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LAMBSDORFF-Interview: Die Bundesregierung hat den Rechtsstaatsmechanismus verwässert
Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Alexander Graf Lambsdorff gab „NDR Info“ das folgende Interview. Die Fragen stellte Stefan Schlag:
Frage: Ungarns Premier kann sich mit diesem Kompromiss vor allem Zeit kaufen. Bis der Europäische Gerichtshof entscheidet, werden Jahre vergehen. Ist der Preis also zu hoch, den die Befürworter dieses Rechtsstaatsmechanismus da nun zahlen müssen?
Lambsdorff: Das, was da jetzt auf dem Tisch liegt, ist im Grunde das Ende einer Blamage der deutschen Ratspräsidentschaft. Denn das, was vorher ausgemacht worden war, war ja, dass es einen Rechtsstaatsmechanismus nur in wirklich sehr abgeschwächter Form geben würde. Die deutsche Ratspräsidentschaft ist Polen und Ungarn schon in der Vergangenheit weit entgegengekommen und war umso überraschter dann von diesem harten Veto der beiden Regierungen. Das, was jetzt auf dem Tisch liegt, ist gar nicht so schlimm, um es mal sozusagen vor dem Hintergrund der aktuellen Lage zu sagen. Denn dass der Europäische Gerichtshof sich das Verfahren anschaut, was da entwickelt worden ist, und dann juristisch wasserdichte Kriterien entwickelt, die anschließend umgesetzt werden müssen, darin sehe ich kein so großes Problem. Das eigentliche Problem liegt darin, dass der Rechtsstaatsmechanismus eigentlich keiner mehr ist, sondern einer, der sich nur noch auf die Haushaltsführung und Schaden zum Nachteil des EU-Haushalts selber beschränkt, also eher eine Art Finanzaufsicht als ein Rechtsstaatsmechanismus.
Frage: Wie würden Sie denn Ungarn und Polen entgegentreten in dieser Situation?
Lambsdorff: Ich glaube, es wäre richtig gewesen, man hätte die beiden Töpfe, um die es hier geht, getrennt. Wir haben auf der einen Seite ja den Haushalt für die nächsten sieben Jahre, der sogenannte mehrjährige Finanzrahmen. Der muss von allen gemeinsam getragen und beschlossen werden. Aber wenn das nicht gelingt, dann kann man mit der sogenannten Zwölftelregelung weitermachen, das heißt, die Europäische Union kann ein Zwölftel des normalen Budgets in jedem Monat ausgeben. Und der zweite Topf, das ist der sogenannte Wiederaufbautopf „Next Generation EU“, den hätte man auch zu 25 beschließen können, also ohne Polen und Ungarn. Und die beiden Länder erhalten ja auch aus diesem Topf erhebliche Maßnahmen. Also, man hätte hier mehr Druck machen können seitens der deutschen Ratspräsidentschaft, aber die Bundesregierung hat es eben schon vorher versäumt, hier hart zu bleiben und damit im Grunde den Rechtsstaatsmechanismus so verwässert, dass er, wie ich eben schon gesagt habe, mehr so eine Art Rechnungshofprüfung ist als eine echte Rechtsstaatlichkeitsprüfung.
Frage: Einzelne Staaten können die EU immer wieder lähmen in wichtigen Fragen. Das erleben wir immer wieder. Welche Konsequenzen sollte die EU denn ziehen, auch aus diesem Konflikt mit Polen und Ungarn?
Lambsdorff: Na ja, da gibt es in Deutschland eine breite Debatte, in der wir als Freie Demokraten ja auch uns mehrfach geäußert haben. Das Prinzip der Einstimmigkeit ist in einer Europäischen Union mit jetzt 27 Mitgliedern eben tatsächlich ein Einfallstor für nationale Egoismen, es ist auch ein Einfallstor für Regierungen, die Fake News auf dem Rücken der Europäischen Union verbreiten. Wir haben ja im Vorbericht gerade gehört, dass der ungarische Außenminister gesagt hat, die Europäische Union habe Ungarn zwingen wollen, Migranten aufzunehmen. Das hat mit dieser ganzen Diskussion überhaupt nichts zu tun, es handelt sich um eine innenpolitische Aufladung dieser Debatte durch eine populistische Regierung, die die Opposition längst ausgeschaltet hat in Budapest. Also, das Einstimmigkeitsprinzip ist in meinen Augen hier der Pferdefuß, aber es wird schwer sein, den wegzukriegen.
Frage: Haben Staaten wie Polen und Ungarn, die wichtige Werte der Gemeinschaft einfach nicht mittragen, überhaupt noch Platz in einer EU?
Lambsdorff: Ja, das kann man mit Fug und Recht hinterfragen. Ich finde besonders eins bemerkenswert: Die polnische Regierung ist ja getragen von einer Partei, die außerhalb aller europäischen Parteienfamilien steht, das ist eine rechtspopulistische und nationalistische Kraft, PiS, die Partei der Kaczynski-Brüder, jetzt ist es der Überlebende Jaroslaw Kaczynski, der jetzt da den Ton angibt. Das ist das eine. Das andere und das finde ich eigentlich beunruhigender: Viktor Orban ist Vorsitzender der Fidesz-Partei, einer Partei, die Teil der Europäischen Volkspartei ist, also der Parteienfamilie, der auch CDU und CSU angehören. Sozialdemokraten, Grüne, auch wir als Freie Demokraten haben immer wieder angemahnt, eine Partei, die Ungarn in einen autoritären Staat verwandelt, kann nicht in einem demokratischen Parteienverband Mitglied bleiben. Aber CDU und CSU haben Viktor Orban immer mit Samthandschuhen angefasst. Er hat ihnen als Antwort den Fehdehandschuh hingeschmissen hier bei den Haushaltsverhandlungen. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet Angela Merkel jetzt die Ratsvorsitzende ist, die hier sozusagen ihre Ratspräsidentschaft durch ihren Parteifreund Orban ruiniert bekommen hat.