DÜRR-Interview: Es geht um die hart arbeitende Mitte
Der FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Dürr gab dem „Weser-Kurier“ (Donnerstagsausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Markus Peters.
Frage: Herr Dürr, war das Scheitern der Ampelregierung eigentlich unausweichlich?
Dürr: Im Nachhinein wahrscheinlich schon, denn wir sind inhaltlich in der Wirtschafts- und Finanzpolitik nicht mehr zusammengekommen. SPD und Grüne wollten grundsätzlich etwas anderes, mehr Schulden und gleichzeitig keine Reformpolitik. Diese Kombination ist aus meiner Sicht nicht gut fürs Land. Deshalb war es keine Option für die FDP weiterzumachen. Mehr Schulden und der Verzicht auf Reformen, das wäre keine Option für Deutschland gewesen.
Frage: Gab es eigentlich auch ein Szenario, das einen Fortbestand der Koalition möglich gemacht hätte? Unter welchen Bedingungen hätten sie sich das vorstellen können?
Dürr: Wir hatten inhaltlich etwas erarbeitet. Das war genau das, was auf 18 Seiten für eine Wirtschaftswende von Christian Lindner vorgeschlagen worden ist. Das war die Gesprächsgrundlage, um die Koalition fortzusetzen und unser Land aus der schwierigen wirtschaftlichen Situation herauszubekommen. Unser Wunsch war, darüber zu reden. Leider hatte die Regierung Scholz nicht die Kraft, eine Wende zu einer Reformpolitik einzuleiten. Über Reformen wollte Olaf Scholz ja nicht einmal sprechen.
Frage: Sie glauben, dass es auch aufseiten der ehemaligen Partner keine Bereitschaft mehr gab, miteinander weiterzumachen?
Dürr: Ich kann nicht in die Köpfe der SPD-Politiker hineingucken, aber mein Eindruck am Abend des Koalitionsausschusses war, dass die FDP auf wirtschaftliche Reformen und auf die Einhaltung der Schuldenbremse verzichten sollte. Unsere Antwort darauf musste Olaf Scholz klar sein. Davon abgesehen, dass alles, was vorgeschlagen wurde, verfassungswidrig war.
Frage: Aber Sie hätten doch einen Überschreitungsbeschluss fassen können. Dafür hätte es verschiedene Möglichkeiten gegeben...
Dürr: Vorsicht! Das Grundgesetz ist sehr deutlich, denn dafür müsste eine Notlage festgestellt werden. Die Begründung für das Aussetzen der Schuldenbremse im kommenden Jahr von Olaf Scholz war: Wir haben nicht genug Geld. Also: Die Politik selbst wäre die Notlage gewesen. Das ist keine Begründung, die vor dem Bundesverfassungsgericht standgehalten hätte, zumal der neue Finanzminister Kukies schon zugestanden hat, dass eine Notlage nicht vorliegt. Wenn wir massive Einnahmeeinbrüche hätten, wie beispielsweise bei Corona, dann geht das. Allerdings verzeichnet der Staat Rekordsteuereinnahmen. Wie man es dreht und wendet: Was Olaf Scholz vorgeschlagen hat, war mit dem Grundgesetz nicht vereinbar.
Frage: Ihre Antwort war also sparen statt investieren?
Dürr: Nein, das Gegenteil ist richtig. Ein Finanzminister kann nicht wissentlich die Verfassung brechen. Wir hatten 2023 ein Haushaltsurteil, das sehr eindeutig war. Abgesehen davon muss man sich die Frage stellen, ob mehr Schulden überhaupt sinnvoll gewesen wären. Wir haben es durch den Umbau im Bundeshaushalt und durch Streichung von Subventionen geschafft, die Schuldenbremse einzuhalten, aber die Investitionen beinahe zu verdoppeln. Die Investitionsquote des Bundes wäre im kommenden Jahr von zehn Prozent während der Großen Koalition auf über 20 Prozent gestiegen. Es ist ein Märchen zu behaupten, die Schuldenbremse würde Investitionen verhindern. Die Schuldenbremse führt dazu, dass Politiker Maß halten und ausreichend Geld für Investitionen zur Verfügung steht.
