Fraktionsvorsitzender
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Christian Dürr
Pressemitteilung

DÜRR-Interview: Unsere geopolitische Stärke hängt unmittelbar mit unserer ökonomischen Stärke zusammen

Der FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Dürr gab der WELT AM SONNTAG das folgende Interview. Die Fragen stellten Thorsten Jungholt und Jacques Schuster.

Frage: Der Standort Deutschland ist laut Bundesregierung nicht mehr wettbewerbsfähig. Was sagt das über die Arbeit der FDP in den vergangenen zweieinhalb Jahren, Herr Dürr?

Dürr: Es sagt vor allem etwas darüber aus, wie schlecht die Wirtschaftspolitik von CDU und CSU war. Deutschland leidet darunter, dass in den letzten anderthalb Jahrzehnten keine Reformpolitik gemacht worden ist. Die Große Koalition unter Angela Merkel verteilte Geld wie aus dem Füllhorn. Das war möglich durch die niedrigen Zinsraten und das billige russische Erdgas. Damit ist es der unionsgeführten Regierung gelungen, die eigentlichen Strukturprobleme zu verdecken. Aber das ist verschüttete Milch. Jetzt ist es an uns, diese sträflich vernachlässigten Reformen auf den Weg zu bringen. Erste Schritte haben wir getan, etwa durch die einkommensteuerlichen Entlastungen von über 50 Milliarden Euro, durch das Wachstumschancengesetz und den Bürokratieabbau, den Justizminister Buschmann auf den Weg gebracht hat. Weitere Schritte werden folgen. Wir brauchen eine echte Wirtschaftswende. 

Frage: Diese Wende fordern Sie schon seit einiger Zeit. Was bedeutet das konkret? 

Dürr: Deutschland ist noch immer ein Höchststeuerland. Erste Schritte zur Einkommensteuerentlastung hat Finanzminister Lindner auf den Weg gebracht. Für dieses Jahr hat er angekündigt, weitere Maßnahmen folgen zu lassen, um insbesondere die kalte Progression auszugleichen. Darüber hinaus müssen wir dafür sorgen, dass Deutschland seine verlorene Investitionsfähigkeit wiedergewinnt. Seit vielen Jahren bleiben die Ersatzinvestitionen der Privatwirtschaft hinter den Abschreibungen zurück. Der Standort Deutschland ist nicht mehr attraktiv. Wir haben deshalb für öffentliche Investitionen die Planungsbeschleunigung auf den Weg gebracht. Genau so müssen wir das jetzt auch für die privaten Investitionen schaffen. Insgesamt muss es viel einfacher und viel schneller gehen, in Deutschland zu investieren. Das ist ein wichtiger Teil der Wirtschaftswende. 

Frage: Im nächsten Haushalt klafft eine Lücke von über 20 Milliarden Euro. Wie wollen Sie Ihre Wirtschaftswende finanzieren? 

Dürr: Es geht nicht darum, dass man Steuerzahlergeld aufwendet, um Subventionen auszuschütten und damit die Wirtschaft anzukurbeln, das wäre nichts als ein Strohfeuer. Wir müssen an die Strukturen ran: Der Bürokratieabbau ist ein Konjunkturprogramm, das keinen Cent kostet. Hier erwarte ich jetzt insbesondere Bewegung von Frau von der Leyen in Brüssel.

Frage: Eine weitere Entlastung zum Abbau der kalten Progression wird Kosten verursachen. 

Dürr: Diese Entlastung wird in der Tat zu Mindereinnahmen im Haushalt führen. Ich erwarte von allen Ministern, dass sie ihren Beitrag leisten, den Haushalt weiter auf Effizienz zu trimmen. 

Frage: Woher nimmt Finanzminister Lindner das Gottvertrauen zu hoffen, dass es möglich sei, den Verteidigungsetat ab 2028 um neun Milliarden aufzustocken, wenn sich die konjunkturelle Lage verbessert? Keiner der Wirtschaftsweisen teilt diesen Optimismus.

