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LAMBSDORFF-Interview: Die Exekutive hat sich nichts vorzuwerfen
Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Alexander Graf Lambsdorff gab der „Welt“ (Montagsausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Ansgar Graw:
Frage: Nach diesem Hin und Her zwischen zwei Kammern des Gelsenkirchener Gerichts und einer Abschiebung, die angeblich nicht rechtsstaatlich in Ordnung war: Wer ist für das Chaos verantwortlich, Graf Lambsdorff?
Lambsdorff: Diejenigen in der Exekutive, die die Abschiebung durchgeführt haben, haben sich nichts vorzuwerfen. Die Bundespolizei, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und die Landesregierung Nordrhein-Westfalen haben auf der Grundlage der ursprünglichen Entscheidung des Verwaltungsgerichts, die eine Abschiebung erlaubt, richtig gehandelt. Dass dann eine andere Kammer anders entscheiden kann, ist in einem Rechtsstaat nun mal so. Nicht diese widersprüchlichen Entscheidungen gefährden den Rechtsstaat, wohl aber der eklatante Mangel bei der Ausstattung der Justiz, der hier sichtbar wird.
Frage: Wo wird dieser Mangel sichtbar?
Lambsdorff: Es kann ja wohl nicht sein, dass eine Entscheidung in einer solch wichtigen Frage den zuständigen Stellen im Land nicht übermittelt werden kann, weil bei Gericht niemand in der Schreibstube ist und das Faxgerät nicht bedient wird. Die Justiz braucht eine Mittelausstattung, die es ihr ermöglicht, dass Urteile und Entscheidungen von der Exekutive auch zur Kenntnis genommen werden können. Das war hier nicht der Fall.
Frage: Kritik an Ihrem Parteifreund, dem für Flüchtlinge und Integration zuständigen stellvertretenden nordrheinwestfälischen Ministerpräsidenten Joachim Stamp, er hätte die Abschiebung verhindern müssen, teilen Sie demnach nicht?
Lambsdorff: Ganz und gar nicht. Ich kann überhaupt kein Fehlverhalten von Joachim Stamp erkennen. Im Gegenteil: Ihm lag die zustimmende Entscheidung des Gerichts vor, und die Abschiebung selbst oblag der Bundespolizei. Es gibt nicht den geringsten Anlass, an der Integrität des Verhaltens und der rechtsstaatlichen Korrektheit der Landesregierung zu zweifeln.
Frage: Als Nichtjurist ist es schwer zu begreifen, dass die eine Kammer ein-und desselben Gerichts die Abschiebung befürwortet und die andere Kammer zur gegenteiligen Entscheidung gelangt.
Lambsdorff: Warum das so ist, müssen Sie die Juristen fragen. Ich will keine Richterschelte betreiben. Ich glaube allerdings, dass die Befürchtungen, die dem zweiten Entscheid wohl zugrunde liegen, angesichts der positiven Entwicklungen in Tunesien nicht stichhaltig sind. Deswegen bin ich auch der Meinung, dass die Beschwerde der nordrhein-westfälischen Landesregierung gegen diese Entscheidung gute Aussichten auf Erfolg hat.
Frage: Sie haben demnach keine Sorge, dass Sami A. in Tunesien gefoltert würde?
Lambsdorff: Nein. Tunesien ragt nach all den Schwierigkeiten des „arabischen Frühlings“ wie ein positiver Leuchtturm heraus. Rechtsstaatlichkeit, Regierungsführung, Demokratie sind erheblich besser als in anderen arabischen Ländern. Es hat sogar einen friedlichen Regierungswechsel nach einer Wahl gegeben, und die Todesstrafe ist schon seit 30 Jahren nicht mehr vollstreckt worden.
Frage: Wäre es sinnvoll, dass sich die Bundesregierung nach der bereits übermittelten Versicherung des tunesischen Ministers für Menschenrechte, Mehdi Ben Gharbia, gegenüber „Bild“, dass es im Land keine Folter gebe, dies nun noch einmal auf protokollarisch höherer Ebene bestätigen lässt?
Lambsdorff: Ich halte es nicht für sinnvoll, dass jetzt bei jedem Einzelfall gewissermaßen ein kleiner Staatsvertrag zur Voraussetzung gemacht wird, um Personen wie Sami A. abzuschieben. Tunesien hat die UN-Konvention gegen Folter unterschrieben und ratifiziert. Es gibt keinen Anlass, daran zu zweifeln, dass sich das Land an diese menschenrechtlichen Standards hält. Die Zusage des Ministers ist aus meiner Sicht belastbar. Darum: Wir sollten weiterhin auf Diplomatie und Kooperation setzen, nicht auf Staatsverträge für Einzelfälle.
Frage: Seit 2014 bemühten sich die deutschen Behörden vergeblich um die Abschiebung von Sami A. Sind unsere Behörden oder Gerichte zu schlecht ausgestattet, als dass sie in Tunis schon viel früher wegen einer entsprechende Bestätigung hätten anfragen können?
Lambsdorff: Jedenfalls ist die offenkundige Lektion dieses Falles, dass die Zusammenarbeit von Exekutive und Judikative sowohl im Bund als auch zwischen Bund und Ländern dramatisch verbessert werden muss, damit solche Fälle nicht über Jahre liegen bleiben. Erkennbar hatte der vorige Bundesinnenminister Thomas de Maiziere von der CDU daran überhaupt kein Interesse. Und wenn der jetzige CSU-Bundesinnenminister nicht peinliche Witze über die Zahl von Abgeschobenen machen, sondern wirklich etwas leisten will, dann könnte Horst Seehofer hingehen und versuchen, eine Verwaltungsreform des Bundes zu starten und umzusetzen. Als FDP werden wir genau darauf drängen. Es ist der Öffentlichkeit einfach nicht zu vermitteln, dass Menschen wie Sami A. über so viele Jahre hier bei uns mit der Unterstützung des Sozialstaats leben.
Frage: Tunesien will Sami A. nicht zurückschicken, sondern ihn selbst wegen möglicher Terrortaten vor Gericht stellen. Verursacht Ihnen der Gedanke schlaflose Nächte, er könnte möglicherweise in seiner Heimat bleiben?
Lambsdorff: Nein. Tunesien durchläuft eine positive rechtsstaatliche Entwicklung, und wenn es dort zu einer Anklage kommt, die der Staatsanwalt durch Beweise unterfüttern kann, es dann letztlich zu einer Verurteilung kommt, dann halte ich das für absolut vertretbar. Einen radikalen islamistischen Gefährder wie Sami A., der auf Menschenleben keinen Pfifferling gibt, vor Gericht zu sehen, würde mir nicht schlaflose Nächte, sondern Freude bereiten.