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Christian Dürr
Pressemitteilung

DÜRR-Interview: Recht und Gesetz durchsetzen

Der FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Dürr gab der „WELT am Sonntag“ das folgende Interview. Die Fragen stellten Thorsten Jungholt und Jacques Schuster:

Frage: Herr Dürr, es herrscht Entsetzen über die anti-israelischen, teilweise antisemitischen Ausschreitungen in Deutschland. Reicht das rechtliche Instrumentarium, um die öffentliche Sicherheit wirksam zu schützen?

Dürr: Wenn es nicht reichen sollte, muss man darüber sprechen. Aber bevor wir über neue Paragrafen des Strafgesetzbuches diskutieren, ist doch das Allererste, dass unser bestehendes Recht durchgesetzt wird. Ich erwarte, dass die zahlreichen Straftaten, die auf deutschen Straßen begangen wurden, auch geahndet werden. Wer den Terror der Hamas öffentlich bejubelt, wer israelische Flaggen verbrennt, begeht Straftaten. Die sind zu dokumentieren, dann anzuklagen und zu verurteilen.

Frage: Die FDP will im Staatsbürgerschaftsrecht festschreiben, dass Menschen nicht Deutsche werden können, die Antisemiten sind. Ist das nicht eine im liberalen Rechtsstaat fragwürdige Gesinnungsprüfung?

Dürr: Wer eine antisemitische Vergangenheit hat, darf nicht deutscher Staatsbürger werden. Wir müssen das Staatsbürgerschaftsrecht in diesem Sinne nachschärfen. Deutschland muss sich benehmen wie ein modernes Einwanderungsland, das heißt, wir sollten uns diejenigen aussuchen, die hierherkommen – und dann gegebenenfalls deutsche Staatsbürger werden dürfen.

Frage: Wie will man prüfen, wer Antisemit ist? 

Dürr: Es braucht ein Bekenntnis zu den Werten des Grundgesetzes. Darüber hinaus braucht es eine Zusage, dass das, was deutsche Staatsräson ist, von den neuen Staatsbürgern unterstützt wird. Wer in irgendeiner Weise in Deutschland oder anderen Ländern in Bezug auf antisemitische Äußerungen oder Handlungen auffällig geworden ist, ist von der Einbürgerung ausgeschlossen. Ferner ist uns in diesem Kontext wichtig: Nur wer von seiner eigenen Hände Arbeit leben kann, kann auch eingebürgert werden. In der Vergangenheit herrschte da eher eine Art Laissez-faire. Der große Fehler der Merkel-Ära war, dass nicht zwischen irregulären Migranten und Fachkräften unterschieden wurde. 

Frage: Inwieweit müssen die finanziellen Anreize für eine Flucht nach Deutschland angegangen werden? Reicht die Umstellung auf Sachleistungen – oder muss auch über eine Reduktion von Sozialleistungen nachgedacht werden?

Dürr: Wir müssen über beides reden. An erster Stelle steht die Abschaffung von Bargeldzahlungen an irreguläre Migranten. Ich erwarte, dass bei der nächsten Ministerpräsidentenkonferenz am 6. November alle Länder diesen Schritt vollziehen. Bezahlkarten sind ohne bürokratischen Aufwand schnell und flächendeckend einzuführen. Das macht für die Verwaltung sogar weniger Mühe als die Bargeldauszahlung. Der Effekt wird groß sein: Dem perfiden System aus Schlepperkriminalität und Geldversand in die jeweilige Heimat der Migranten wird ein Ende bereitet. In einem zweiten Schritt müssen wir uns darüber Gedanken machen, wie wir die Leistungen für diejenigen kürzen, die ausreisepflichtig sind, aber noch nicht abgeschoben werden konnten. Der deutsche Sozialstaat darf keine Verlockung mehr sein. 

Frage: Man hat in Deutschland im Grunde bis zu den Massakern der Hamas an Israelis die Aufnahme von Flüchtlingen losgelöst von der Frage betrachtet, ob man damit auch weltpolitische Konflikte importiert. Ist das nun vorbei?

Dürr: Ich habe das Gefühl, dass durch die Schrecken der vergangenen Tage politisch eine historische Stunde gekommen ist, Recht und Gesetz in der Migrationspolitik endlich durchzusetzen. Ein erster Schritt ist das Abschiebe-Paket der Bundesregierung. Weitere Schritte müssen folgen. Was mich freut, ist, dass auch die Union zu einer Abkehr der GroKo-Politik bereit scheint.

