DÜRR-Interview: Wir müssen schneller werden
Der FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Dürr gab dem „Weser-Kurier" das folgende Interview. Die Fragen stellte Markus Peters:
Frage: Am Sonntag ist Europawahl: Ursula von der Leyen fordert jetzt das Recht für die Europäische Union ein, Schulden machen zu dürfen. Wie stehen die Liberalen dazu?
Dürr: Das zeigt einmal mehr, dass die CDU jederzeit bereit ist, sich für neue Schulden zu entscheiden. Wir erleben, dass in Deutschland reihenweise CDU-Ministerpräsidenten die Schuldenbremse angreifen. Jetzt soll auch auf europäischer Ebene in die Verschuldung gegangen werden. Das ist der falsche Weg. Wir haben mit Christian Lindner als Finanzminister bewiesen, dass es anders geht. Wir halten in Deutschland die Schuldenbremse ein. Die Schuldenquote in Deutschland geht zurück. Die Vorgängerregierung lag bei knapp 70 Prozent, jetzt sind wir unter 65 Prozent.
Frage: Im Nachhaltigkeitsbericht der Bundesregierung steht unter anderem, dass die Schuldenquote langfristig unter 60 Prozent liegen sollte. Daran wollen Sie festhalten?
Dürr: Genau! Wenn wir weitermachen und unter 60 Prozent kommen, dann ist ausreichend Spielraum da, um auch in Zukunft die Bundeswehr zu finanzieren, in Sicherheit zu investieren, in Infrastruktur zu investieren. Ich erwarte auch von Europa, dass man sich auf das Wichtige konzentriert und nicht Geld für alles Mögliche ausgibt, vor allem nicht für Subventionen.
Frage: Nun ist es unstrittig, dass Deutschland künftig mehr Geld für die Verteidigung ausgeben muss. Aber wo soll das Geld herkommen?
Dürr: Wir haben als Notfallmaßnahme das Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr bereitgestellt, weil die Bundeswehr in den vergangenen anderthalb Jahrzehnten insbesondere von der damaligen Verteidigungsministerin von der Leyen kaputtgespart worden ist. Wenn wir weiter Maß halten beim Thema Verschuldung und Prioritäten setzen, werden wir die Bundeswehr langfristig auskömmlich finanzieren können.
Frage: Ihre Kernthese ist, über eine niedrige Schuldenquote wirtschaftliches Wachstum zu garantieren und darüber höhere Steuereinnahmen zu generieren. Kann das aufgehen?
Dürr: Erstens: Wenn wir die Schuldenquote unten halten, zahlt der Bund weniger Zinsen. Zweitens: Wenn wir eine florierende Wirtschaft haben, nehmen wir mehr Steuern ein. So haben wir dann mehr Geld für die Bundeswehr. Die Menschen erwarten zurecht von der Politik, dass wir uns anstrengen und Prioritäten setzen. Wir werden weiter steuerlich entlasten in Deutschland. Das bringt die Wirtschaft in Schwung. Wir müssen den Standort attraktiv machen, es muss wieder investiert werden. Die gesamte Idee, man verschuldet sich und verteilt dann das Geld, was man sich vorher bei den Banken geliehen hat, ist grundfalsch. Es muss genau andersherum sein, es muss erst erwirtschaftet werden, dann verteilt.
Frage: Ein weiterer Punkt, an dem ebenfalls zweifellos investiert werden muss, ist die Infrastruktur. FDP-Verkehrsminister Volker Wissing hat dafür einen Infrastrukturfonds mit privatem Kapital vorgeschlagen. Kann das gelingen?
Dürr: Die Investitionsquote des Bundes ist auf Rekordniveau, wir geben 50 Prozent mehr für Investitionen aus als im letzten regulären Bundeshaushalt der Großen Koalition. Wir stellen mehr Geld als in der Vergangenheit für die Autobahnen und die Schiene bereit. Für die zukünftige Finanzierung in den kommenden Jahren und Jahrzehnten macht es absolut Sinn, auch privates Kapital zu aktivieren, durch öffentlich-private Partnerschaften beispielsweise. Es gibt von vielen sogenannten Kapitalsammelstellen das Interesse, in die deutsche Infrastruktur zu investieren, also da kann man kluge Lösungen finden, und wichtig ist, dass es nicht Schuldentöpfe werden, sondern echte Investitionstöpfe.
