DÜRR-Interview: Ideologie muss jetzt beiseite stehen
Der FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Dürr gab der „Passauer Neuen Presse“ (Donnerstagsausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Dr. Thomas Vitzthum.
Frage: Herr Dürr, die FDP sperrt sich gegen viele Pläne, die SPD und Grüne wollen. Sind Sie schon in der richtigen Koalition?
Dürr: Natürlich. Wir sind doch immer wieder trotz unserer Differenzen zu guten Entscheidungen gekommen. Unsere beiden Entlastungspakete waren gerade im europäischen Vergleich eine substanzielle Antwort auf die Krise. Jetzt reden wir über ein drittes Paket. Die Parteien haben aber unterschiedliche Schwerpunkte. Unser Schwerpunkt als FDP ist, die arbeitende Mitte nicht zu vergessen. Das sind ja keine Spitzenverdiener oder gar Reiche. Mit dem Plan, die kalte Progression auszugleichen, wollen wir einfach nur faire Politik machen.
Frage: Sie sind gegen eine Verlängerung des 9-Euro-Tickets, gegen eine Änderung des Dienstwagenprivilegs, wollen die Laufzeitverlängerung der AKWs, sperren sich gegen die Übergewinnsteuer. Alles Ideen, wo sie mit den Partnern über Kreuz liegen. Das reicht für einen Koalitionsbruch.
Dürr: Das sehe ich vollkommen anders. Ich gehe gerne auf die einzelnen Punkte ein. Das 9-Euro-Ticket war wegen seiner Einfachheit eine Revolution. Aber wir können uns einen fast kostenlosen Nahverkehr nicht leisten. Dann müsste man überall sparen, auch bei der Bildung. Wer will das? Bei der Dienstwagenbesteuerung haben wir bereits eine ökologische Differenzierung, wie sie derzeit diskutiert wird, denn hybride und vollelektrische Fahrzeuge werden geringer besteuert. Eine Übergewinnsteuer richtet Schaden an, aber nützt niemandem. Eine solche Steuer würde innovative Unternehmen aus dem Land treiben. Biontech säße vielleicht heute nicht mehr in Deutschland, wenn es eine solche Steuer gäbe. Wir können solchen Firmen doch nicht das Signal geben, dass sie im Fall von Erfolg die volle Härte des Steuerstaats erfahren.
Frage: Die Abschaltung der Kernkraftwerke ist das Kernthema der Grünen. Da ist doch der Frust auf die FDP verständlich, oder?
Dürr: Ich habe Verständnis, dass die Grünen damit parteipolitische Probleme haben. Aber Ideologie muss jetzt beiseite stehen. Wir haben eine Energie- und eine Stromkrise. Es wird oft behauptet, wir hätten nicht zu wenig Strom. Auch das bezweifle ich. Niemand sollte die Augen vor den exorbitant steigenden Preisen verschließen. Der Staat darf nicht künstlich für Verknappung von Strom sorgen.
Frage: Die CSU will auch drei abgeschaltete Reaktoren wieder fit machen. Ist das eine Option?
Dürr: Der erste Schritt ist, die bestehenden Kraftwerke in der Laufzeit zu verlängern. Dabei sage ich auch: Es geht sehr wahrscheinlich um die kommenden zwei Winter. Ein Streckbetrieb für wenige Monate ist deshalb zu wenig. Aus diesem Grund müssen wir uns schnell um neue Brennelemente kümmern. Es wird zu viel über Strommengen und zu wenig über Strompreise geredet. Vor der Krise kostete Industriestrom um die drei Cent, heute sind es 60 Cent pro Kilowattstunde. Der Staat kann das nicht kompensieren. Das Ziel muss sein, den Preis zu stabilisieren. Durch die Laufzeitverlängerung würden wir den Preisdruck um 16 Milliarden Euro reduzieren. Das ist der erste Schritt.
Frage: Also ist das Ergebnis des Stresstests egal? Denn darin geht es um Strommengen, Netzstabilität, nicht um die Preise.