Frage: Muss die Frage des importierten Antisemitismus auch beim FDP-Anliegen der Fachkräftezuwanderung eine Rolle spielen?

Dürr: Natürlich. Auch den ausländischen Arbeitskräften, die nach Deutschland kommen wollen, muss klar sein: Sie werden in einem westlichen Land leben und müssen dessen Grundwerte teilen. Um es zugespitzt zusammenzufassen: Unsere Bibel ist das Grundgesetz. 

Frage: Sie sprechen von der Abschiebung, als ob diese so leicht möglich wäre. Glauben Sie im Ernst, das Abschiebepaket der Regierung wird quantitativ viel ändern?

Dürr: Es wird seinen Beitrag leisten, vieles praktikabler machen. Denken Sie an die Verlängerung der Abschiebehaft auf 28 Tage oder die zusätzlichen Möglichkeiten, im Bedarfsfall auch die Nebenzimmer in einem Asylbewerberheim nach einer ausreisepflichtigen Person zu durchsuchen. Das war bislang gar nicht erlaubt. Die Bundesländer sind nun in der Pflicht. Sie müssen genügend Abschiebe-Haftplätze bereitstellen und die Verfahren schneller machen. Es kann nicht sein, dass ein Asylprozess in Rheinland-Pfalz vier Monate dauert, in anderen Bundesländern aber mehrere Jahre. Freilich ist die Abschiebung nur ein Anfang. Die deutliche Reduzierung der irregulären Migration muss folgen.  

Frage: Bundeskanzler Scholz hat sich „Beinfreiheit“ für seine Verhandlungen mit den Bundesländern und der Union ausbedungen. Ist die FDP bereit, ihm das zuzugestehen? 

Dürr: Der Bundeskanzler hat unsere Unterstützung. Er muss nicht nur auf europäischer Ebene diese Freiheit haben, beispielsweise bei einer härteren gemeinsamen Asylpolitik, sondern auch in den Verhandlungen mit den Bundesländern am 6. November. Allen ist bewusst: Wir brauchen die Migrationswende.

Frage: Allen? Auch den Grünen?

Dürr: Das erwarte ich. Wir haben jetzt die Möglichkeit, eine interessengeleitete Migrationspolitik in Deutschland zu etablieren. Das hat es zu Zeiten von Frau Merkel nicht gegeben, das hat es auch zu Anfang dieser Koalition nicht gegeben. Aber jetzt gibt es diese Chance. Sie nicht zu ergreifen, wäre ein Riesenfehler.

Frage: Konkret nachgefragt. Die FDP trägt stationäre Grenzkontrollen trotz einiger Bedenken mit. Sehen Sie Anzeichen, dass auch die Grünen kompromissbereit sind, zum Beispiel bei der weiteren finanziellen Unterstützung von privater Seenotrettung im Mittelmeer oder der Ausweisung sicherer Herkunftsstaaten?

Dürr: Das, was durchs Kabinett bereits beschlossen worden ist, hat ja offensichtlich die Zustimmung der Grünen gefunden. Das Gleiche erwarte ich jetzt auch von den Grünen-Regierungsbeteiligungen in den Bundesländern – Stichworte Bezahlkarten, Abschiebehaftplätze, zügige Digitalisierung der Behörden und schnelle Verfahren. Es ist auch vollkommen legitim, dass die Grünen intern jetzt viel diskutieren. Aber mein Eindruck ist grundsätzlich, dass sie verstanden haben, dass es unverzeihlich wäre, wenn die Koalition diese historische Chance nicht ergreift. 

Frage: Herr Lindner hat die Mittel für die private Seenotrettung nicht im Haushalt eingestellt. Glauben Sie, dass der Bundestag das noch mal ändern wird? 

Dürr: Der Bundeskanzler hat sich dazu deutlich geäußert, weil das auch Teil des Asylkompromisses auf europäischer Ebene ist. Darüber hinaus sehe ich auch keine Notwendigkeit für die Gelder. So sind sie im letzten Jahr gar nicht an die Organisationen gegangen, die ursprünglich vorgesehen waren.

Frage: Ihr FDP-Kollege Joachim Stamp ist als Sonderbevollmächtigter der Bundesregierung für Migrationsabkommen dafür zuständig, Rückführungsverträge zu schließen. Warum ist er so erfolglos?

