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Christian Dürr
Pressemitteilung

DÜRR-Interview: Das Land braucht Veränderungen

Der FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Dürr gab dem „Deutschlandfunk“ das folgende Interview. Die Fragen stellte Christoph Heinemann.

Frage: Zum Erbe der Ampelkoalition gehört ein Wirtschaftsstandort Deutschland, der ins Hintertreffen gerät. Insbesondere in der Industrie stehen Arbeitsplätze auf dem Spiel. Beschäftigte, etwa bei Volkswagen, blicken voller Sorge in die Zukunft und das ist kein schönes Gefühl, insbesondere vor Weihnachten. Heute kommt die Belegschaft bei VW in Wolfsburg zu einer Betriebsversammlung zusammen. Fehlentscheidungen in Führungsetagen von Automobilherstellern oder Zulieferern wird man der Bundesregierung nicht anlasten können. Aber etwa die Streichung der E-Auto-Förderung über Nacht, hatte mit strategischer Begleitung eines Übergangs Richtung Elektromobilität nichts zu tun. Am Wochenende warb Christian Lindner – gerade gehört – in der ARD Sendung Caren Miosga: „Deutschland solle etwas mehr Milei und Musk wagen“. Elon Musk ist unter anderem Chef von Tesla und soll künftig die US Regierung rückbauen. Javier Milei wurde Ende 2023 zum Präsidenten Argentiniens gewählt. Er hat erfolgreich die Inflation bekämpft, das Haushaltsdefizit zurückgeführt und das Mietrecht verändert, sodass mehr Wohnungen zur Verfügung stehen. Kehrseite: Die Realeinkommen sind deutlich gesunken. Das heißt viele Menschen sind ärmer, verfügen über weniger Geld und die Mieten sind deutlich gestiegen. Am Telefon ist Christian Dürr, der Fraktionsvorsitzende der FDP im Deutschen Bundestag. 2021 trat er im Wahlkreis Delmenhorst Wesermarsch Oldenburger Land in Niedersachsen an. Guten Morgen!

Dürr: Guten Morgen, Herr Heinemann!

Frage: Herr Dürr, was reizt Lindner an Milei und Musk?

Dürr: Also es geht ja nicht um die Personen an sich, sondern um die Frage, ob wir bereit sind, in Deutschland auch neu zu denken. Beispielsweise Bürokratie abzubauen, durch den Einsatz von neuen digitalen Technologien. Also darüber hinauszudenken, nicht in den alten Mustern zu bleiben, weil, wir müssen nüchtern feststellen – und Sie haben ja gerade schon manche Krisen angesprochen, die wir in Deutschland haben bereits seit 2019 wachsen wir nicht mehr. Seit 2017 sind wir im industriellen Kern in der Rezession, seit 2014 fallen wir in der Wettbewerbsfähigkeit zurück. Ich will keine schlechte Stimmung machen, Herr Heinemann, aber ich will deutlich sagen: Dieses Land braucht Veränderung, eine Wirtschaftswende, die wir versucht haben in der Koalition durchzusetzen. Das war mit SPD und Grünen nicht möglich. Aber mal über den Tag hinauszudenken und nicht in den alten Pfaden zu bleiben, das wird unserem Land guttun, denn wir wollen ja neue Chancen haben. In Amerika entstehen lauter neue Unternehmen in den letzten zehn, 15 Jahren, in Deutschland zu wenig. Und innovativer zu sein und mutiger zu sein, das kann auch die deutsche Politik vertragen.

Frage: Javier Milei hat Erfolge vorzuweisen auf Kosten eines Teils der Bevölkerung. Was ist daran vorbildlich?

Dürr: Nein, darum geht es nicht. Und Argentinien und Deutschland sind ja auch nicht eins zu eins vergleichbar. Zum Glück. Übrigens auch, weil vor vielen Jahren ein sozialdemokratischer Bundeskanzler – bei allen Defiziten –  aber wirtschaftspolitisch Mut bewiesen hat mit der Agendapolitik. Und eine solche neue Politik braucht auch wieder Deutschland. Denn sich ausruhen, sich zurücklehnen angesichts eines Wettbewerbsumfeldes, was dynamischer geworden ist, das darf keine Option sein, weil es Lebenschancen kaputt macht. Das geht ja um Millionen von Familien, hunderttausende von Arbeitsplätzen, die zur Disposition stehen. Und, lassen Sie mich einen Punkt hinzufügen: Das was nicht funktionieren wird, das haben wir gerade in den letzten Tagen leider gesehen, ist, dass der Staat reingeht mit lauter neuem Geld und Schulden und versucht, Arbeitsplätze quasi durch Steuergeld herbeizurufen, leider durch die Pleite einer Batteriefabrik in Deutschland, die mehr auf Steuerzahlergeld gebaut war, als dass man die Marktwirtschaft gelebt hat. Und ich glaube, da kann Deutschland mehr.

Frage: Herr Dürr, nochmal zu den Vorbildern: Warum Milei und nicht etwa Ludwig Erhard, „Wohlstand für Alle“?

Dürr: Ich würde Ludwig Erhard in die Reihe ausdrücklich einsetzen.

