DÜRR-Gastbeitrag: Warum Frankreichs Schuldendebakel eine Warnung für Deutschland sein muss
Der FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Dürr schrieb für „wiwo.de“ den folgenden Gastbeitrag:
Bestimmte Regeln sind notwendig, um in einer funktionierenden Gemeinschaft zusammenleben zu können. Manche halten Regeln für lästig, insbesondere, wenn sie sich selbst daran halten sollen. So glauben manche Sportler beispielsweise, nicht ihr Foulspiel sei das Problem, sondern die gelbe Karte, die sie dafür bekommen. Mit den Schuldenregeln in der EU verhält es sich ganz ähnlich.
Der Bundeswirtschaftsminister und Kanzlerkandidat der Grünen, Robert Habeck, beispielsweise bezeichnet die EU-Schuldenregeln plötzlich als „Sicherheitsrisiko“. Sie müssten reformiert werden, weil sie Investitionen und Verteidigungsausgaben verhinderten. Dabei hat er die Reform des europäischen Regelwerks, die der damalige Bundesfinanzminister Christian Lindner mühsam auf europäischer Ebene verhandelt hat, erst vor wenigen Monaten im Kabinett gebilligt.
Dass das wahre Sicherheitsrisiko die Missachtung der Schuldenregeln ist, sehen wir bei einem Blick hinüber zu unseren französischen Freunden. Sie stecken tief in der Schuldenkrise, weil sie die europäischen Regeln gebrochen haben. Der ehemalige französische Premierminister Michel Barnier warnte kürzlich erst vor „schweren Turbulenzen“ auf den Finanzmärkten. Frankreich bekommt aktuell einen Vorgeschmack darauf, dass auf Dauer eine hohe Neuverschuldung, hohe Schuldenstände und fehlende politische Mehrheiten für einen stabilen Haushalt am internationalen Kapitalmarkt zu fatalen Folgen führen. Die Schuldenstandsquote Frankreichs ist mit 112 Prozent des Bruttoinlandsprodukts hinter Griechenland und Italien die dritthöchste in der EU und könnte nach Prognosen der Europäischen Kommission in den nächsten Jahren auf 117 Prozent weiter ansteigen. Auch die Defizitquote von 6,2 Prozent liegt weit über dem Referenzwert von drei Prozent, auf den sich die Mitgliedstaaten im Maastricht-Vertrag geeinigt hatten. Angesichts der Querelen im französischen Haushaltsstreit lagen in den vergangenen Wochen zeitweise die Zinssätze französischer Staatsanleihen über denen griechischer Anleihen. Die Ratingagentur Moody‘s stufte die Kreditwürdigkeit Frankreichs herab. Das ist teuer für die künftigen französischen Steuerzahler. Für jede Milliarde Euro an Krediten, die der französische Staat heute am Kapitalmarkt für zehn Jahre aufnimmt, bezahlt er jährlich acht Millionen Euro mehr an Zinsen als der deutsche Staat für die gleiche Kreditsumme. Schuldenregeln sind also in Wahrheit ein Sicherheitsnetz. So schützen sie zum Beispiel künftige Steuerzahler vor den Zins- und Tilgungszahlungen, die frühere Generationen ihnen aufbürden. Das merken einige aber erst, wenn die Regeln verletzt und negative Konsequenzen sichtbar werden.
Der Grund für Robert Habecks plötzlichen Reformeifer der Schuldenregeln liegt in seiner verantwortungslosen Bequemlichkeit: Die EU-Schuldenregeln erfordern unbequeme Entscheidungen. Sie zwingen Politiker, Prioritäten zu setzen, statt Probleme mit Geld zuzuschütten und so den erforderlichen Entscheidungen aus dem Weg zu gehen. Die Politiker müssen ihren Wählerinnen und Wählern sagen, was in der jetzigen Situation wichtig ist und gemacht werden muss. Dazu gehören Investitionen in die Infrastruktur, in Bildung und Forschung, in die Digitalisierung des Staates sowie in steuerliche Anreize und bessere Rahmenbedingungen für private Investitionen. Schuldenregeln zwingen aber auch dazu, zu sagen, was in der jetzigen Situation nicht so wichtig ist: Dazu zählen exorbitant hohe Sozialleistungen, die so großzügig bemessen sind, dass Menschen lieber Bürgergeld beziehen als zu arbeiten. Dazu zählen umfangreiche Subventionen und Förderprogramme, die volkswirtschaftlich wenig bewirken, aber die Steuerzahler viel Geld kosten. Dazu zählt auch ein überdurchschnittliches Engagement Deutschlands in der Entwicklungshilfe und der Klimaschutz-Finanzierung.
Gerade die EU-Schuldenregeln schützen aber auch die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion. Sie sind dazu gemacht, um einfach lösbare Probleme in der nationalen Haushaltspolitik nicht zu verschleppen und zu verhindern, dass diese einige Zeit später zu kaum lösbaren Problemen in ganz Europa führen. Ein schwerer Haushaltskonflikt in Verbindung mit hohen Defiziten hat in Frankreich dazu geführt, dass auch seriöse Medien an die europäische Staatsschuldenkrise vor über zehn Jahren erinnern. Zwar ist die Währungsunion von einer solchen Situation momentan noch weit entfernt, doch müssen wir die Warnsignale rechtzeitig ernstnehmen und die richtigen Schlüsse daraus ziehen.
Erstens, die EU braucht weiterhin strikte Schuldenregeln, die ausufernde Staatsschulden verhindern und hoch verschuldeten Mitgliedstaaten einen realistischen Weg zur Konsolidierung weisen. Das ist die Voraussetzung für das Vertrauen, das die Bürger, die Unternehmen und die Kapitalmärkte der Wirtschafts- und Währungsunion bisher noch entgegenbringen. Mit der Reform der Fiskalregeln in diesem Jahr ist das gewährleistet. Der ehemalige Bundesfinanzminister Christian Lindner hat für die Bundesregierung in den Verhandlungen zurecht auf einfache, wirksame und nachvollziehbare Regeln gepocht, die von der Europäischen Kommission auch durchgesetzt werden. Wer diese stabilen Fiskalregeln wenige Monate später infrage stellt, handelt verantwortungslos und untergräbt das Fundament der Wirtschafts- und Währungsunion.
Zweitens, die Regeln müssen sich in der Umsetzung bewähren. Regeln leben von Schiedsrichtern, die sie durchsetzen, und von Spielern, die die Regeln akzeptieren und befolgen. Hier kommt Deutschland als größtem Mitgliedstaat eine besondere Verantwortung und Vorbildfunktion zu. Warum sollten sich andere EU-Länder an unbequeme Schuldenregeln halten, wenn der größte Mitgliedstaat dazu keine Veranlassung sieht? Stabile Haushaltspolitik ist nicht nur im deutschen Interesse, weil sie Kreditwürdigkeit und niedrige Zinsen sichert. Sie ist im gesamteuropäischen Interesse, weil Deutschland ein Stabilitätsanker für Europa ist. Das gilt umso mehr, wenn andere große Mitgliedstaaten vorübergehend in schweres Fahrwasser geraten. Die Vorstellungen von Olaf Scholz oder Robert Habeck von Lockerungsübungen bei der Schuldendisziplin verbieten sich daher. Zweifel an der Kreditfähigkeit Deutschlands wären das größtmögliche Sicherheitsrisiko für die Währungsunion.