Dürr: Der Stresstest ist ein wichtiger Indikator, um zu wissen, wie stabil wir versorgt werden. Das hat Rückwirkungen auf Preise. Und auf die müssen wir stärker schauen. Wir sehen, dass die Preise derzeit nur eine Richtung kennen, nämlich nach oben. Deshalb sollten wir in jedem Fall ein Bekenntnis zum befristeten Weiterbetrieb der Kernkraftwerke abgeben. Wenn uns die Experten für Reaktor-Sicherheit zudem sagen, ein Weiterbetrieb sei sicher möglich, kann nichts dagegen sprechen.
Frage: Die Grünen werfen dem TÜV Süd vor, der dies für Isar 2 bestätigt hat, nicht unabhängig gearbeitet zu haben.
Dürr: Ich habe keinen Grund anzunehmen, dass der TÜV Süd nicht unabhängig geurteilt hat. Mich hat die Studie überzeugt.
Frage: Die Grünen sperren sich auch gegen den Ausgleich der kalten Progression. Grünen-Chef Nouripour will aber eine Inflationsprognose beim geplanten Hartz-IV-Nachfolger berücksichtigen. Ist das fair?
Dürr: Ich möchte beim Bürgergeld lieber mit echter Inflation als mit geratener hantieren. Die Fairness gebietet es aber auch, dass sie nicht nur beim Bürgergeld, sondern auch im Steuersystem berücksichtigt wird. Das nennt sich Einkommensteuertarif auf Rädern. Der passt sich automatisch an die Inflationsentwicklung an. Dann hätten wir keine Probleme mit der kalten Progression. Wenn wir die Inflationsentwicklung bei den Transferleistungsempfängern einberechnen, sollten wir sie auch bei den Leistungsträgern der Mitte automatisch berücksichtigen. Mein Ziel ist aber als erstes, dass wir die aktuelle Inflation bei der steuerlichen Belastung jetzt berücksichtigen.
Frage: Ab 1. Oktober tritt ein neues Infektionsschutzgesetz in Kraft. Minister Lauterbach geht davon aus, dass die Länder überall die Maskenpflicht in Innenräumen einführen. Darf es einen Automatismus geben, der sich an einem Datum festmacht?
Dürr: Ein klares Nein. Ich rate den Ländern dringend davon ab, nur weil Oktober ist, eine Maskenpflicht einzuführen. Der Bund wird das nicht tun. Die Länder sollten nur dann davon Gebrauch machen, wenn es zwingend notwendig ist. Sonst verlieren sie das Vertrauen der Bürger.
Frage: Kultur, Veranstalter, Messebetreiber, Restaurant- und Clubbesitzer fürchten den dritten Corona-Regel-Winter. Sie leiden noch immer. Müssen wir die Kollateralschäden der Regeln stärker in den Blick nehmen?
Dürr: Absolut. Es ist schon viel zerstört worden, dauerhaft. Ich erwarte deshalb von Ministerpräsidenten wie Markus Söder eine sehr klare Aussage, dass die Maskenpflicht in Innenräumen nur in absoluten Ausnahmefällen kommt. Wenn es wirklich Probleme gibt, aber auf keinen Fall pauschal. Wir brauchen Eigenverantwortung, keine staatliche Gängelung.
Frage: Würde der Bund finanziell für Ausfälle von Veranstaltungen einspringen? Es handelt sich um ein Bundesgesetz.
Dürr: Aber die Entscheidung treffen die Länder. Der Bund kann nicht jeden Irrsinn der Länder ausgleichen. Wenn Ministerpräsidenten wie Markus Söder oder Stephan Weil in Niedersachsen eine solche Situation provozieren, dann müssten sie für die Ausfälle zahlen, das kann der Bund nicht machen. Das Ziel muss sein, dass dieser Winter ein normaler Winter wird.
Frage: In Niedersachsen wird am 9. Oktober gewählt, bisher hilft ihnen die eigenständige FDP-Position hier in Umfragen nicht. Sie haben sich wie im Bund stetig verschlechtert. Ist es doch Zeit für mehr Kooperation?
Dürr: Das Land braucht keine weitere linke Partei. Die Union war doch in den vergangenen Jahren auch eine linke Partei. Eine Partei der Mitte wie die FDP eckt an. Wir haben nicht immer die bequemste und populärste Position. Aber wir halten klar Kurs. Uns geht es nicht um den Tagesapplaus, sondern darum, das Beste für unser Land zu tun.