Dürr: Er ist nicht erfolglos, im Gegenteil. In Rekordgeschwindigkeit hat Joachim Stamp Rückführungsabkommen mit Georgien und Moldau vereinbart, die wir zusätzlich zu sicheren Herkunftsländern ernennen. Er ist jetzt dran an anderen Ländern, um entsprechende Migrationsabkommen auszuhandeln. Sie sind die Voraussetzung, dass man eine Abschiebung überhaupt vollziehen kann. Es braucht ja ein Land, in das man die Leute bringen kann. Die CSU hat das immer wieder groß angekündigt – und nichts geschafft. Einzige Ausnahme war der sogenannte EU-Türkei-Deal, und der war eher eine europäische Sache mit deutscher Beteiligung.

Frage: Verstehen wir Sie richtig: Es geht also nicht nur um Abkommen mit Herkunftsstaaten, sondern auch mit Transitstaaten? Auf dem EU-Gipfel Anfang Juni plädierten viele Mitgliedstaaten dafür, der Vorschlag wurde durch den Widerstand der Grünen aber abgeschmettert.

Dürr: Ja, und ich bin froh, dass wir jetzt eine andere Perspektive haben an der Stelle. Wir sollten sogar weitergehen und darüber nachdenken, dass wir die Asylverfahren in Drittländern durchführen. Es geht nämlich nicht nur um Klarheit und Stringenz einer neuen Migrationspolitik, sondern auch um Menschlichkeit. Die jetzige Situation mit Schlepperkriminalität und Toten auf dem Mittelmeer kann so nicht bleiben. Es ist doch unmenschlich, dass Menschen erst einen lebensgefährlichen Weg über die See machen müssen, ohne zu wissen, ob sie eine Perspektive in Europa haben. Es wäre viel klüger, die Verfahren auf dem Kontinent durchzuführen, wo die Menschen herkommen.

Frage: Was tun Sie abseits der Migrationspolitik, um zum Beispiel das schwache Wirtschaftswachstum anzukurbeln?

Dürr: Die Migrationspolitik beschäftigt die Menschen derzeit sehr. Aber natürlich beackern wir andere Felder weiter. Wir haben endlich die Planungsbeschleunigung in der Verkehrspolitik verabschiedet, wir müssen noch einiges bei der Energiepolitik machen. Die Strompreise müssen sinken, ohne dass wir uns auf ein neues Subventionsregime einlassen, wie beispielsweise einen sogenannten Industrie- oder Brückenstrompreis, den dann alle Menschen in Deutschland teuer bezahlen und den man nie wieder zurückgedreht bekommt.

Frage: Was dann? 

Dürr: Die erste Antwort auf zu hohe Strompreise muss doch sein, dass man die staatlichen Abgaben reduziert – und das heißt Stromsteuer runter. Auch der sogenannte Spitzenausgleich für die energieintensiven Unternehmen könnte verlängert werden. Der Leitsatz muss sein: weniger Belastung für mehr Standortattraktivität statt mehr Subventionen und neue Schulden. Den erneuten Vorstoß des Wirtschaftsministers, die Schuldenbremse zu schleifen, lehnen wir deshalb ab.

Frage: Ihr Stellvertreter Michael Link sagt, ein Wegrennen der FDP aus der Koalition sei „feige und würde nicht honoriert“. Aber ist es andererseits verantwortbar, weiter eine Wahl nach der anderen zu verlieren?

Dürr: Wir sind gewählt worden, um Verantwortung zu übernehmen. Dieses Land hat es mit gigantischen Herausforderungen zu tun, weil die Vorgängerregierungen in Migrations- und Standortpolitik versagt haben und wir zusätzlich außenpolitisch multiple Krisen erleben. Es kann keine Lösung sein, sich in dieser Lage als FDP wegzuducken. Wir müssen Lösungen hinbekommen.

Frage: Das heißt aber auch, dass die Zukunft der FDP letztlich von der Kompromissbereitschaft der Grünen abhängt…

Dürr: Nein. Alle Partner der Koalition müssen Kompromisse machen. Seit Anfang der 2000er wurde in dieser Republik keine grundlegende Reformpolitik mehr gemacht. Ich setze darauf, dass wir nun gemeinsam das Richtige in der Sache tun, um diese Last zu schultern.

Frage: Die Regierung bleibt also bis zum Ende der Legislatur zusammen?

Dürr: Ja, wir sind für diese Wahlperiode gewählt.

Frage: Ist die Ampel 2025 für Ihre Partei noch eine ernsthafte Option?

Dürr: Es geht nicht darum, über künftige Wahlen zu philosophieren, sondern jetzt gute Politik zu machen. Und das Erste, wo wir uns dran messen lassen müssen, ist eine Wende in der Migrationspolitik.

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