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LAMBSDORFF-Interview: Maas, Kramp-Karrenbauer und Seehofer haben da auf ganzer Linie versagt
Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Alexander Graf Lambsdorff gab „Welt.de“ das folgende Interview. Die Fragen stellte Ulrich Exner:
Frage: Welche Sofortmaßnahmen sollte die Bundesregierung angesichts der aktuellen Lage in Afghanistan ergreifen?
Lambsdorff: Sie muss alles daran setzen, dass die deutschen Staatsbürger sicher Afghanistan verlassen können. Das gilt auch für die afghanischen Ortskräfte und deren engste Angehörige, die noch vor Ort sind. Es ist beschämend, dass die Bundesregierung unfähig war, Ortskräften beispielsweise in Mazar-i-Sharif eine rechtzeitige Ausreise zu ermöglichen. Heiko Maas, Annegret Kramp-Karrenbauer und Horst Seehofer haben da auf ganzer Linie versagt. Gleichzeitig braucht es umgehend mehr finanzielle Mittel für das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) und die Internationale Organisation für Migration (IOM), um afghanische Flüchtlinge in den Nachbarländern Tadschikistan, Usbekistan und Turkmenistan ausreichend zu versorgen. Die Staats- und Regierungschefs der EU müssen deshalb ihre finanziellen Zusagen für das UNHCR erhöhen und gleichzeitig bei den internationalen Partnern für eine neue Geberrunde werben. Hierbei sollten wir insbesondere die USA in die Pflicht nehmen. Ab heute kann keine Entwicklungshilfe mehr an Afghanistan fließen. Es darf keine deutsche Unterstützung für eine mögliche Taliban-geführte Regierung geben.
Frage: Sollte die Bundeswehr Einsatzkräfte nach Afghanistan entsenden, um die sichere Rückholung deutscher Staatsangehöriger sowie kooperierender Ortskräfte zu gewährleisten? Falls ja, wie lange sollte dieser Einsatz maximal dauern?
Lambsdorff: Ja, eine sichere Rückholung unserer Bürger und der Ortskräfte hat jetzt oberste Priorität. Das muss jetzt sehr schnell gehen und darf so lange dauern, wie die Bundeswehr es unter sicheren Operationsbedingungen schaffen kann, Deutsche und Ortskräfte zu evakuieren.
Frage: Welche Gruppen von derzeit in Afghanistan lebenden Menschen sollte Deutschland angesichts der aktuellen Lage aufnehmen? Nur deutsche Staatsangehörige? Auch alle Ortskräfte, die die deutschen Truppen in den vergangenen Jahren unterstützt haben? Auch deren Familien? Jeden und jede Person, die sich von den Taliban bedroht fühlt?
Lambsdorff: Alle afghanischen Ortskräfte, die in den vergangenen Jahren mit den deutschen Einsatzkräften kooperiert haben und ihre engsten Angehörigen sollen schnellstmöglich nach Deutschland ausreisen können. Gleichzeitig fordern wir die zügige Einrichtung eines Sondervisa-Programms für Afghaninnen, die durch die Ausweitung des Herrschaftsbereichs der Taliban besonders von Verfolgung und Gewalt bedroht sind. Deutschland sollte die Initiative für eine internationale Konferenz ergreifen, die all jene Menschen aus Afghanistan umsiedelt, die aus Afghanistan geflohen und unter den Taliban besonders gefährdet sind. Daran sollten sich alle Länder beteiligen, die am Hindukusch militärisch engagiert waren.
Frage: Welche Rolle sollte der Bundestag bei den jetzt zu treffenden Maßnahmen spielen?
Lambsdorff: Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee, deshalb sollte auch ein möglicher Evakuierungseinsatz nachträglich durch den Deutschen Bundestag mandatiert werden. Dies könnte schon bei der Sondersitzung am 25. August 2021 erfolgen, wenn die Bundesregierung es schafft, rechtzeitig ein Mandat vorzulegen. Die erst für den 25. August geplante Sondersitzung des Verteidigungsausschusses und vermutlich auch des Auswärtigen Ausschusses muss auf die kommende Woche vorgezogen werden. Außenminister und Verteidigungsministerin müssen den Abgeordneten zeitnah Rede und Antwort stehen und erklären, wie es sein kann, dass die Bundesregierung den rasanten Fall der afghanischen Sicherheits- und Verteidigungskräfte nicht hat kommen sehen. Die Bundeskanzlerin sollte eine Regierungserklärung zu Afghanistan abgeben.
Frage: Welche Lehren sollten Bundesregierung und Bundestag aus dem gescheiterten Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan ziehen?
Lambsdorff: Wir Freie Demokraten fordern seit Jahren eine Exitstrategie und eine unabhängige und umfassende Evaluierung des Einsatzes der Bundeswehr in Afghanistan. Die Bundesregierung hat dies immer verweigert. Es zeigt sich jetzt, wie wichtig es ist, eine Strategie zu haben, denn jetzt wirkt die Bundesregierung geradezu planlos. Es ist deshalb umso wichtiger, aus Afghanistan zu lernen und bereits heute mit den Planungen für die Evaluierung unseres Engagements in Mali zu beginnen: Setzen wir uns realistische politische Ziele? Wie verhalten sich die politischen Ziele zum militärischen Auftrag? Deswegen fordert die FDP-Bundestagsfraktion die Einrichtung einer Enquête-Kommission „Afghanistan“ in der nächsten Legislaturperiode.