DÜRR-Interview: Mehr Strom stabilisiert die Preise
Der FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Dürr gab der „Rheinischen Post“ (Samstagsausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Hagen Strauß.
Frage: Herr Dürr, mitunter hat man den Eindruck, die Gemeinsamkeiten der Ampel-Koalitionäre sind bereits aufgebraucht. Wo ist der Geist der ersten Selfies geblieben?
Dürr: Der ist immer noch da. Neulich erst haben meine Fraktionsvorsitzenden-Kollegen Katharina Dröge und Rolf Mützenich gemeinsame Selfies aus ihrem Wahlkreis für Britta Haßelmann und mich gemacht. Aber Spaß beiseite: Wir sind drei verschiedene Parteien. Wenn das anders wäre, hätten wir keinen Wahlkampf gegeneinander führen müssen. Wichtig ist, dass man die Unterschiede akzeptiert und Lösungen findet, die das Land voranbringen. Und das tun wir, etwa beim beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energien und bei den Entlastungspaketen. Das sind Projekte, die mit der Union nicht machbar wären.
Frage: Aber gehen wir mal ein paar Koalitionsbaustellen durch. Was kommt nach dem 9-Euro-Ticket?
Dürr: Wir haben als Koalition von Anfang an ehrlich gesagt, dass das 9-Euro-Ticket eine Maßnahme ist, die der Staat nicht dauerhaft finanzieren kann. Der Nahverkehr braucht Reformen und da sind auch die Länder gefragt, die den ÖPNV verantworten. Ein Grund, weswegen das Ticket ja so beliebt ist, ist die bundesweite Nutzung. Wenn man nicht in jeder Stadt andere Tarifstrukturen hätte, wären Bus und Bahn deutlich attraktiver. Da will Verkehrsminister Wissing ansetzen.
Frage: Die Grünen sagen, zur weiteren Finanzierung einer Folgelösung weg mit klimaschädlichen Subventionen. Fallen ihnen welche ein?
Dürr: Ich könnte jetzt einige Einsparmöglichkeiten aufzählen, aber da würden unsere Koalitionspartner nicht mitgehen. Insofern ist es nicht hilfreich, das eine gegen das andere auszuspielen.
Frage: Werden Ende des Jahres die verbliebenen AKW länger laufen - oder nicht?
Dürr: Das wäre der richtige Schritt, um unsere Energieversorgung zu sichern und den Strommarkt zu entlasten. Mehr Angebot an Strom stabilisiert die Preise und kann den erwarteten Mehrbedarf abdecken, weil die Menschen und die Unternehmen sich natürlich nach alternativen Heizmöglichkeiten umsehen, die Strom ziehen. Aber die Laufzeitverlängerung ist auch eine Frage der europäischen Solidarität. Ich wüsste nicht, wie wir in der EU erklären sollen, dass wir funktionierende Kraftwerke aus ideologischen Gründen abschalten, während Frankreich den Strom-Blackout fürchtet. Es geht in dieser Debatte nicht nur um uns, sondern auch um unsere Nachbarn, denn wir sind beim Gas wiederum auf sie angewiesen.
Frage: Wenn die Grünen da mitmachen, müssen Sie dann nicht auch Ja zum Tempolimit sagen?
Dürr: Nein, denn Einsparungen bei Benzin und Diesel können keinen nennenswerten Beitrag leisten. Wir haben kein Problem mit Öl, sondern ein Problem mit Strom und Gas. Allein letzte Woche wurden 13 Prozent unseres Stroms aus Erdgas erzeugt. Wenn wir die Kernkraftwerke abschalten, wird es noch mehr, denn wir müssen auch diesen Anteil ersetzen.
Frage: Gerungen wird auch ums Bürgergeld der SPD. Ist eine deutliche Anhebung der Regelsätze mit der FDP zu machen – und was ist mit den Sanktionen?
Dürr: Es kann nicht sein, dass Menschen, die arbeiten, kaum mehr Geld übrig haben, als Menschen, die nicht arbeiten. Die Regelsätze werden an die Inflation angepasst. Nun wollen wir die Hinzuverdienstmöglichkeiten verbessern, damit es sich lohnt, zu arbeiten. Sozialhilfeempfängern wird ein Großteil gestrichen, wenn sie etwas dazuverdienen. Wo bleibt da der Anreiz, sich etwas aufzubauen? Mir ist bewusst, dass es Menschen gibt, die etwa aufgrund von Erwerbsminderung nicht arbeiten können. Da haben wir schon zielgerichtet entlastet.
Frage: Muss es auf der anderen Seite weitere Entlastungen geben wegen der Energiekrise?
Dürr: Ja. Christian Lindner hat Entlastungen für Geringverdiener und für die arbeitende Mitte angekündigt. Wir wollen die kalte Progression abschaffen und die Pendlerpauschale ab dem 1. Kilometer greifen lassen, sodass auch diejenigen entlastet werden, die Bus und Bahn fahren.
Frage: Schließen Sie Gas- und Stromsperren aus?
Dürr: Natürlich müssen wir Menschen, die ihre Energiekosten nicht mehr bezahlen können, unterstützen. Wir sollten jetzt gemeinsam mit den Energielieferanten nach Lösungen für diejenigen suchen, die Schwierigkeiten haben.
Frage: Wie muss im Notfall beim Gas priorisiert werden?
Dürr: Es ist richtig, dass private Wohnungen Vorrang haben. Gleichzeitig hätten wir ein riesiges Problem, wenn die Versorgung von Krankenhäusern oder Supermärkten auf der Kippe stünde, weil die Grundstoffindustrie nicht mehr produzieren kann – das betrifft dann auch jeden einzelnen von uns. Die Bundesregierung arbeitet unter Hochdruck daran, dass dieses Szenario nicht eintritt.
Frage: Stichwort Corona. Herbst und Winter könnten auch wegen des Virus hart werden. Welche Maßnahmen sind dann für die FDP denkbar?
Dürr: Was es mit der FDP nicht mehr geben wird, sind unverhältnismäßige Freiheitseingriffe wie Lockdowns, Ausgangssperren und Schulschließungen. Über sinnvolle Schutzmaßnahmen beraten wir zurzeit, doch wir müssen auch auf Eigenverantwortung setzen.