Frage: Lars Klingbeil hat neulich gesagt, man hätte sich in der Ampel-Koalition nach dem Bundesverfassungsgerichtsurteil und dem Aus für den Klimatransformationsfonds besser noch mal hinsetzen und die Vorhaben des Koalitionsvertrages neu bewerten müssen. Teilen Sie diese Einschätzung?
Dürr: Ich teile seine Auffassung. Wir hätten uns nach dem November 2023, nachdem das Konstrukt, das Olaf Scholz seinerzeit noch als Finanzminister erdacht hatte und das vor dem Bundesverfassungsgericht gescheitert ist, nochmal zusammensetzen müssen. Allerdings hat damals, als wir das versucht haben, niemand eingeschlagen. Die Einsicht kommt insofern leider zu spät. Ab diesem Moment war klar, wir brauchen eine echte Reformpolitik, weil das Geld endlich ist.
Frage: Die Union hat beim Bürgergeld Sparpotenziale ausgemacht: Friedrich Merz behauptet, dass zwei bis drei Milliarden Euro pro Jahr sparen zu können, wenn es gelänge, nur 100.000 von den 1,7 Millionen arbeitsfähigen Bürgergeldempfängern in Arbeit zu bringen. Teilen Sie diese Einschätzung?
Dürr: Das Bürgergeld zu reformieren, ist ein wichtiger Punkt. Mehr Arbeitsanreize führen dazu, dass weniger Menschen Bürgergeld beziehen, aber mehr Menschen Steuern zahlen. Und davon profitiert ein Haushalt gleich doppelt. Weniger Ausgaben, aber mehr Einnahmen und gleichzeitig eine höhere Wirtschaftsleistung. Das ist eine Win-Win-Situation. Wir brauchen hohe Investitionen, ohne jeden Zweifel, aber wir brauchen auch Entlastung. Wir haben die höchsten Unternehmenssteuern in Europa, deswegen schlagen wir vor, die Unternehmenssteuern zu reduzieren. Sie führen unter anderem dazu, dass in Deutschland nicht ausreichend investiert wird, kein Wachstum stattfindet.
Frage: „Der Spiegel“ hat errechnet, dass die FDP-Pläne 188 Milliarden Euro kosten und vor allem die Besserverdienenden entlasten. Was sagen Sie zu solchen Vorwürfen?
Dürr: Ich wundere mich manchmal über diese Debatte. Es geht um die hart arbeitende Mitte, da müssen mittlerweile auch viele Facharbeiter den Spitzensteuersatz zahlen. Ich will das mal an einem Beispiel deutlich machen: Wenn sie in den 1960er-Jahren in Deutschland gearbeitet haben, mussten sie das 18-fache des Durchschnittseinkommens verdienen, bis sie beim Spitzensteuersatz waren. Heute ist es in etwa das 1,5-fache des Durchschnittseinkommens und schon sind Sie beim Spitzensteuersatz angekommen. Außerdem werden solche Entlastungen auch schrittweise über mehrere Jahre vorgenommen.
Frage: Auf der anderen Seite ist der Spitzensteuersatz seit 1975 bis heute von 56 Prozent auf 42 Prozent gesunken. Insofern ist es kein Wunder, dass die Distanz zwischen Spitzensteuersatz und Normalsteuersatz nicht mehr so hoch ist.
Dürr: Damals konnte man auch mehr absetzen. Das Maß der Belastung ist in den letzten Jahrzehnten deshalb definitiv gestiegen. Weil wir das stoppen wollen, haben wir jetzt die Abschaffung der kalten Progression auf den Weg gebracht. Als wir noch in der gemeinsamen Regierung mit SPD und Grünen waren, war das nicht möglich. Jetzt hat der öffentliche Druck dazu geführt, dass SPD und Grünen einen Meinungswechsel vollzogen haben. Die Entlastung derjenigen, die hart arbeiten, muss auch im Fokus einer kommenden Bundesregierung stehen. Alles andere halte ich für falsch. Wenn die Menschen den Eindruck haben, dass sie noch so ranklotzen können, ihnen der Staat aber immer mehr wegnimmt, dann wenden sie sich irgendwann von der Politik ab. Leistung muss sich wieder mehr lohnen.
