Wolfgang Kubicki
Pressemitteilung

KUBICKI-Gastbeitrag: Deutschland steht im Stau

Das FDP-Fraktionsvorstandsmitglied Wolfgang Kubicki schrieb für die „Welt“ (Montagsausgabe) den folgenden Gastbeitrag:

Es war ein gutes Jahr für die Bahnreisenden. Auf sämtlichen Hochgeschwindigkeitsstrecken des Landes betrug die Verspätungszeit aller entsprechenden Züge kumuliert lediglich fünf Minuten. Im Schnitt waren es ganze sechs Sekunden pro Zug. Wer schnell auf der Schiene unterwegs sein wollte, konnte sicher sein, dass er das Meeting oder seine Verabredung am weit entfernten Zielort minutengenau einhalten konnte. Natürlich reden wir nicht über den ICE im Deutschland des Jahres 2018, sondern über dessen japanisches Pendant, den Shinkansen des Jahres 2005. Wer angesichts der sattsam bekannten katastrophalen Werte der Deutschen Bahn glaubt, Pünktlichkeitsquoten von über 95 Prozent auf der Langstrecke seien eine irre Utopie und niemals erreichbar, sollte sich in erfolgreicheren Ländern kundig machen.

Dass wir zuverlässig auf ein riesengroßes Mobilitätsproblem zusteuern, sehen wir ebenfalls im Flugverkehr. Im vergangenen Sommer konnten wir lesen, dass die Zahl der annullierten Flüge von, nach und innerhalb Deutschlands im ersten Halbjahr um 67 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum angestiegen ist. Man erwartete eine dramatische Verschärfung der Lage, weil bis 2020 viele Fluglotsen in den Ruhestand gehen. Selbst wenn wir heute anfangen, Menschen entsprechend auszubilden, wären wir wegen der vierjährigen Ausbildungsdauer erst 2023 in der Lage, diese Lücke zu füllen. Theoretisch, versteht sich.

Doch auch auf der Straße gibt die viertgrößte Wirtschaftsnation der Welt seit Langem ein erschütterndes Bild ab. Im Jahre 2017 verzeichnete der ADAC 457.000 Staustunden auf Deutschlands Autobahnen. Wer 2017 auf der Autobahn unterwegs war, hätte also 52 Jahre unproduktiv im Stau stehen können. Viele Brücken und Landstraßen zerbröseln, weil in der Vergangenheit konsequent zu wenig in die Erhaltung investiert wurde – mit der Folge, dass Strecken gesperrt und die Sanierungskosten stetig höher werden.

Und die Diesel-Fahrverbote in ausgewählten Städten setzen unserem Mobilitätsdilemma die rostige Krone auf: Wer so „dumm“ war und sich einen der Selbstzünder zugelegt hatte, die noch im Jahr 2015 regierungsamtlich als umweltfreundlich gepriesen wurden, muss sich heute nicht nur als Umweltsünder fühlen, sondern auch enteignet, weil er in bestimmte Innenstädte nicht mehr fahren kann. Wehe dem, der sich auf die Zusagen seiner Bundesregierung verlässt.

Wir können gerade dabei zusehen, wie Deutschlands Mobilität rückschrittlicher wird. Wir waren schon mal weiter. Obwohl wir dankenswerterweise noch immer von einer guten konjunkturellen Lage profitieren, die uns bislang zuverlässig neue Steuereinnahmerekorde beschert hat, vermeidet es die Bundesregierung unter Angela Merkel gleichwohl, die Voraussetzungen für kommendes Wirtschaftswachstum zu schaffen. Denn es wird auf absehbare Zeit dabei bleiben, dass wir Schuhe, Möbel oder Elektrogeräte zwar über digitale Datenleitungen bestellen können. Zu uns kommen diese Waren aber noch immer ganz analog auf der Straße, Schiene oder durch die Luft.

Apropos digitale Datenleitungen: Man sollte meinen, dass eine erfolgreiche Wirtschaftsmacht wenigstens über eine kommunikative Mobilität auf höchstem Stand verfügen sollte, wenn es die verkehrliche schon nicht ist. Wer weit entfernt wohnt, muss digital schnell seine Dienstleistungen anbieten oder zumindest störungsfrei mobil telefonieren können. Die klaffenden Lücken in unserem Mobil-und Datennetz offenbaren jedoch alles andere als Weltklasse. Es verrät viel über Wirtschaftsminister Peter Altmaier, dass er mit ausländischen Kollegen lieber nicht von unterwegs telefoniert, weil ihm die ständigen Unterbrechungen peinlich sind. Für viele sind diese Lücken nicht mehr peinlich, sie sind eine Wachstumsbremse. Es ist ein Wunder, dass unser Land ökonomisch noch so gut dasteht.

Wenn wir sehen, wie deutlich uns andere Länder in Mobilitätsfragen abgehängt haben, wird offensichtlich, dass diese zukunftsgefährdenden Entwicklungen das Ergebnis politischen Versagens sind. Dass Deutschland in vielen Bereichen den Anschluss verliert, resultiert aus einem gefährlichen politischen Verständnis, das die Regierungsgeschäfte seit geraumer Zeit bestimmt. Bundeskanzlerin Merkel hat ihre Kollegen beziehungsweise ihre Union in den vergangenen Jahren darauf getrimmt, Probleme nicht mehr zwangsläufig zu lösen. Das Moderieren von Problemen reichte, um bei den nächsten Wahlen akzeptabel zu reüssieren. Die satt und sedierend angesetzte Erzählung, Deutschland gehe es gut, war für die Regierungspartei wichtiger, als dafür zu sorgen, dass es uns künftig auch gut geht.

Diese Ambitionslosigkeit wird mittelfristig jedoch nicht mehr reichen. Deutschlands Mobilität und damit seine ökonomische Entwicklung stehen aktuell am Scheideweg. Sollte es uns nicht gelingen, die massiven Probleme in der verkehrlichen und kommunikativen Beweglichkeit schnell zu beheben, wird nicht nur unser Wohlstandsniveau dramatisch absinken. Wir werden in wenigen Jahren dann auch den ökonomischen Abstieg Deutschlands aus der Weltspitze erleben. Peter Altmaier und seine Kabinettskollegen haben es in der Hand, ob es für Deutschland künftig noch peinlicher wird oder ob der Zustand der Rückständigkeit beseitigt wird. Noch haben wir die finanziellen Mittel, um kraftvoll umzusteuern. Dass die Innovationskraft und -willigkeit dieser Bundesregierung jedoch groß genug für eine solche Mammutaufgabe ist, ist leider stark zu bezweifeln.

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