Frage: Da ist man aber seit dem Vorschlag von Wissing noch nicht sehr viel weitergekommen. Wo hakt es?
Dürr: Es kann nicht darum gehen, neue Schuldentöpfe aufzumachen. Das wäre der falsche Weg. Die Botschaft muss lauten: Wir investieren mehr in die Zukunft und geben weniger für Konsum aus. Aber das Dritte, was mir sehr wichtig ist, ist Bürokratieabbau. Da haben wir ja schon einiges gemacht, das Planungsbeschleunigungsgesetz beispielsweise, sodass Autobahnen schneller gebaut werden.
Frage: Oder die Abschaffung des Meldescheins bei Hotelübernachtungen…
Dürr: Genau, pragmatische Dinge, die die Menschen konkret betreffen. Aber auch die Verkürzung von Aufbewahrungsfristen für Unternehmen. Jetzt stoßen wir an eine gläserne Decke, die befindet sich in Brüssel. Fast 60 Prozent der Bürokratie, mit der wir in Deutschland zu kämpfen haben, kommen direkt aus Brüssel. Das ist unter der Kommissionspräsidentschaft von Ursula von der Leyen alles noch schlimmer geworden. Da muss der Hebel komplett umgelegt werden.
Frage: Da wartet auf ihre Spitzenkandidatin für die Europawahl, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, eine Menge Arbeit. Aber sie kann auch gehörig nerven. Das steht zumindest auf ihren Wahlplakaten…
Dürr: Sie spricht absolut Klartext. Da wird nicht um den heißen Brei herumgeredet. Sie ist durchsetzungsstark und das ist genau das, was Deutschland jetzt in Brüssel braucht: Keine Bürokraten, die immer mehr Bürokratie verursachen, sondern Politiker, die bereit sind, auch mal durchs Feuer zu gehen.
Frage: Ihr designierter Nachfolger als Vorsitzender des Verteidigungsausschusses, Marcus Faber, ist nicht unumstritten, hat sogar während einer Befragung des Bundeskanzlers den Ausschuss vorzeitig verlassen, weshalb er als FDP-Sprecher im Ausschuss zurückgetreten ist. Wie reagieren Ihre Koalitionspartner auf diese Personalie?
Dürr: Marcus Faber hat damals einen Fehler gemacht und politische Konsequenzen gezogen. Das hat meinen tiefen Respekt. Wenn man einen Fehler macht und ihn dann korrigiert. Ich glaube, diese Art der Fehlerkultur ist das, was wir in Deutschland brauchen. Aber auch die SPD hat manchen Fehler in der Großen Koalition eingeräumt und macht Dinge anders. Denken Sie an die Außen- und Verteidigungspolitik, die Stärkung der Bundeswehr, denken sie allein an die Debatten über die Bewaffnung von Drohnen. Da wurden Drohnen angeschafft, die nicht bewaffnet waren. Diese Fehler haben wir jetzt korrigiert.
Frage: Welche Fehler der Großen Koalition gilt es denn sonst noch zu korrigieren?
Dürr: Es wurde immer wieder über eine moderne Schulpolitik geredet, aber nichts gemacht. Wir haben das größte Bildungsprogramm der Bundesrepublik Deutschland in dieser Koalition auf den Weg gebracht: das Startchancen-Programm. Davon profitieren in Bremen 43 Schulen. Weil es nämlich viel mehr Sinn ergibt, in großartige Schulen zu investieren als in Sozialhilfe.
Frage: Das Beispiel überrascht, weil es normalerweise nicht das Politikfeld ist, in dem ihrer Partei besondere Kompetenzen zugesprochen werden.
Dürr: Im Gegenteil. Die besten Schulen müssen wir in den sozialen Brennpunkten haben, wo es junge Menschen am schwersten haben. Das ist doch eine viel sozialere Politik als Menschen in Arbeitslosigkeit zu alimentieren. Wir müssen die Menschen dazu befähigen, über Bildung den Aufstieg zu schaffen. Das ist auch mein liberales Selbstverständnis.
