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LAMBSDORFF-Interview: Nicht in Handelskrieg zwischen USA und China hineinziehen lassen
Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Alexander Graf Lambsdorff gab dem „Deutschlandfunk“ das folgende Interview. Die Fragen stellte Christoph Heinemann:
Frage: Graf Lambsdorff, spricht irgendetwas für eine rasche US-amerikanisch-chinesische Annäherung im Zollstreit?
Lambsdorff: Nein, für eine Annäherung spricht wenig. Donald Trump hat Wahlkampf gemacht mit einer protektionistischen Agenda. Er setzt diese Agenda Schritt für Schritt um. Das Timing, der Zeitpunkt der Verhängung von Maßnahmen, der kann variieren. Das haben wir auch gegenüber der Europäischen Union gesehen, als es dem Kommissionspräsidenten gelungen ist, beispielsweise Zölle auf Autos hinauszuschieben. Aber dass die fundamentale Politik des amerikanischen Präsidenten sich in absehbarer Zeit ändern würde, das kann ich nicht erkennen.
Frage: Hat der Dritte, nämlich Europa und Deutschland, Grund zur Freude, wenn sich zwei streiten?
Lambsdorff: Nein. Für uns ist das Ganze auch nicht erfreulich. Das sind beides große Partner der Europäischen Union, was die Investitionsbeziehungen angeht, was die Handelsbeziehungen angeht. Es ist für uns von daher keine gute Nachricht, wenn diese beiden großen Wirtschaftsblöcke sich in einen bilateralen Handelskrieg verstricken, zumal ja darunter dann auch leidet das gesamte Welthandelssystem. Man sieht es an den stecken gebliebenen Reformen der Welthandelsorganisation. Europa muss Alternativen aufzeigen. Europa muss mit anderen Blöcken dann sprechen. Und ich bin sehr froh, dass man jetzt kurz davor ist, mit den Lateinamerikanern, Europa und Lateinamerika, endlich ein Abkommen unter Dach und Fach zu kriegen, an dem viele Jahre verhandelt wurde. Aber die Lateinamerikaner – genau wie wir Europäer gucken – auch erschreckt auf diese Auseinandersetzung zwischen China und den USA und sehen in Europa einen verlässlichen Garanten von multilateralen Abkommen. Das ist, glaube ich, der richtige Weg, weitere Märkte öffnen, weiter auf Multilateralismus, auf die Welthandelsordnung setzen und sich nicht hineinziehen lassen in diesen Krieg zwischen den USA und China.
Frage: Nur die G2, das sind nun mal USA und China. Auf welche Seite muss sich Europa stellen?
Lambsdorff: Europa muss sich in dieser Frage nicht auf die Seite eines der beiden stellen, sondern auf die Seite des regelbasierten Welthandelssystems. Und ich muss eines sagen: Es wäre natürlich erheblich leichter gewesen, mit Amerika umzugehen, wenn wir beispielsweise TTIP unter Dach und Fach gebracht hätten, das Abkommen, das damals angestrebt worden ist mit den USA. Das ist teilweise auch an einer deutschen protektionistischen Debatte gescheitert, die hier von Grünen, von Verdi, von Attac, aber auch von der AfD angestoßen worden ist.
Frage: Mit guten Gründen zum Teil kritisiert!
Lambsdorff: Nein, eben nicht! Das ist genau der Punkt. Es gab einzelne Aspekte, die man sicher hätte diskutieren, auch verbessern können, Investitionsschutz beispielsweise. Aber viele Argumente, die damals vorgetragen worden sind, haben sich ja im Nachhinein als haltlos erwiesen. Ich erinnere an das berühmte Chlorhühnchen. Es hätte kein einziges Chlorhühnchen den Weg nach Europa geschafft. Trotzdem wurde es zum Symbol der Ablehnung von TTIP. Ich glaube, dass solche Abkommen aber wichtig sind. Wenn man verlässliche Abkommen hat, an die sich beide Seiten halten, dann hat man in Zeiten einer geschwächten Welthandelsorganisation einen Rahmen, in dem man dann sprechen kann. Zurzeit ist es so, dass Donald Trump ja auch auf deutsche Autos beispielsweise Zölle androht. Die sind nicht vom Tisch; die sind nur dank der Arbeit von Jean-Claude Juncker aufgeschoben. Deswegen müssen wir abwarten, was dabei kommt.
Frage: Nur Donald Trump zwingt seine Partner, Farbe zu bekennen, sich zu ihm oder zur anderen Seite zu bekennen. Bietet die Wirtschaftspolitik der USA in Zeiten von „America first“ noch Orientierung?
