Stellv. Fraktionsvorsitzender

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Alexander Graf Lambsdorff
Pressemitteilung

LAMBSDORFF-Interview: Es zeigt die Inkompetenz unserer Verteidigungsministerin

Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Alexander Graf Lambsdorff gab dem „RBB Inforadio“ das folgende Interview. Die Fragen stellt Martin Krebbers:

Frage: Ist die NATO in Sachen Syrien nur noch ein besonders exklusiver Debattierklub?

Lambsdorff: Man kann das so sehen. Jedenfalls wird die Zukunft Syriens nicht heute in Brüssel entschieden, sie wird auch nicht im deutschen Verteidigungsministerium entschieden, sondern es ist genau so, wie sie es gesagt haben: Präsident Putin, der Schutzpatron des Diktators Assad, und Präsident Erdogan, der völkerrechtswidrig da eine Schutzzone einfach so für sich beansprucht aus rein nationaler Machtvollkommenheit, die beiden haben Syrien im Großen und Ganzen unter sich aufgeteilt. Insofern ist das, was heute bei der NATO passiert, vermutlich nicht so wichtig wie das, was in Sotschi besprochen worden ist.

Frage: Die Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer will dort für eine internationale Schutzzone in Nordsyrien werben – eine Idee, die sie sich in dieser Woche recht überraschend zu eigen gemacht hat. Deutschland zeigt damit Initiative. Was ist verkehrt daran?

Lambsdorff: Ich bin sehr froh als Außenpolitiker, als Liberaler, dass einmal ein außenpolitisches Lebenszeichen aus der Bundesregierung kommt. Wir befürworten eine aktive Außenpolitik. Die Region, das wissen wir spätestens seit 2015, berührt ja unsere Interessen ganz unmittelbar. Umso enttäuschter bin ich aber von der Art und Weise, wie der Vorschlag gemacht worden ist: unabgestimmt in der Bundesregierung, unabgestimmt mit den Verbündeten, eine wirklich unausgegorene Vorgehensweise, bei der man nur den Kopf schütteln kann.

Frage: Die SPD wurde per SMS informiert, die fühlt sich düpiert. Und so kann Annegret Kramp-Karrenbauer in Brüssel gar nicht für die Bundesregierung sprechen. Für wen spricht sie denn dann?

Lambsdorff: Das ist eine gute Frage, Herr Krebbers. Ich glaube, sie spricht nur für sich selbst. Sie hat ja auch gesagt, sie macht als CDU-Vorsitzende diesen Vorschlag. Aber ganz im Ernst: Wir reden hier über Militäroperationen, wir reden hier über internationale Diplomatie. Das ist keine Frage von Parteipolitik, sondern das ist eine Frage, bei der die Bundesregierung eine innere, gefestigte Haltung haben muss, die sie dann mit den Verbündeten bespricht. Das, was dort passiert in Brüssel, was Frau Kramp-Karrenbauer dort macht, das wird auch von den anderen Verteidigungsministern vermutlich mit Kopfschütteln quittiert werden. Das werden sie nicht öffentlich machen, aber sie werden mit Sicherheit sich diesen Vorschlag nicht zu eigen machen.

Frage: Aber sie hat doch die Bundeskanzlerin auf ihrer Seite. Fällt das nicht ins Gewicht?

Lambsdorff: Nein. Die Bundesrepublik Deutschland wird von einer Koalition regiert, die von drei Parteien getragen wird. Und nicht nur die SPD, das federführende Auswärtige Amt unter Heiko Maas ist ja gerade einmal nonchalant per SMS informiert worden, auch die CSU ist überhaupt nicht im Bilde, sodass man das Ganze wirklich unter der Rubrik „parteipolitische Profilierung“ abtun muss. Und ganz ehrlich als Außenpolitiker: Dafür ist mir die NATO zu schade und dafür ist mir das Thema zu ernst.

Frage: Welche Chancen hätte denn, jenseits der innenpolitischen Gefechte, Herr Graf Lambsdorff, ein Plan für eine UN-Mission unter Einbeziehung der Russen und mit Beteiligung der Bundeswehr?

Lambsdorff: Das ist etwas, was wir als Freie Demokraten ja schon länger fordern: eine Entflechtungsmission der Vereinten Nationen, also wo zunächst einmal ganz klar ist, dass die Streithähne nicht mehr in militärische Kampfhandlungen verwickelt sind. Wir können ja die Bundeswehr, wir können europäische Armeen da nicht in eine Kampfsituation hineinschicken, das ist das eine. Das zweite: Es bräuchte dann ein Mandat des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen, das bedeutet eben auch, dass Russland eingebunden wäre. Und dann kann man, wie man das im Südwesten Syriens ja schon hat, eine UNO-Mission entsenden, die einen Waffenstillstand dort überwacht und auch die Truppenentflechtung überwacht. Auf Englisch heißt das „Disengagement and Supervision“. Das ist eine Art von Mission, von der wir der Meinung sind, die wäre richtig gewesen, aber die hätte man eben schon vor mehreren Wochen, vielleicht sogar Monaten aufs Gleis setzen müssen. Dadurch, dass Putin und Erdogan jetzt Fakten geschaffen haben, bin ich nicht sicher, ob die überhaupt noch die Bereitschaft haben, die Vereinten Nationen reinzulassen.

Frage: Frau Kramp-Karrenbauer wirft sich also hinter den fahrenden Zug?

Lambsdorff: In gewisser Weise kann man das so sehen, aber wenn sie es wenigstens mit der Bundesregierung insgesamt im Rücken täte, dann könnte man noch sagen, okay, wir haben hier eine deutsche Position. Hier scheint es mir wirklich eher eine persönliche Profilierung zu sein und ich bedaure das außerordentlich.

Frage: Und nun wirft sie, Annegret Kramp-Karrenbauer, bei einem Truppenbesuch gestern der Türkei auch noch vor, völkerrechtswidrig nordsyrisches Gebiet annektiert zu haben. Hat sie Recht mit dieser Einschätzung?

Lambsdorff: Nein, auch das ist beunruhigend, denn es zeigt im Grunde die Inkompetenz unserer Verteidigungsministerin. Natürlich ist die Militäroperation als solche völkerrechtswidrig, aber es ist eine Militäroperation, es ist nicht eine dauerhafte Besatzung und es ist schon gar nicht eine Annexion, also die Eingliederung von nordsyrischem Gebiet in das Staatsgebiet der Türkei. Und wenn wir uns auf dem Gebiet des Völkerrechts, der Diplomatie, sogar militärischer Operationen bewegen, dann kommt es sehr stark auf Sprache an. Wir wissen genau, wie exakt Ankara jedes Wort auf die Goldwaage legt. Also, von daher war ich wirklich entgeistert, als ich das gestern gehört habe.

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