Frage: Dennoch verlangt ihre Partei Nachbesserungen beim Bürgergeld. Was wollen Sie verändern?
Dürr: Beim Bürgergeld müssen wir sicherlich verstärkt über Arbeitsanreize reden. Es darf nicht sein, dass Menschen in Arbeitslosigkeit gehalten werden, weil es nicht ausreichend attraktiv ist zu arbeiten. Da haben wir schon einiges verbessert, ein Beispiel: Wer früher als Bürgergeld-Empfänger eine Ausbildung angefangen hat, musste als junger Mensch von 800 Euro Ausbildungsvergütung im ersten Ausbildungsjahr fast 600 Euro abgeben. Jetzt darf dieser Auszubildende etwa 600 Euro behalten. Es muss sich einfach lohnen zu arbeiten.
Frage: Vor wenigen Tagen haben sie das Rentenpaket II verabschiedet. Sind damit die sozialpolitischen Reformen der Ampel für diese Legislaturperiode abgeschlossen?
Dürr: Das ist eine echte Zeitenwende. Zum ersten Mal in der Geschichte unseres Landes wird die Rente durch einen Kapitalstock wirklich abgesichert, wie das fast alle westlichen Länder sehr erfolgreich machen. In der Vergangenheit wurde bei der Rente oft von der Hand in den Mund gelebt. Wir schaffen nun die Möglichkeit, dass Millionen von Arbeitnehmern und Millionen von Rentnern vom Kapitalmarkt profitieren. Bisher war das nur denen vorbehalten, die schon Geld haben. Jetzt profitieren auch Arbeitnehmer, die weniger verdienen. Das ist ein ganz großer Schritt nach vorne.
Frage: Gleichzeitig muss eine Rente generationengerecht sein. Sie müssen schauen, dass die Beiträge nicht zu stark ansteigen und die Generationen im Arbeitsleben nicht zu über Gebühr belastet werden. Wie soll das gelingen?
Dürr: Ich finde, Schweden ist da ein leuchtendes Beispiel. Die haben diesen Kapitalstock, also die gesetzliche Aktienrente in Form des Generationenkapitals, schon länger. Sie halten die Beiträge niedrig und Renten stabil auf hohem Niveau. Gleichzeitig wäre ein flexibler Renteneintritt sinnvoll, weil die Lebensentwürfe unfassbar unterschiedlich sind. Ich finde, da sollten wir den Menschen mehr Freiheit geben, das selbst zu entscheiden. Da sehe ich Bewegungsspielraum beim Bundesarbeitsminister und darüber werden wir in der Koalition sprechen.
Frage: Ein weiterer Ansatz wäre, die Basis der Einzahlenden zu verbreitern, zum Beispiel Beamte und Selbstständige in die Sozialversicherungen zu integrieren. Also das Modell der Bürgerversicherung, wie es beispielsweise die Schweiz macht. Wie stehen Sie dazu?
Dürr: Wenn man mehr einzahlen lässt, hat man auch mehr, die etwas herausbekommen. Das ändert mathematisch nichts an der ganzen Situation. Wichtig ist, dass die Dinge solide finanziert sind. Deswegen ist mir die gesetzliche Aktienrente und ein flexibler Renteneintritt so wichtig. Es muss das Ziel sein, dass wir nicht nur stabile und steigende Renten haben, sondern dass die auch solide finanziert sind. Es reicht nicht, einfach nur eine hohe Rente zu versprechen, wie die Große Koalition es getan hat. Die haben ein Rentenversprechen abgegeben, was sie nicht finanziert hatten, das wird jetzt immer offensichtlicher. Wir geben ein Rentenversprechen ab und finanzieren das auch.
Frage: Die Rente, auch das ist ein Teil der Wahrheit, wäre künftig ohne Migration kaum finanzierbar. Allerdings gelingt es noch nicht ausreichend, Einwanderer auch in Arbeit zu bringen. Wie kann das gelingen?
