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LAMBSDORFF-Interview: Die Bundesregierung muss ein Anschlussabkommen hinbekommen
Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Alexander Graf Lambsdorff gab „NDR Info“ das folgende Interview. Die Fragen stellte Birgit Langhammer:
Frage: Britische Medien berichten, dass Premierminister Johnson sein Land von der Anbindung an EU-Regeln frei machen und die Verbindungen weitgehend kappen will. Was hieße das?
Lambsdorff: Na ja, ich glaube, das ist eine sehr theoretische Ankündigung, denn die Unternehmen in Großbritannien sehen das ganz anders. Die verkaufen ihre Produkte nach Europa, hier zu uns. Jeder Airbus, den wir am Himmel sehen, hat zwei Flügel, die aus England kommen. Jeder Mini, der auf unseren Straßen fährt, ist in Großbritannien gebaut. Und deswegen werden die Unternehmen sehr darauf achten, die europäischen Regeln auch weiterhin einzuhalten. Da kann die Regierung zwar vorschlagen, man möge das anders machen, aber ganz praktisch gesehen, glaube ich, dass das nicht laufen wird. Es sei denn, Boris Johnson will, dass all diese Firmen auf den Kontinent ziehen und das kann ja nicht ernsthaft sein Ziel sein.
Frage: Premierminister Johnson hat gesagt, Souveränität sei ihm wichtiger als reibungsloser Handel. Was würde das für die EU bedeuten?
Lambsdorff: Nun, jedes Land in der Europäischen Union ist souverän. Die Europäische Union ist ja nicht wie der Warschauer Pakt ein Gefängnis, sondern man kann sie verlassen. Das sehen wir ja gerade am Brexit. Wir sind ein Zusammenschluss freier, souveräner Völker und Nationen. Insofern: Das ist ein sehr theoretischer Begriff und ich muss schon sagen, es ist auch ein bisschen ein unverantwortlicher Begriff im 21. Jahrhundert. Denn der britische Economist, das ist die wichtigste Wochenzeitschrift dort, der macht sich große Sorgen, wie es mit dem kleinen Großbritannien in dieser neuen Welt weitergehen soll, in der Amerika und China sich anschicken, wirklich die Dominanz auszuüben. Also, ob das mit der Souveränität wirklich so weit her ist, ganz alleine, oder ob das nicht besser ist, das zu tun, was Deutschland, Frankreich und andere machen, die Souveränität zusammenzulegen, um sie insgesamt als Europa zu stärken. Ob das nicht der bessere Weg ist, das wird sich erst zeigen müssen.
Frage: Erklären Sie uns, was der Brexit jetzt für den Rest der Europäischen Union bedeutet?
Lambsdorff: Also, der Brexit hat im Grunde zunächst mal gar keine Auswirkungen, denn tatsächlich geht es so weiter, dass Großbritannien noch im Binnenmarkt bleibt. Bis Ende des Jahres wird sich also gar nichts ändern. Aber danach, also am 31.12. dieses Jahres, da kann es dann hart werden und deswegen ist es ganz wichtig, dass wir ein Anschlussabkommen aushandeln. Sie haben das eben gesagt, die Bundesregierung, die die EU Ratspräsidentschaft hat in der zweiten Jahreshälfte, muss ein solches Abkommen zusammen mit der Europäischen Kommission auf jeden Fall hinkriegen, denn sonst haben wir unter Umständen einen harten Brexit und dann haben wir riesen Probleme im Handel zwischen dem Kontinent und Großbritannien. Das kann wirklich niemand wollen. Und die zweite Folge, was der Brexit für Europa bedeutet, ist eine paradoxe, eine ganz unerwartete Folge, denn die anderen europäischen Mitgliedsstaaten haben sich ja in den Brexit Verhandlungen ganz eng zusammengeschlossen, so dass anstatt eines Dominoeffekts, von dem manche ausgegangen sind, wir einen engeren europäischen Zusammenhalt gesehen haben. Das ist im Grunde eine positive Entwicklung gewesen.
Frage: Aber in dieser Übergangsphase jetzt, wenn auch die Zeit so drängt, hat die EU denn ein Druckmittel, also so wie sie es vor dem Brexit hatte?
Lambsdorff: Vergessen wir bitte eines nicht: Die Europäische Union ist nach dem Brexit mit 440 Millionen Menschen eine der größten Märkte der Welt. Großbritannien hat 60 Millionen Menschen, ist ein wichtiges Land, auch eine wichtige Volkswirtschaft, aber sie sehen schon an den Größenverhältnissen, dass Großbritannien ein viel höheres Interesse daran hat, möglichst schnell ein solches Abkommen hinzubekommen, als es umgekehrt der Fall ist. Dennoch sage ich ganz klar: Wir wollen ja weiter mit Großbritannien verbündet sein, wir wollen weiter befreundet sein, wir wollen weiter Handel treiben. Und deswegen noch mal: Deutschland hat eine besondere Verantwortung, die Bundesregierung muss dieses Abkommen hinbekommen, denn sonst haben wir am 1. Januar nächsten Jahres einen harten Brexit, mit all den negativen Konsequenzen.