Frage: Aber die sind schon ziemlich unterschiedlich – Musk, Milei und Erhard.

Dürr: Ludwig Erhard war eine andere Generation, gar keine Frage. Aber das sind alles Menschen – insbesondere auch Ludwig Erhard für Deutschland – die ja einen Schritt gewagt haben. Damals war das ja alles andere als selbstverständlich, dass man Marktwirtschaft wagt, um mehr Wohlstand für alle zu erreichen. Sondern im Gegenteil: Es war in Deutschland seinerzeit, auch nach dem Zweiten Weltkrieg eine Diskussion, ob man nicht eher die Wirtschaft lenkt. Zum Glück haben wir uns für die Marktwirtschaft entschieden und darum geht es. Ich will zumindest zu Musk noch einen Punkt hinzufügen: Ich bin ein bisschen überrascht, bei aller ausdrücklich berechtigten Kritik an der politischen Einstellung von Herrn Musk, aber wie die Ansiedlung von Tesla in Brandenburg gelobt worden ist und Politiker von Sozialdemokraten und Christdemokraten gar nicht hinterherkommen konnten, dieser Person die Hände zu schütteln. Der Fokus, den Christian Lindner meint und auf den ich auch Wert lege, ist: Wie schaffen wir neue Dynamik für unser Land? Mir ist in der Politik zu viel Stillstand und dieser Stillstand in der Politik hat ganz reale Auswirkungen auf das Leben von Menschen, weil zu wenig neue Jobs entstehen, zu wenig Möglichkeiten es auch für innovative Start-up Unternehmen in Deutschland zu investieren gibt, weil alles sehr, sehr kompliziert ist. Und das ist ein Grund, übrigens, Herr Heinemann, warum solche Unternehmen dann nicht in Deutschland investieren, sondern in anderen Teilen der Welt.

Frage: Herr Dürr, Ihre Parteifreundin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hat zu Elon Musk gesagt, der habe mit Demokratie nichts zu tun. Er verfolge radikal eigene Geschäftsinteressen und da stört ihn natürlich die Kontrolle durch staatliche Behörden. Und ähnlich hat sie sich über Milei geäußert. Sie sagten eben neue Dynamik, durchaus auch auf Kosten der Demokratie?

Dürr: Im Gegenteil. Wir sind eine starke Demokratie in Deutschland. Aber auch, weil Politiker nicht mehr den Mut haben und, auch ich sage ganz offen, weil wir Teil der Koalition waren, auch die letzte Koalition nicht den Mut hatte, die Großen Koalitionen nicht den Mut hatten, einen Schritt weiter zu gehen, mehr Innovation zu wagen, auch mehr Freiheit zuzulassen, deswegen treten wir auf der Stelle und fallen in der Wettbewerbsfähigkeit zurück. Wir können ja nicht dauernd beklagen, dass es dem Standort nicht gut geht, dass Menschen, dass Familien zu wenig Lebenschancen haben, aber gleichzeitig sagen: Wir ändern faktisch nichts. Und meine Sorge ist, dass wir jetzt in eine Situation kommen, in der – das habe ich leider erlebt – Sozialdemokraten nichts ändern wollen. Das habe ich in der Koalition erlebt, aber auch die Christdemokraten jetzt zurückhaltender werden. Ich meine, Friedrich Merz hat ja zu Recht gesagt, er will eine andere Politik machen als Frau Merkel. Wenn da jetzt ein Gang zurückgeschaltet wird, dann muss es eine Partei geben, die auch sagt: Wir wollen mehr Mut wagen. Dass die Freien Demokraten, Herr Heinemann, auch insbesondere als liberale Partei, Verteidiger von Freiheitsrechten des Einzelnen sind, Verteidiger sind auch einer liberalen und weltoffenen Demokratie, da kann kein Zweifel bestehen. Aber das heißt doch nicht, dass man sich zurücklehnt – und das ist mir wichtig. Ich habe vorhin die Rahmendaten genannt: Das sind erst mal nur ökonomische Zahlen, Herr Heinemann. Aber es geht am Ende um die Lebenschancen von Familien, und wir fallen international zurück. Und da wollen wir als Partei nicht die Hände in den Schoß legen.

Frage: Warum fällt Ihnen das erst nach drei Jahren auf?

Dürr: Im Gegenteil. Denken Sie an das Thema Bürokratie, wo ich jetzt, vielleicht ist das in diesen Tagen etwas überraschend, die alte Koalition an einer Stelle loben will. Wir haben es geschafft, als Koalition, als Ampelkoalition die Planungsbeschleunigung auf den Weg zu bringen, dass endlich schneller geplant werden kann, insbesondere im Straßenbereich, im Schienenbereich. Da hat ja die Große Koalition sich die Zähne ausgebissen. Aber für die privaten Investitionen sind wir nach wie vor nicht schnell genug. Und daran ist am Ende auch die Ampelkoalition gescheitert. Kurzum, dass das Anliegen, mehr wirtschaftliche Dynamik, Abbau von Bürokratie, von Regeln, übrigens auch auf europäischer Ebene von Frau von der Leyen, wo auch das Leben von Menschen ja immer weiter geregelt wird, das Leben von Unternehmen, die Investitionsfähigkeit von Unternehmen, hat leider Frau von der Leyen schon seit vielen Jahren auf dem Kieker. Aber auch persönliche Freiheiten werden mittlerweile eingeschränkt. Aber dass das ein Kernanliegen von uns in der Koalition war – was manchmal auch zu Streit geführt hat – ich glaube, das konnte jeder sehen.

