von Szenen, die sie trotz jahrelanger Berufserfahrung noch nie so erlebt haben.

Die tiefe menschliche Betroffenheit ist in diesen Befragungen für jeden im Raum greifbar. Der Ausschuss hat vor knapp zwei Jahren seine Arbeit aufgenommen und beleuchtet seitdem in akribischer Detailarbeit die Frage, wie es dazu kommen konnte.

Fest steht nach vielen Stunden Zeugenbefragungen und Dokumentenanalysen bisher: Der Bundesnachrichtendienst (BND) erachtete schon früh das Szenario einer Taliban-Machtübernahme als das Wahrscheinlichste. Das Bundesverteidigungsministerium plante einen gemeinsamen Abzug im Schulterschluss mit den USA zu einem festen Termin.

Dessen ungeachtet war man im Auswärtigen Amt (AA) und im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) überzeugt, man könne auch ohne die Amerikaner weiter vor Ort bleiben und man müsse die USA von deutscher Seite aus davon überzeugen, dass ein an Bedingungen geknüpfter Abzug das Richtige sei. Um sich gegenüber den afghanischen Partnern als zuverlässiger Verbündeter zu zeigen und keine negativen Signale zu senden, wurde eine vorsorgliche Evakuierung von Ortskräften bewusst nicht vorangetrieben.

Ebenso auffällig dann auch das Auseinanderfallen von Einschätzungen und Positionen kurz vor der Eskalation: Während der Gesandte an der deutschen Botschaft in Kabul in drastischen Worten vor einer unmittelbar bevorstehenden Machtübernahme warnte, urteilte der BND in Berlin, dass diese noch länger dauern könne. Kipppunkte, anhand derer methodisch sauber die eigenen Szenarien überprüft werden können, waren nicht rechtzeitig fertig und gehörten auch nicht zum Standardrepertoire des BND.

Dann die Evakuierung: Der Krisenstab im AA beschäftigt sich standardmäßig mit der Evakuierung von Deutschen. Doch was, wenn plötzlich, ohne entsprechende Vorbereitungen auch noch Ortskräfte in großer Zahl zu evakuieren sind? Hektisch wurden in schneller Folge verschiedene Listen mit hunderten von Namen erstellt. Am Ende ließ man vor Ort die Soldaten mit der Entscheidung, wer in den Flughafen durfte und wer nicht, allein. Zum Glück haben diese das meist mit gesundem Menschenverstand gelöst. Doch Glück allein reicht hier nicht.

Die Krise zeigt wie im Brennglas, dass das Ressortprinzip, also die Unterteilung der Geschäftsbereiche der Bundesregierung in Ministerien unter Verantwortung zuständiger Minister, strukturell in solchen komplexen Situationen an seine Grenzen stößt. Es gibt in der Bundesregierung keinen Ort, an dem Lagebilder der Ressorts geeint und Widersprüche in der Betrachtung oder im Vorgehen aufgehoben werden. Die Lehre aus den schrecklichen Ereignissen von Kabul ist für uns klar: Deutschland braucht einen Nationalen Sicherheitsrat!

Denn die vielbeschworenen und in großer Zahl zu verschiedenen Themen vorhandenen Staatssekretärsrunden sind für einen Nationalen Sicherheitsrat kein Ersatz. In der Causa Afghanistan haben Staatssekretärsrunden zwar getagt, aber weder dazu beigetragen, Widersprüche aufzulösen, noch im Ergebnis relevante Entscheidungen herbeizuführen.

Wir sollten daher keine weitere Zeit verlieren und unverzüglich einen Nationalen Sicherheitsrat einrichten. Zumindest aber sind dafür die Weichen zu stellen und die Vorarbeiten zu leisten. Zu groß und zu komplex sind die Krisen unserer Zeit, als dass diese unter die Räder unkoordinierter Analytik und unabgestimmter Maßnahmen geraten dürfen.

Mehr Strategiefähigkeit und klare Prozesse

Die Situation in Kabul im August 2021 war ein geografisch fernes Menetekel für mögliche, uns noch viel unmittelbarer treffende Krisen. Die sicherheitspolitische Lage war seit Ende des Kalten Krieges noch nie so brandgefährlich wie heute: eine Vielzahl von heißen und in aller Härte ausgetragenen Konflikten in unserer Nachbarschaft, Cyber- und Desinformationsattacken, die die Grenzen zwischen Innen und Außen verschwimmen lassen. In einer solchen Welt dürfen keine analytischen Fehler passieren.

Es ist gut, dass Deutschland endlich eine Nationale Sicherheitsstrategie hat. Nun muss auch der zweite Schritt gemacht werden und für die nötigen Strukturen zu deren koordinierter Umsetzung und Fortschreibung gesorgt werden. Ein Nationaler Sicherheitsrat wird für mehr Strategiefähigkeit sorgen wie auch für klare Prozesse und Strukturen zur Koordination innerhalb der Bundesregierung.

Dabei muss der Nationale Sicherheitsrat ein stehendes Gremium sein, das im Bundeskanzleramt direkt dem Chef des Bundeskanzleramts unterstellt ist und durch einen Nationalen Sicherheitsberater koordiniert wird. Vornehmliche Aufgabe ist eine strukturierte Koordination der Ressorts und Häuser. Diese sollte Übergeordnetes wie ein periodisches Update der Nationalen Sicherheitsstrategie und die Strategische Vorausschau der Bundesregierung genauso betreffen wie die Konsolidierung von Lagebildern. Die Zeit drängt.

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