Dürr: Wir haben festgelegt, dass nur noch deutscher Staatsbürger werden kann, wer von eigener Hände Arbeit lebt. Ich glaube, dieser Leistungsgedanke, dass sich Arbeit lohnt, Teilhabe ermöglicht, ist Voraussetzung für sozialen Aufstieg. Das befriedet auch eine Gesellschaft. Da kann man sicherlich einiges tun, aber die ersten Schritte haben wir gemacht. Jetzt konzentrieren wir uns darauf, dass es Einwanderung in den deutschen Arbeitsmarkt gibt. Wir müssen es schaffen, dass Deutschland ein modernes Einwanderungsland wird. Menschen, das sage ich vor dem brutalen und fürchterlichen Anschlag von Mannheim in aller Härte und Deutlichkeit, die hier nur Unheil anrichten wollen, haben in Deutschland nichts zu suchen. Diejenigen, die durchstarten wollen, Talente aus anderen Teilen der Welt, die hart arbeiten wollen, sind willkommen. Diesen Weg müssen wir unbedingt weitergehen.
Frage: Daher werden Sie vermutlich auch kein Problem damit haben, Straftäter und Gefährder nach Syrien und Afghanistan abzuschieben?
Dürr: Die Sache ist klar. Wenn jemand aus einem Land wie Afghanistan kommt, weil er vor Islamismus flieht, später in Deutschland islamistische Straftaten begeht, dann hat er hier nichts zu suchen. Dann muss er abgeschoben werden. Da sind schreckliche Fehler in der von der CDU-geführten Bundesregierung gemacht worden. Die fallen uns jetzt auf die Füße. Diese Fehler müssen korrigiert werden, da dulde ich keine Ausreden. Möglicherweise muss man auch über Drittstaaten gehen, um solche Leute außer Landes zu bringen. Wir brauchen mehr Ordnung und mehr Klarheit in der Migration.
Frage: Wie wollen Sie das erreichen?
Dürr: Das ist der Grund, warum wir als FDP das gemeinsame Asylrecht auf europäischer Ebene möglich gemacht haben. Das ist von der CDU leider immer verhindert worden. Wir werden endlich Asylverfahren an europäischen Außengrenzen haben. Das Ziel muss sein, dass solche Leute gar nicht erst nach Europa kommen, sondern bereits an den Außengrenzen entschieden wird, ob diese Menschen überhaupt verfolgt werden.
Frage: Diese Erkenntnis ist nicht neu und könnte so auch von der Union stammen.
Dürr: Bei der Migrationspolitik reicht es nicht, markige Worte zu sagen, sondern man muss markig handeln. Wir schließen jetzt Migrationsabkommen mit anderen Ländern ab, um die Leute wirklich auch zurückführen zu können. Das hätte Horst Seehofer längst tun können. Wir reden nicht darüber, sondern kommen ins Handeln. Wir haben sehr viele Hausaufgaben nachzuholen, die uns die Vorgänger hinterlassen haben.
Frage: In etwas mehr als einem Jahr sind Bundestagswahlen. Können Sie sich angesichts der vielen Konflikte in der Koalition eine Neuauflage der Ampel vorstellen?
Dürr: Ich denke nicht in Koalitionen, ich denke daran, dass wir dieses Land wieder auf Erfolgskurs bringen müssen. Wenn ich jetzt eine erste vorsichtige Bilanz ziehe, dann stelle ich fest, dass die Schuldenquote in Deutschland nach unten geht, dass die steuerliche Belastungsquote endlich wieder nach unten geht, dass wir mehr Planungsbeschleunigung haben, dass wir uns entbürokratisiert haben. Wir sind noch nicht auf einem Niveau, wie es der drittgrößten Volkswirtschaft der Welt angemessen wäre. Wir müssen dynamischer und schneller werden. Dafür kämpfen wir.
Frage: Das klingt sehr ungeduldig.
Dürr: Die FDP war immer eine Partei, die ungeduldig ist. Wir wollen schneller, weiter, höher, weil wir glauben, dass die Menschen in Deutschland das Recht haben, dass sie in Wohlstand leben können und alle Chancen im Leben haben. Egal, wo sie herkommen, welchen sozialen Hintergrund sie haben. Ich denke nicht in Koalitionen, sondern in Taten.