Frage: Welche Bevölkerungsgruppen wären denn die Verlierer ihrer Wirtschaftspolitik?

Dürr: Die Frage unterstellt, dass es Verlierer gibt, wenn es Wachstum gibt. Und das Gegenteil ist richtig. Wir müssen wieder mehr wachsen. Ich glaube, die alte Denke der Großen Koalition, auch teilweise unserer ehemaligen Koalitionspartner, war sinngemäß: Da ist ein Kuchen und der wird verteilt. Wir sagen, dieser Kuchen muss größer werden. Für jeden Einzelnen, auch übrigens ausdrücklich für kleine und mittlere Einkommen muss mehr drin sein. Die kleinen und mittleren Einkommen in Deutschland leiden insbesondere unter einer schwächelnden Wirtschaft. Die trifft es als Erste. Diejenigen, ich sage es mal ganz offen, die ihre Schäfchen im Trockenen haben, die haben nicht das Problem. Die beispielsweise die Möglichkeit hatten, auch am Kapitalmarkt fürs Alter vorzusorgen, die haben nicht das Problem. Das Problem haben Menschen, die noch aufsteigen wollen, die noch was vorhaben und die noch ranklotzen wollen. Die werden am meisten getroffen von einem Bürokratismus und einer Wirtschaftspolitik, die keine Dynamik mehr entfacht.

Frage: Stichwort Schäfchen im Trockenen: Den Solidaritätszuschlag zahlen gegenwärtig noch Besserverdienende, Anleger und Kapitalgesellschaften. Warum möchte die FDP den Soli für diese Gruppen, die, nochmal, ihre Schäfchen im Trockenen haben, abschaffen?

Dürr: Jetzt kann der eine Blick auf die Dinge sein, dass der Solidaritätszuschlag verfassungsrechtlich problematisch ist und unter Umständen gar nicht mehr erhoben werden darf.

Frage: Das war ja nicht unbedingt der Ansatz der FDP.

Dürr: Mir geht es jetzt um genau den Blick auf die Frage der wirtschaftlichen Dynamik, über die wir auch die ganze Zeit gesprochen haben. Der Soli ist mittlerweile eine Wirtschaftssteuer geworden, denn wer zahlt das denn? Das zahlen doch Personengesellschaften, beispielsweise, gerade mittelständische Handwerksbetriebe, die vielleicht innovativ unterwegs sind und in was Neues investieren wollen, auch in eine neue Technologie.

Frage: Durchaus auch Anleger.

Dürr: Kapitalgesellschaften…

Frage: Oder einfach Leute mit viel Vermögen.

Dürr: Auch Kapitalgesellschaften zahlen den Soli, das heißt wiederum Unternehmen. Er ist eine Wirtschaftssteuer geworden. Und jetzt ist eins wichtig: Vergleichen wir uns mal mit anderen Ländern, auch in Europa. Wir haben bereits die höchsten Unternehmenssteuern. Wir haben unsere Wirtschaft immer mehr belastet, auch durch den Soli und das ist ein Problem. Und dass es da steuerliche Entlastung braucht, bei den Unternehmen, sagt spannenderweise auch die Union, sagen andere Parteien und viele Wirtschaftsforscher, weil sie sagen, wir fallen da weiter zurück und der Soli ist eine Wirtschaftssteuer geworden.

Frage: Was möchten Sie außerdem für Besserverdienende tun?

Dürr: Herr Heinemann, das unterstellt, dass es hier um Besserverdienende geht. Es geht um diejenigen, die investieren wollen und selbst ins Risiko gehen. Die sagen: Ich habe hier einen Betrieb, bin Personengesellschaft beispielsweise, werde den Soli zahlen müssen, zahle ihn vielleicht bereits schon, aber ich habe Lust, neue Arbeitsplätze zu schaffen, zu investieren in eine neue Technologie, in eine neue Maschine. Ich bin bereit, selbst Risiko auf mich zu nehmen. Und diejenigen immer schlecht zu behandeln und zu sagen: Oh Gott, der will Arbeitsplätze schaffen, der geht ins Risiko, ins Persönliche auch. Dass sie diejenigen quasi gesellschaftlich abseitig stellen, das führt ja dazu, dass wir nicht mehr wettbewerbsfähig sind. Also nochmal: Der Kuchen muss größer werden. Und das macht man ja nicht, indem man gerade diejenigen, die Lust auf was Neues haben, zusätzlich belastet, wie beispielsweise auch durch den Soli.

Frage: Christian Dürr, der Fraktionsvorsitzende der FDP im Deutschen Bundestag. Dankeschön für das Gespräch und auf Wiederhören.

Dürr: Ich danke Ihnen!

 

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