Dürr: Den Optimismus nehme ich aus den Haushaltsberatungen für 2024. Da hat es geklappt. Außerdem besteht keine Alternative dazu. Es wäre ökonomisch falsch, auf eine expansive Ausgabenpolitik zu setzen. Darüber hinaus schreibt uns das Grundgesetz die Einhaltung der Schuldenbremse vor. Ich setze darauf, dass wir uns auch im Sozialbereich anschauen, was wir effizienter gestalten können, also wo wir mehr Arbeitsanreize auch in der Grundsicherung mit dem Ziel einbauen können, dass weniger Menschen Leistungen bekommen und mehr Menschen in der Lage sind, durch Arbeit Steuern zu zahlen. Das gilt auch für das Bürgergeld. Hier sollten wir überlegen, die Zuverdienstgrenzen zu verbessern. 

Frage: Hat die Union recht, wenn sie sagt, wir könnten uns das Bürgergeld in seiner gegenwärtigen Form nicht mehr leisten?

Dürr: Mich überrascht das Verhalten der Union, weil sie dem Bürgergeld zugestimmt hat. Das beiseite: Natürlich müssen wir weiter über Effizienz reden. Ich wage die Prognose, dass das Bürgergeld 2025 entweder gar nicht oder nur minimal steigen wird. Es wird eine Nullrunde geben, weil die Inflation so deutlich zurückgeht. 

Frage: Wie sehen Sie Ihr Verhältnis zur Union? Denn trotz Ihrer Kritik: Bei konkreten Fragen wie dem Bürgergeld sehen wir große Schnittmengen zwischen FDP und CDU. 

Dürr: Ich freue mich, wenn die Union Vorschläge der Freien Demokraten unterstützt. Aber leider muss ich feststellen: Immer dann, wenn die Union auf Bundes- oder Landesebene als Teil einer Regierung in der Lage ist, Entscheidungen für Steuerentlastung und Strukturreformen zu treffen, dann entscheidet sie sich dagegen. Das Wachstumschancengesetz etwa hat die Union vier Monate verschleppt. Ich würde mich über eine Union freuen, die den Mut hat, auch steuerliche Entlastung mit anzustoßen. Mahnbriefe zu schreiben, genügt nicht. 

Frage: Als Oppositionspartei unterstützt die CDU/CSU die Einhaltung der Schuldenbremse. Glauben Sie, die Union bleibt dabei, wenn sie wieder Regierungsverantwortung trägt?

Dürr: Ich habe keinen Zweifel: Wenn die FDP nicht in der Bundesregierung säße, wäre die Schuldenbremse längst geschliffen worden. Auch von der CDU. 

Frage: Entgegen immer neuer Versprechen, sich zusammenzuraufen, werden ständig Kontroversen in der Koalition entfacht, zuletzt von FDP-Vize Johannes Vogel. Er droht mit einem Veto gegen die Rentenpläne der Ampel. Müssen solche ewigen Querschüsse sein, auch von Ihrer Seite?

Dürr: Es geht doch nicht um Querschüsse. Es geht darum, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Stellen Sie sich eine Sekunde vor, bei den Debatten der letzten zwei Jahre hätten wir als Freie Demokraten gesagt: Wir lehnen uns zurück und sagen zu allem Ja und Amen. Um Gottes Willen!

Frage: Aber Herr Lindner hat im Kabinett doch bereits zugestimmt…

Dürr: …und bei der Vorstellung des Paketes ausdrücklich gesagt, dass natürlich in Zukunft die Rentenbeiträge nicht steigen dürfen, sondern es weiterer Maßnahmen bedarf. Wir werden nun erstmals die Kapitaldeckung einführen bei der Rentenversicherung, eine Jahrhundertreform – und übrigens etwas, wo ich den Blick nach Skandinavien empfehle. Schweden macht das in vorbildlicher Art und Weise schon sehr lange mit sehr stabilen Renten. Nun müssen wir darauf achten, dass es keine Überbelastung der jungen Generation gibt.

Frage: Was also muss sich konkret noch ändern am Rentenpaket?

Dürr: Wir sollten auch über die Frage reden: Wie ist es attraktiv, länger zu arbeiten? Ich halte nichts von einem starren Renteneintrittsalter. Das ist für mich komplett 80er Jahre, also Vergangenheit. Lebensentwürfe sind sehr unterschiedlich, und das sollte auch dazu führen, dass wir den Renteneintritt flexibilisieren in Deutschland. 

Frage: Fast alle in der Regierung warnen vor Verteilungskämpfen angesichts der Notwendigkeit von mehr Verteidigungsausgaben und den Anforderungen des Sozialstaats. Aber haben die Verteilungskämpfe nicht längst begonnen?

