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LAMBSDORFF-Gastbeitrag: Freie Wahlen für Russland
Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Alexander Graf Lambsdorff schrieb für die „Fuldaer Zeitung“ (Samstagsausgabe) den folgenden Gastbeitrag:
Gebannt schaut die Welt einmal mehr nach Moskau, wo der zweitwichtigste Mann Russlands ein weiteres Urteil erwartete. Alexej Nawalny, mehrfach verhaftet, immer wieder schikaniert, vor wenigen Monaten sogar vergiftet, ist der wichtigste Oppositionelle in Russland. Dabei gehört er gar keiner Partei an. Und doch jagt er den Mächtigen im Kreml offenbar soviel Angst ein, dass sie nicht nur Polizei und Steuerbehörden auf ihn ansetzen, sondern sogar ein Killerkommando.
Warum das alles? Offensichtlich ist Wladimir Putin nervös, denn im September finden nicht nur in Deutschland, sondern auch in Russland Parlamentswahlen statt. Die Proteste gegen die Wahlfälschung in Weißrussland wirken auf den russischen Präsidenten offensichtlich wie eine dunkle Vorahnung, denn längst finden die Demonstrationen nicht mehr nur in Sankt Petersburg und Moskau, sondern im ganzen Land statt. Es ist auch kein Zufall, dass der Kreml die politischen Daumenschrauben nach der Zitterpartie der Regionalwahlen 2019 anzog. Mehrere Gouverneure und viele Kandidaten verschwiegen ihre Zugehörigkeit zur Putin-Partei, um überhaupt eine Chance zu haben, liberale Kräfte schnitten gerade in Moskau besser ab als erwartet.
Dabei ist es für Oppositionelle fast unmöglich, in einem fairen Wettbewerb um ein Mandat zu kämpfen. Unabhängige Kandidaten müssen lange Unterschriftenlisten vorlegen, doch regelmäßig werden kurz vor dem Stichtag Tausende von Namen für ungültig erklärt, so dass die Kandidaten keine Chance mehr auf Zulassung zur Wahl haben. Auch Oppositionelle, die angeblich im Interesse nicht näher bezeichneter „ausländischer Quellen“ politisch wirken möchten, können als „Agenten“ von einer Kandidatur ausgeschlossen werden. Und wenn das alles nicht reicht, wird ein Strafverfahren angezettelt, weil Verurteilte ihre Wählbarkeit verlieren. Trotz all dieser in Russland ironisch „administrativen Maßnahmen“ genannten Manipulationen sollte Nawalny ermordet werden. Das ging nach hinten los: Während 2017 nur gut die Hälfte aller Jungwähler angaben, das erste Mal im Rahmen der Antikorruptionsproteste von Nawalny gehört zu haben, kennt heute jedes Kind seinen Namen.
Als Freie Demokraten in der Tradition Hans-Dietrich Genschers wollen wir gute Beziehungen zu Russland. Deswegen befürworten wir klare, aber maßvolle Antworten. Zuverlässige Labore haben bewiesen, dass Nawalny mit dem Nervenkampfstoff Nowitschok vergiftet wurde. Gegen die inzwischen ermittelten Täter sind personenbezogene Sanktionen das geeignete Instrument. Angesichts der klaren Beweislage ist unverständlich, wenn nicht nur AfD und Linkspartei weiter Präsident Putin huldigen, sondern auch Teile der SPD. Manuela Schwesig will Nordstream 2 um jeden Preis zu Ende bauen und gründet zur Tarnung eine Umweltstiftung, die 99 Prozent ihres Geldes, die Geschäftsgrundsätze und den Geschäftsführer vom russischen Staatskonzern Gazprom zugewiesen bekommt. Deutschland wird auch in Zukunft Erdgas aus Russland brauchen, es kann deswegen nicht darum gehen, eine milliardenschwere Investitionsruine zu schaffen, wie es die Grünen vorschlagen. Aber jetzt wäre es besser, einen vorläufigen Baustopp zu erlassen, um Putin die Gelegenheit zu geben, seine Politik zu ändern. Russland verdient freien politischen Wettbewerb vor den Dumawahlen 2021 und kein abgekartetes Polittheater.