Stellv. Fraktionsvorsitzender

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Alexander Graf Lambsdorff
Pressemitteilung

LAMBSDORFF-Interview: Kopf aus dem Sand beim Brexit

Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Alexander Graf Lambsdorff gab der „Magdeburger Volksstimme“ (Freitagsausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Steffen Honig:

Frage: Das Brexit-Votum im britischen Unterhaus steht dieser Tage an. Ihre Prognose: Bekommen wir doch noch einen geordneten Austritt Großbritanniens aus der EU?

Lambsdorff: Klar ist: Es wird einen Brexit geben. Das aktuelle Chaos hält mich aber von Prognosen über den Ausgang der Abstimmung ab. Die unselige Kombination aus einer populistischen Kampagne und einer unfähigen konservativen Regierungspartei machen eine seriöse Einschätzung unmöglich, denn zur Zeit sieht es ja so aus, als ob es für kein einziges Szenario eine Mehrheit gäbe. Wir können auf dem Kontinent nur abwarten und hoffen, dass es zu einem geordneten Brexit kommt.

Frage: Was halten Sie von der Idee einer Verschiebung, von der in dieser Woche die Rede ist?

Lambsdorff: Diese Idee gibt es in Brüssel schon länger. Sie ist aber technisch kompliziert, weil dafür ein formeller Antrag Großbritanniens nötig ist und alle anderen 27 EU-Staaten zustimmen müssen. Diese haben bereits signalisiert, dass es eine Verschiebung nur geben kann, wenn sie einem konkreten, definierten Zweck dient. Nur weil die Tories ein Chaos veranstalten, wird der Brexit nicht verschoben werden.

Frage: Wann würde sich das Zeitfenster dafür schließen?

Lambsdorff: Der Termin der Europawahl ist der 26. Mai. Weiter kann eine Verschiebung auf keinen Fall gehen, denn sonst müsste auf der Insel eine Europawahl stattfinden, ein grotesker Gedanke. Und wenn es die Wahl nicht gäbe, obwohl Großbritannien noch Mitglied ist, würde die EU institutionell beschädigt. Das kann keiner wollen.

Frage: Aus Furcht vor den Brexit-Folgen in Großbritannien hat die Regierung bereits 1000 Polizisten mobilisiert, um „Unruhen“ an der Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland zu verhindern. Halten Sie Aufruhr für möglich?

Lambsdorff: Wir haben uns daran gewöhnt, dass die Lage auf der irischen Insel harmonisch, friedlich und wirtschaftlich für alle Seiten vorteilhaft ist, mit einer offenen Grenze und einem völlig entschärften Konflikt zwischen dem Norden und dem Süden. In den 1970er und 1980er Jahren aber hatten wir dort einen bürgerkriegsähnlichen Terror-Zustand mit rund 3000 Toten, den die EU befriedet hat. Niemand kann aber ausschließen, dass bestimmte Extremisten ihr Süppchen kochen werden, wenn dort die Schlagbäume wieder runtergehen. Dann sind auch Unruhen denkbar, was ich nicht hoffen will.

Frage: Wechseln wir auf den Kontinent: Reicht das aus, was Brüssel und die Mitgliedsländer für einen Brexit ohne Vertrag vorbereitet haben?

Lambsdorff: Da will ich zunächst festhalten, dass die EU-Kommission bemerkenswert gut vorbereitet ist. Sie hat bisher rund 80 Benachrichtigungen an verschiedene Wirtschaftszweige, Forschungsinstitute usw. verschickt. Darin wird vorinformiert, was bei einem ungeordneten Brexit zu tun ist. Von unserer Regierung gibt es so etwas nicht. Im Gegenteil: Die Bundesregierung steckt den Kopf in den Sand und hofft irgendwie, dass es doch noch eine Mehrheit für den Austrittsplan gibt und meint, damit durchzukommen. Andere europäische Länder sind viel besser vorbereitet als Deutschland.

Frage: Was ist zu tun?