Dürr: Verteilungskämpfe um knappe Haushaltsmittel gibt es immer. Das ist kein neues Phänomen. Bis 2028 ist die Bundeswehr durch das Sondervermögen finanziert. Blicken wir in die Jahre danach, dann braucht es weiter gute Haushaltspolitik, um ausreichend Spielraum zu erarbeiten, die Bundeswehr auch künftig stärker zu finanzieren. Das, was jeder von zu Hause weiß, stimmt auch für den Bundeshaushalt: Ausgabendisziplin eröffnet mehr Spielräume in der Zukunft. Unsere geopolitische Stärke hängt unmittelbar mit unserer ökonomischen Stärke zusammen. Je besser wir in der Wirtschaftspolitik sind, je mehr Deutschland floriert, desto mehr Verteidigungsfähigkeit ist auch da. Wer über Verteidigungsfähigkeit spricht, der muss zwingend Ja sagen zu mehr wirtschaftlicher Dynamik, also zu einer Wirtschaftswende.

Frage: Sie glauben also ernsthaft, dass allein eine anspringende Wirtschaft steigende Verteidigungsausgaben quasi automatisch finanziert?

Dürr: Das ist kein Glaube. Die Ausgabendisziplin zahlt sich bereits jetzt aus. Die Schuldenquote des Bundes sinkt in dieser Koalition, weil der Finanzminister bei den Ausgaben stark gebremst hat. Deshalb macht Christian Lindner nun die Rechnung auf: Wir werden 2028 wahrscheinlich unter 60 Prozent Schuldenquote kommen – und haben dann wieder Spielräume. Das ist ja die Schuldengrenze, die uns beispielsweise auch der Stabilitäts- und Wachstumspakt auf europäischer Ebene mal vorgegeben hat. Für den Bundeshaushalt 2025 heißt das: Wir müssen ab sofort damit beginnen. Es ist Solidität angesagt, damit die Verteidigungsfähigkeit zum Ende des Jahrzehnts gewährleistet ist.

Frage: Verteidigungsexperten gehen davon aus, dass zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die Verteidigung auf mittlere Sicht nicht reichen werden. Reichen sie?

Dürr: Die zwei Prozent sind eine gute Zielmarke und wir erreichen sie ja auch bereits. Aber Sie können damit wenig Verteidigungsfähigkeit erreichen, wenn Sie das Geld nicht effizient ausgeben. Oder Sie können sehr viel erreichen, wenn Rüstungsprojekte gut aufgesetzt sind. Mein Eindruck ist, dass der Bundesverteidigungsminister genau daran arbeitet. Weil Deutschland in der Vergangenheit kein solider Auftraggeber war, haben wir in der Rüstungsindustrie teilweise Handarbeit, wo es industrielle Fertigung bräuchte. Also müssen wir als Staat solider auftreten und langfristige Verträge abschließen. Wir wollen das NATO-Ziel einhalten, das ist unsere internationale Verpflichtung. Aber unsere nationale politische Pflicht ist es, dass wir mit jedem Euro Steuerzahlergeld auch möglichst viel an Rüstungssystemen und Verteidigungsfähigkeit bekommen. Darüber möchte ich sprechen.

Frage: Lindner hält wenig von der Reaktivierung der Wehrpflicht. Ist er in dieser Frage klug beraten? Gerade hat Dänemark die Wehrpflicht für Frauen eingeführt, auch die Schweden sind zu einer Pflicht zurückgekehrt.

Dürr: Christian Lindner hat einen wichtigen Punkt in der Debatte gemacht, nämlich auch auf die Reserve zu schauen. Wir müssen die Verteidigungsfähigkeit auch dadurch stärken, dass diejenigen, die sich neben dem Beruf in der Reserve engagieren, das auch unter attraktiven Arbeitsbedingungen tun können. Dazu braucht es vor allem mehr und bessere Ausstattung. Ich finde das wesentlich schlauer, als jetzt eine jahrelange Debatte über die Wehrpflicht in Deutschland zu führen, möglicherweise die Kreiswehrersatzämter und die gesamte Bürokratie einer Musterung ganzer Jahrgänge wiedereinzuführen. Ich rate uns, hier nicht zurückzuschauen, sondern nach vorn.

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