Lambsdorff: Ich glaube, dass das nicht wirklich der Fall ist, sondern die Wirtschaftspolitik der USA ist, jedenfalls was den Handelsaspekt angeht, eine, die für Europa, die gerade für ein Land wie Deutschland wirklich schädlich ist. Deutschland ist eines der am stärksten auf Marktzugang angewiesenen Länder. Wir sind ja manchmal stolz darauf, wenn in der Zeitung steht, Deutschland ist wieder Exportweltmeister geworden. Das ist ja kein Zufall. Das hat ja damit zu tun, dass andere Märkte geöffnet werden. Wo Donald Trumps Wirtschaftspolitik erfolgreich ist und weswegen seine Unterstützung innenpolitisch ja auch in den Umfragen sehr gut ist, ist Entbürokratisierung. Da hat er Fortschritte gemacht. Und es ist die Steuerpolitik, die für die Unternehmen eine erhöhte Wettbewerbsfähigkeit gebracht hat. Das sind Aspekte, die sind durchaus interessant. Aber die Handelspolitik ist gerade für ein Land wie Deutschland sicher kein Orientierungspunkt.
Frage: Seit Trump im Weißen Haus schaltet und waltet, verhält sich die chinesische Seite im Handel deutlich fairer, und davon haben auch deutsche Unternehmen etwas. BASF darf in China jetzt produzieren, ohne das Wissen des Konzerns an einen chinesischen Partner ausliefern zu müssen. Wann ist es Zeit für ein herzhaftes „Danke, Donald“?
Lambsdorff: Ich glaube, dass wir da noch einige Zeit warten müssen, denn auch wenn man genauer hinguckt, gibt es gute Nachrichten aus China. Das stimmt. Sie haben BASF zitiert. Aber es gibt immer noch viele Unternehmen, die große Sorge haben, dass ihr Knowhow, ihr geistiges Eigentum abfließt. Und vergessen wir eines nicht: Innenpolitisch ist ja in China seit dem Amtsantritt von Xi Jinping die Lage nicht etwa besser geworden, sondern eher härter. Europäische Unternehmen, die sich dort niederlassen, werden beispielsweise gezwungen, eine sogenannte Zelle der Kommunistischen Partei Chinas in ihren Betrieben zu installieren, wo selbstverständlich darauf geachtet wird, dass Wissen abgesaugt und dem chinesischen Staat zur Verfügung gestellt wird. Dass wir hier „Danke, Donald“ und „Danke, Herr Xi“ sagen – ich glaube, an dem Punkt sind wir noch lange nicht.
Frage: Aber warum fällt es Ihnen so schwer anzuerkennen, dass Trump die Chinesen zur Fairness gezwungen hat?
Lambsdorff: Nein. Ich glaube, dass die Chinesen eine strategische Abwägung machen. Und wenn sich die Beziehungen zum einen großen Wirtschaftsblock verbessern, dann ist man bereit, Konzessionen in Richtung des zweiten Blocks zu machen. Allerdings ist das, glaube ich, keine nachhaltige Politik, sondern die chinesische Politik – und wenn man sich die Strategien anguckt, die industriepolitische Strategie, die Seidenstraßen-Strategie, die militärische Strategie –, dann haben die Chinesen einen sehr viel längeren Atem. Da sind zeitweilig, sagen wir mal, fairere Maßnahmen vielleicht eine kleine Seitwärts-Bewegung, aber sie ändern nichts an der grundsätzlichen Zielsetzung Chinas, in wenigen Jahrzehnten die Wirtschaftsmacht Nummer eins zu sein und möglicherweise auch die Militärmacht Nummer eins. Da müssen wir Europäer sehr realistisch sein.
Frage: Warum ist die chinesische Planwirtschaft so erfolgreich?
Lambsdorff: China hat die Möglichkeit zu planen, ohne in irgendeiner Form auf demokratische Abwägungen Rücksicht nehmen zu müssen. Man kann einfach umsetzen, was man sich vornimmt. Bei den großen Projekten – wer einmal mit dem Schnellzug von Shanghai nach Peking gefahren ist, der wird wehmütig an den Transrapid denken. Das ist eine Technologie, die in Deutschland entwickelt worden ist, aber hier nie zum Einsatz gekommen ist. Das sind natürlich Vorteile, die die chinesische Wirtschaft hat. Auf der anderen Seite ist die chinesische Wirtschaft auch anfällig. Die innenpolitische Lage in China ist völlig disparat. Alles konzentriert sich an der Küste. Der Westen des Landes, insbesondere Xinjang, aber auch andere Inlandsprovinzen fallen ab. Mit anderen Worten: So erfolgreich ist es nun auch wieder nicht. Sie brauchen sich nur die Zahl der vielen Millionen von Wanderarbeitern anzuschauen, die durch China streifen, auf der verzweifelten Suche nach einem kleinen Job, der ein bisschen Einkommen bringt.