Lambsdorff: Ich rufe die Bundesregierung auf, endlich den Kopf aus dem Sand zu ziehen! Sie muss klar sagen: Was bedeutet das für unsere Studierenden auf der Insel, für bei uns lebende Briten, für Unternehmen, die teils auf dem Kontinent und teils auf der Insel produzieren, für die Fischerei, für den Luftverkehr ... Zu all dem hören wir aus der Bundesregierung nur dröhnendes Schweigen. Das muss endlich aufhören. Wenn der Brexit wie vorgesehen kommt, haben wir gerade noch zehn Wochen Zeit!

Frage: Der Brexit wird auch die Europawahlen beeinflussen. Droht ein endgültiger Durchbruch der Populisten?

Lambsdorff: Das Gegenteil ist der Fall: Wenn Großbritannien austritt, verschwindet zunächst die UKIP, die populistische Partei von Nigel Farage, die die Brexit-Kampagne begonnen und gewonnen hat. Das sind allein schon 20 Leute. Dazu noch die Euroskeptiker von den britischen Konservativen – schon sind es fast 50 Europagegner weniger.

Frage: Das könnte durch die AfD und ähnliche Parteien in anderen Staaten wieder aufgefangen werden ...

Lambsdorff: Richtig. Solche Kräfte haben in verschiedenen europäischen Ländern Auftrieb, die das vielleicht wettmachen könnten. Aber, dass es eine Welle gäbe, nach der das Europaparlament völlig anders aussehen würde als heute, erwarte ich nicht. Im Übrigen ist auf dem gesamten Kontinent die Zustimmung zur Europäischen Union nach dem Brexit gestiegen. Die Bürger werden bei einem ungeordneten Brexit noch klarer sehen, was sie an offenen Grenzen und Personenfreizügigkeit oder dem Wegfall von Zollformalitäten eigentlich haben. Daher hoffe ich sehr darauf, dass niemand eine Partei wie die AfD wählt, die den Dexit fordert, den Ausstieg Deutschlands aus der EU. Im Angesicht des Brexit-Chaos ist das ja noch absurder als ohnehin schon.

Frage: Die FDP ist eine Allianz mit Emmanuel Macrons „En marche“-Bewegung eingegangen und war stolz darauf. Nun steht der französische Präsident innenpolitisch mit dem Rücken zur Wand. Haben die Liberalen falsch gepokert?

Lambsdorff: Überhaupt nicht. Erstens glaube ich, dass Macrons Politik Frankreich wettbewerbsfähig und stark macht. Wir setzen weiter auf ihn. Seine Umfragewerte steigen ja auch wieder. Zweitens wissen wir aus der Vergangenheit, dass in einer großen europäischen Parteienallianz die eine oder andere Partei immer mal wieder innenpolitische Schwierigkeiten hat. Das ändert nichts dran, dass man trotzdem vertrauensvoll zusammenarbeitet. Die FDP etwa war bis vor anderthalb Jahren nicht im Bundestag. Trotzdem haben unsere liberalen Partner aus Europa selbstverständlich weiter mit uns zusammengearbeitet. So tun wir das auch mit unseren Freunden, die innenpolitisch ein bisschen Druck haben.

Frage: Beim Dreikönigstreffen wurde deutlich, dass die FDP sich von der „Lindner-Partei“ verabschieden will. Soll es nun eine Führungsriege geben?

Lambsdorff: Es gibt immer eine Innensicht und eine Außensicht, was die FDP angeht. Die Außensicht ist auf den Vorsitzenden konzentriert. Das ist bei anderen Parteien nicht anders, siehe CDU und Frau Merkel oder damals den Schulz-Zug bei der SPD. Die Innenwahrnehmung ist, dass wir ein Team sind, das in den vier Jahren außerhalb des Parlaments eng zusammengewachsen ist. Wir entwickeln auf unseren Fachgebieten neue Ideen für Deutschland wie Katja Sudig bei der Bildung, Michael Theurer für unsere Wirtschaft oder ich in der Außenpolitik. Und die Umfragen geben uns recht: Trotz Jamaika-Ausstieg und Opposition im Bundestag liegen wir stabil bei 8 bis 10 Prozent.

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