Frage: Auf welches Projekt der Ampelkoalition sind Sie richtig stolz?
Dürr: Ich glaube, dass wir bei der Planungsbeschleunigung viel erreicht haben. Das kann sich sehen lassen. In Deutschland werden jetzt Straßen und Schienenwege schneller gebaut. Die Große Koalition hat lange darüber diskutiert. Wir haben das einfach gemacht. Und die Projekte, die planungsbeschleunigt sind, werden ja nicht nur schneller gebaut, sondern sind am Ende auch günstiger.
Frage: Die Politik hat seit Milei und Musk die Disruption, das bewusste Zerstören von Strukturen, entdeckt. Wo muss die künftige Wirtschaftspolitik den Mut haben, gewisse Dinge zu beschneiden?
Dürr: Sie muss diesen Mut aufbringen. Nicht Subventionen, sondern weniger Regeln sind das Instrument der Wahl. Aber um es mal in einem konkreten Beispiel zu nennen, wo der Staat auch mal disruptiv sein kann: Wie wäre es denn, wenn wir in Deutschland die Kultusministerkonferenz abschaffen und stattdessen Experten aus Wirtschaft, Wissenschaft und Bildung die Politik beraten? Wie wäre es denn, wenn wir einheitliche Bildungsabschlüsse hätten, sodass es eben keinen Unterschied macht, ob man in Bayern oder Bremen zur Schule geht?
Frage: Das Ifo-Institut hat ausgerechnet, dass durch überbordende Bürokratie in Deutschland bis zu 146 Milliarden Euro pro Jahr an Wirtschaftsleistung verloren geht. Wo kann sich der Staat selbst beschränken?
Dürr: Zumindest haben wir bei uns selbst Reformwillen gezeigt. Der kommende Bundestag wird deutlich kleiner sein. Das ist erst mal eine gute Nachricht. Die öffentlichen Verwaltungen sind aber auch deshalb größer geworden, weil die Regeln zugenommen haben. Die unfassbaren Bürokratiekosten, die in Deutschland die Wirtschaft hemmen. Das zahlen Menschen beispielsweise durch höhere Preise. Diese Last der Bürokratie tragen vor allen Dingen auch Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Ich habe manchmal den Eindruck, Bürokratieabbau kommt in jeder Politikersonntagsrede vor, aber was zwischen Montag und Freitag passiert, ist egal. Ich habe den Bundeskanzler nicht verstanden, als er sich bei seiner jüngsten Rede im Bundestag über Berichtspflichten aus Brüssel beschwert hat. Er hat ja selbst dafür gesorgt, dass beispielsweise die Lieferkettenrichtlinie in Brüssel beschlossen worden ist – gegen den Willen der FDP. Er hat bei ganz, ganz vielen Dingen auch in der alten Koalition dazu beigetragen, dass es mehr Bürokratie gibt.
Frage: Nach allen Umfragen wird Ihre Partei Mühe haben, in den kommenden Bundestag wieder einzuziehen. Warum glauben Sie trotzdem, dass Sie das schaffen werden?
Dürr: Ich bin zuversichtlich. Die Menschen sehnen sich nach Veränderung. Die FDP hat bewiesen, dass sie geradlinig ist. Wir haben auf die Annehmlichkeiten von Staatsämtern verzichtet, weil wir Veränderungen in diesem Land wollten. Es ist nicht so, dass uns das leichtgefallen wäre. Oder dass der Prozess ohne Kritik abgelaufen wäre. Im Gegenteil. Aber das Ziel für mich ist, dass sich für Deutschland nach dem 23. Februar die Chance eröffnet, einen echten Aufbruch zu schaffen.