Frage: Die EU und Deutschland müssen bald Farbe bekennen. Wie halten Sie es mit Huawei und dem 5G-Netzausbau?
Lambsdorff: Ich glaube, dass Huawei ein Akteur ist, der im europäischen Markt bereits drin ist. Wir haben Huawei in 3G, wir haben Huawei in 4G. Wenn wir relativ schnell in Richtung 5G gehen wollen, werden wir auf Huawei-Technologie angewiesen sein. Ich glaube aber, dass das Ganze ein Weckruf sein sollte für uns in Europa, auch Technologieunternehmen heranzuführen an den Markt, an die Wettbewerbsfähigkeit, damit wir vielleicht bei der nächsten Generation auch die Option haben, zeitnah mit einem europäischen Operateur zu arbeiten, der nicht ausländischen Gesetzen unterliegt. Nur wir können uns jetzt nicht leisten, zwei Jahre zu warten, bis wir mit 5G hier ernst machen. Deutschland, gerade Deutschland ist so weit zurück bei der Digitalisierung. Ich glaube, das wäre eine Luxusdebatte, die wir uns nicht leisten sollten.
Frage: Das heißt, diese Angewiesenheit bedeutet Abhängigkeit?
Lambsdorff: Ja! Das bedeutet eine gewisse technologische Abhängigkeit. Das ist einfach so. Das sehen wir bei großen Online-Unternehmen. Da sind wir abhängig von den USA. Ob das Amazon, Facebook, Google und andere sind, Apple. Wir sehen es in der technischen Infrastruktur im Fall Huawei. Europa muss digital wettbewerbsfähiger werden. Das ist ein Punkt, den meine Partei ja auch im Wahlkampf nach vorne gestellt hat. Aber wir sind noch lange nicht da und wir können jetzt nicht einfach noch zwei, drei Jahre warten, bis wir so weit sind, um mit dem 5G-Ausbau anzufangen. Insofern halte ich die Diskussion um Huawei an der Stelle zwar für richtig. Man muss sie führen, um die Zukunft besser in den Griff zu bekommen. Aber in der Gegenwart können wir uns jetzt nicht hinsetzen und mit 3G und 4G weitermachen, bis wir so weit sind.
Frage: Graf Lambsdorff, Sie haben TTIP eben erwähnt. Wie würden Sie sich entscheiden, wenn Sie das Klima oder den Freihandel retten sollten? Jetzt antworten Sie bitte nicht, dass Sie beides retten wollen, denn das wird voraussichtlich nicht klappen.
Lambsdorff: Herr Heinemann, wenn Sie mir eine Frage stellen und mir gleich sagen, was ich nicht antworten soll, ist es natürlich etwas schwierig. Meine Antwort lautet trotzdem beides. Aber das Klima ist selbstverständlich, sagen wir mal, existenziell für die Menschheit insgesamt. Deswegen freue ich mich, dass Präsident Macron ja schon angekündigt hat, er wird an der Stelle eine ganz hohe Priorität legen, auch was die G20-Abschlusserklärung angeht. Aber das Klima, Umweltschutz, Naturschutz leisten sich Länder, die hohe Einkommen haben. Sie brauchen sich nur die Korrelation, die Beziehungen anzuschauen zwischen Wirtschaftsleistung und dem Niveau an Umweltschutz. Je reicher Länder sind, desto höher ist auch das Niveau des Umweltschutzes. Und für solchen Wohlstand ist Freihandel einfach erforderlich.
Frage: Desto höher natürlich auch der Ausstoß von klimaschädlichen Stoffen.
Lambsdorff: Ja, genau! Das ist völlig richtig. So war es in der Vergangenheit. Man kann nicht das Wachstum der jetzt wohlhabenden Länder einfach noch mal kopieren für Länder, die jetzt an der Schwelle stehen. Aber es gibt andere Länder, die an der Schwelle stehen, Saudi-Arabien, die Türkei, Brasilien. Die sind ja alle dabei in Osaka. Die können nicht ein Wachstum haben, wie wir in Europa das hatten im 19. Und 20. Jahrhundert. Sie brauchen andere Formen des Wachstums, andere Formen der Energie. Aber ich glaube, dass der Freihandel einen entscheidenden Beitrag dazu leisten kann, Wohlstand zu produzieren, und auf der Basis dieses Wohlstandes den Klimaschutz dann so zu organisieren, dass es dem Planeten besser geht und wir den Temperaturanstieg abbremsen können.