DÜRR-Interview: Wir wissen, dass Planwirtschaft bereits gescheitert ist
Der FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Dürr gab dem Tagesspiegel (Montagsausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Valerie Höhne.
Frage: Die wirtschaftliche Situation im Land ist mäßig, die FDP hat sich trotzdem gegen einen Industriestrompreis ausgesprochen. Warum?
Dürr: Die Stromsteuer ist zu hoch, wir haben ein zu knappes stetiges Energieangebot, was zu hohen Preisen führt. Die Antwort kann doch nicht lauten, dass wir für einige wenige einen hohen Strompreis mit dem Geld der Stromkunden runtersubventionieren. Wir müssen stattdessen die Stromsteuer für alle senken. Das ist wesentlich sinnvoller. Nicht nur die energieintensive Industrie hat ein Problem mit den hohen Preisen, sondern größere Teile der Wirtschaft.
Frage: Der Verband der chemischen Industrie wirft der Bundesregierung vor, sie ignoriere die Notlage. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hat davor gewarnt, dass die energieintensive Industrie auf Dauer abwandern wird.
Dürr: Die Energiepolitik der unionsgeführten Regierungen der vergangenen zwanzig Jahre war falsch. Wir sind aus immer mehr Energieträgern ausgestiegen, was zu einer Verknappung des Angebots geführt hat, und wir haben staatliche Abgaben, vor allem Steuern, auf Energie künstlich hochgetrieben. Das muss sich ändern.
Frage: Kritiker sagen, wenn Sie die Stromsteuer für alle senken, geht der Anreiz für alle verloren, Energie zu sparen.
Dürr: Ich halte das Argument für falsch. Der Staat sollte nicht den Verbrauch regulieren, sondern dafür sorgen, dass die Industrie klimaneutral wird. Deswegen haben wir eine Wasserstoffstrategie verabschiedet, deswegen sprechen wir über Technologieoffenheit und Kernfusion.
Frage: Die FDP will auch den Rückbau der Atomkraftwerke stoppen. Ist das mehr als eine Wahlkampfforderung vor den wichtigen Landtagswahlen in Hessen und Bayern?
Dürr: Das ist langfristig gedacht. Der Rückbau findet sukzessive über viele Jahre statt, nicht sofort. In der Situation, in der wir sind, mit unglaublichen Herausforderungen für die Wettbewerbsfähigkeit, sollten wir keine Möglichkeit aus der Hand geben.
Frage: Sie müssten viele Millionen für Sicherheitsprüfungen und Instandsetzungen ausgeben. Der Betreiber RWE sagt, ihnen fehle die Fantasie für eine Wiederaufnahme des Betriebs. Kanzler Olaf Scholz (SPD) sagte, die Atomkraft sei ein „totes Pferd“.
Dürr: Es geht darum, dass wir nicht frühzeitig mit einem Rückbau beginnen. Das kostet kein Geld. Im vergangenen Winter haben wir gemerkt, dass es klug war, sehr spontan handeln zu können, und eine Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke entschieden. Jetzt geht es darum, dass die Preise runtergehen.
Frage: Kurzfristig würde das die Preise aber nicht senken.
Dürr: Deshalb sollten wir jetzt schnell bei der Stromsteuer reagieren, aber wir müssen auch darüber nachdenken, wie wir in Deutschland die Grundlast langfristig sicherstellen.
Frage: Die Grünen haben auf diese Forderung mit Augenrollen reagiert. Werden Sie in den nächsten zwei Jahren in der Ampel konstruktiver regieren können?
Dürr: Wir haben viele wichtige Reformentscheidungen getroffen, die teilweise durch politische Diskussionen verdeckt worden sind. Wir müssen diese Reformpolitik aber in jedem Fall fortführen, deswegen scheue ich die inhaltliche Diskussion auch nicht. Meine herzliche Bitte ist, dass wir es konstruktiv machen.
Frage: Das Gesetzvorhaben „Atombomben“ fürs Land seien, oder die Kindergrundsicherung „Sozialklimbim“ kamen aus Ihren Reihen. Erstreckt sich die Bitte also auf die FDP?
Dürr: Auf X, ehemals Twitter, wird gelegentlich zugespitzt formuliert. Solche Formulierungen lassen sich in allen Reihen finden – ob Regierung oder Opposition. Wir sollten uns einfach auf die Arbeit konzentrieren.
Frage: Sie schließen weitere Sozialreformen für die Legislaturperiode aus. Gilt das auch für die geplanten Maßnahmen zum Stopp der Mieterhöhungen?
Dürr: In Zeiten, in denen die Preise hoch sind, weil das Angebot zu gering ist, die Preise zu deckeln, führt nicht zu mehr Angebot. Wir wissen, dass Planwirtschaft bereits gescheitert ist, mehrfach sogar, auch auf deutschem Boden. Ich empfehle, dass wir stattdessen die Baukosten verringern.
Frage: Sprechen wir über das Wachstumschancengesetz von Finanzminister und FDP-Chef Christian Lindner. Kommunen kritisieren es heftig, weil es sie mehrere Milliarden kosten würde. Dabei sind Kommunen durch die Kosten der Pandemie und der Unterbringung von Flüchtlingen am Limit. Ist es die richtige Entscheidung, ihnen noch mehr Geld wegzunehmen?
Dürr: Es geht nicht darum, den Kommunen Geld wegzunehmen, sondern den Standort zu sichern. Daran haben die Kommunen ein großes Interesse, weil ihre Gewerbesteuereinnahmen daran hängen. Unsere Wirtschaft muss wieder Fahrt aufnehmen. Ich bin bass erstaunt, ob des möglichen Vetos der CDU/CSU im Bundesrat zum Wachstumschancengesetz. Eine Partei, die von sich sagt, sie hätte wirtschaftliche Kompetenz will ausgerechnet dieses Gesetz verhindern. Das lässt mich sprachlos zurück.
Frage: Das Gesetz würde das Land Berlin laut Berliner Finanzressort 200 Millionen Euro kosten. Können Sie da nicht verstehen, dass zum Beispiel Berlins Regierender Bürgermeister, Kai Wegner, dagegen ist?
Dürr: Die Steuereinnahmen der Länder sind konstant gestiegen, während sie im Bund stagniert sind. Das Wachstumschancengesetz ist eine Kraftanstrengung aller Ebenen. Aber es profitieren auch alle davon, wenn die Wirtschaft wieder läuft. Manche Unionspolitiker scheinen sich gegen wirtschaftliche Prosperität entschieden zu haben. Das halte ich für falsch.