Stellv. Fraktionsvorsitzender

Zuständig für „Freiheit und Menschenrechte weltweit“: Auswärtiges, Angelegenheiten der Europäischen Union, Menschenrechte und humanitäre Hilfe, Verteidigung, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

Tel: 030 227 78360
Alexander Graf Lambsdorff
Pressemitteilung

LAMBSDORFF-Interview: Die Gefahr von Unruhen ist leider real

Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Alexander Graf Lambsdorff gab der „Rhein-Neckar-Zeitung“ (Freitagsausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Andreas Herholz:

Frage: Graf Lambsdorff, US-Präsident Donald Trump und Joe Biden haben sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen geliefert. Ein Zeichen dafür, wie tief gespalten die amerikanische Gesellschaft ist?

Lambsdorff: Die Teilung der amerikanischen Gesellschaft in Küstenregionen, den Süden und den Mittleren Westen ist keine neue Entwicklung. Donald Trump hat diese Spaltung in seiner Amtszeit sehr befördert und für seine politischen Ziele genutzt. Er hat sich als US-Präsident nie als Versöhner verstanden, sondern bewusst die gesellschaftlichen Konflikte angeheizt. Es wäre aber auch falsch zu glauben, Amerika könnte zu einer Art Einheitsgesellschaft werden. Das Land ist groß und bunt und voller Unterschiede. Entscheidend ist, wie man mit den Unterschieden umgeht.

Frage: Warum konnte Trump ein solch starkes Ergebnis erzielen?

Lambsdorff: Donald Trump ist der Amtsinhaber, damit hat er schon den Amtsbonus als Vorteil im Wahlkampf. Die US-Bürger haben nach 1945 erst zwei amtierende Präsidenten aus dem Amt gewählt. Man darf aber auch nicht übersehen, dass es Donald Trump erneut geschafft hat, viele Menschen anzusprechen und vor allem auch zur Wahlurne zu bewegen. Er hat in fast allen Wählergruppen prozentual Gewinne verzeichnen können. Er bietet einfache Lösungen auf komplexe Probleme. Das kommt bei vielen Menschen an, die sich von der globalisierten Welt des 21. Jahrhunderts überfordert sehen. Das Problem ist, dass er immer wieder versucht hat, die Macht seines Amtes über jede zulässige Grenze hinweg zu seinen Gunsten zu nutzen: von der Kandidatenrede, die er vor dem Weißen Haus gehalten hat, bis hin zu den Versuchen, die amerikanische Post zu schwächen und dadurch das Briefwahlverfahren zu stören, das mehrheitlich Wähler der Demokraten nutzen.

Frage: Trump hat sich vor Ende der Auszählung zum Sieger erklärt. Wirft er jetzt alle demokratischen Regeln über Bord?

Lambsdorff: Die Aussagen des US-Präsidenten sind zutiefst undemokratisch. Der Gewinner einer demokratischen Wahl steht erst fest, wenn alle Stimmen ausgezählt sind. Leider war seit Wochen zu befürchten, dass Trump einen solchen Schritt gehen könnte, den man sonst nur aus den Drehbüchern angehender Autokraten kennt. Er hat im Wahlkampf wiederholt die Legitimität des Wahlprozesses in Frage gestellt. Auch hat er es mehrfach vermieden, eine friedliche Amtsübergabe zuzusichern.

Frage: Der US-Präsident und die Republikaner wollen einige Staaten neu auszählen lassen und juristisch dagegen vorgehen. Wahlbeobachter haben dagegen keine Regelverstöße festgestellt. Hat die Strategie Aussicht auf Erfolg?

Lambsdorff: Die OSZE-Wahlbeobachter haben keine Verstöße bei der US-Wahl festgestellt. Das bedeutet, die US-Präsidentschaftswahlen waren frei und fair – egal, was Donald Trump twittert. Ob der US-Präsident mit seiner juristischen Strategie Erfolge erzielen wird, ist schwer vorherzusagen. Bisher haben die Richter am Supreme Court und an US-Bundesgerichten sich in diesen Fragen nicht der Ansicht Trumps angeschlossen. Ob die Berufung der konservativen Richterin Amy Coney Barrett an den Obersten Gerichtshof das ändern wird, müssen wir abwarten.

Frage: Schon jetzt gehen Tausende auf beiden Seiten auf die Straßen. Drohen jetzt Unruhen?

Lambsdorff: Die Gefahr von gewaltsamen Unruhen ist leider real. Berichte von rechtsgerichteten bewaffneten Milizen hatten im Vorfeld bereits Anlass zu großer Sorge gegeben. Unter den protestierenden Trump-Anhängern in Portland oder Arizona sollen sich ja auch bewaffnete Personen befinden. Dass der amerikanische Präsident mit seinen Äußerungen diese gefährliche Stimmung noch weiter aufheizt, ist einfach unverantwortlich.

Frage: Müssen Deutschland und Europa jetzt mehr Verantwortung übernehmen, wenn Amerika als Führungsmacht immer deutlicher ausfällt?

Lambsdorff: Das ist so. Dass Amerika sich als Garant der liberalen Weltordnung zurückzieht, ist keine Entwicklung von gestern. Der außenpolitische Fokus hat sich bereits unter Obama auf den Pazifik gerichtet. Auch bei einem Machtwechsel im Weißen Haus würde deshalb kein vollständiger Kurswechsel in der Außen- und Sicherheitspolitik durch eine Biden-Administration folgen. Ein Europa, das international mehr Verantwortung übernehmen soll, braucht aber mutige Entscheidungen. Leider schweigt die Bundeskanzlerin bis heute zu den Vorschlägen von Emmanuel Macron, Europa mutig zu reformieren.

Immer informiert - unser Presseverteiler

Jetzt anmelden

Mit unserem Newsletter bleiben Sie informiert