BUSCHMANN-Interview: Nie war es wichtiger, dass individuelle Freiheit und Verantwortung eine Stimme haben
Der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion Dr. Marco Buschmann gab „Focus Online“ das folgende Interview. Die Fragen stellte Margarete van Ackeren:
Frage: Sie gelten als Christian Lindners Mann fürs Grobe. Ist das für Sie ein Kompliment oder ein Tadel?
Buschmann: Ach, was mir da alles zugeschrieben wird! Für andere bin ich „der Stratege“. Ich halte nichts von solchen Zuschreibungen. Ich versuche einfach meinen Beitrag zu leisten, um die liberale Idee erfolgreich zu machen.
Frage: Macht es Spaß, in Zeiten wie diesen ein Liberaler zu sein?
Buschmann: Das ist nicht der Punkt. Liberaler zu sein heißt, die individuelle Freiheit in den Vordergrund zu stellen und daher sind wir im Moment besonders gefordert.
Frage: Die FDP bietet Freiheit. Die Bürgerinnen und Bürger aber wollen in der Corona-Krise mehr Sicherheit denn je. Sie lieben den schützenden Staat, der sie vor allen Gefahren behütet. Passen die Liberalen einfach nicht in die Zeit?
Buschmann: Im Gegenteil. Nie war es wichtiger, dass individuelle Freiheit und Verantwortung, Weltoffenheit und Toleranz, Vernunft und Verhältnismäßigkeit eine Stimme im politischen System haben. Viele Menschen spüren immer mehr, dass die Mittel des Staates begrenzt sind und wir daher auch wieder mehr Vertrauen in die Bürger setzen müssen.
Frage: Eine Mehrheit von 59 Prozent der Menschen hierzulande hält die staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie, so ermittelte infratest dimap im August, für angemessen. 28 Prozent hätten gern noch mehr Restriktionen.
Buschmann: Mag sein. Aber Umfragen sind flüchtig und kein guter Kompass für politisches Handeln. Rechtsstaat und Verfassung stehen nicht unter dem Vorbehalt von Umfragen. Ich glaube, dass wir gute Argumente für unseren Kurs haben. Die Geschichte lehrt uns übrigens auch: Ein Staat, der pleite ist, kann niemandem helfen. Daher müssen wir die Konjunktur in Gang bringen und auf der Ausgabenseite seriös bleiben.
Frage: Sie denken da an den Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD), der auch im nächsten Jahr die Schuldenbremse noch einmal aussetzen will?
Buschmann: Ja, selbstverständlich. Der externe Schock durch Corona erforderte Stabilisierungsmaßnahmen. Die waren zunächst richtig. Das konnten wir uns diesmal leisten, weil wir im Frühjahr noch eine gute Schuldentragfähigkeit hatten. Deshalb gab es viel und günstiges Geld am Kapitalmarkt. Das ist wie bei einem Mittelständler, der eine unbelastete Immobilie hat. Die kann er dann in der Krise beleihen, um an das nötige Geld zu kommen.
Frage: Ökonomen wie Jens Südekum stören sich an dem Hinweis, dass Schulden künftige Generationen belasteten. Er argumentiert: Wenn das Wachstum stimmt, erledigen sich Schulden quasi von selbst.
Buschmann: Das ist halb richtig: Wirtschaftswachstum ist der Schlüssel. Denn es ermöglicht uns, Schulden abzubauen, ohne staatliche Leistungen kürzen zu müssen.
Frage: Aber?
Buschmann: Aber man sollte nicht aus dem Blick verlieren, dass man diese Schulden nach der Krise wieder abtragen muss. Der Mittelständler muss seine Immobilien auch möglichst bald wieder entlasten. Denn sonst wird er in der nächsten Krise in größte Probleme kommen. Denn mit einer verschuldeten Immobilie kann man sich kein Geld leihen. So ähnlich ist es beim Staat. Er steht als Schuldner nicht über den ökonomischen Gesetzen. Wenn wir in der nächsten Krise wieder handlungsfähig sein wollen, müssen wir auch einen Teil der jetzt aufgehäuften Schulden wieder loswerden. Sonst kommt es zur nächsten Wirtschafts- und Finanzkrise.
Frage: Die drastischen Folgen der Pandemie werden immer deutlicher. Manche fürchten gar, dass wir bald vier Millionen Arbeitslose haben. Was muss jetzt geschehen?
Buschmann: Wir müssen uns Gedanken machen, wie wir für die Menschen, die jetzt ihren Arbeitsplatz verlieren, neue Jobs schaffen. Wir dürfen nicht nur über den Erhalt alter Strukturen nachdenken. Wir schlagen etwa ein Jump-start-Programm für neue Arbeitsplätze vor, während sich die Große Koalition nur um die Subventionierung alter Strukturen kümmert.
Frage: Was meinen Sie mit „Jump Start“?
Buschmann: Wir schlagen vor: Der Staat übernimmt befristet für sechs Monate bei allen Neueinstellungen von Auszubildenden und Beschäftigten die Sozialversicherungskosten.
Frage: Sie denken an neue, an andere Jobs. Was aber antworten Sie Gastronomen, Hoteliers, Veranstaltern, den Menschen der Kultur- und Kreativwirtschaft die vor dem Ruin stehen – was hilft denen das FDP-Mantra vom Vorrang für Zukunftsinvestitionen?
Buschmann: Gastronomie, Tourismus und Kultur sind Zukunftsbranchen. Sie leisten unersetzliche Beiträge für unsere Lebensqualität. Künstler inspirieren uns und machen uns damit stärker. Fakt ist aber, dass wir als Land nur dann wohlhabend bleiben werden, wenn wir ein starkes Bildungssystem haben, mehr in digitale Infrastruktur investieren und wenn bei uns die Jobs der Zukunft entstehen.
Frage: Im Leitantrag für Ihren Parteitag fordert die FDP nichts weniger als eine „Wirtschaftswunder-Strategie“. Finden Sie das seriös?
Buschmann: Wer einen Aufbruch will, braucht zwei Dinge: ein kluges Konzept und ein starkes Bild. Das Wirtschaftswunder steht für viele Stärken unseres Landes: sich aus einer schwierigen Situation erfolgreich herausarbeiten, soziale Marktwirtschaft statt bürokratische Staatswirtschaft, clevere Produktinnovationen, tüchtige Arbeitnehmer und mutige Unternehmer. Ich finde, dass das etwas sehr Motivierendes hat. Unterlegt ist das mit klugen Konzepten.
Frage: Ein Schlüsselpunkt?
Buschmann: Für eine nachhaltige Trendwende bei der Konjunktur brauchen wir private Investitionen. Die haben es in Zeiten schmelzender Rücklagen schwer. Steuerliche Entlastung der Bürger und Betriebe ist daher extrem wichtig, um Freiräume für Investitionen zu schaffen.
Frage: Stichwort: Unternehmenssteuerreform.
Buschmann: Ja. Denn Staaten wie China, die USA und Frankreich haben schon vor der Krise die Steuern für Unternehmen gesenkt, auch um deren Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern. Wenn unsere Beschäftigen und Betriebe eine faire Ausgangslage im Aufholwettbewerb nach Corona haben sollen, müssen wir hier in die gleiche Richtung arbeiten. Deshalb fordern wir – anders als der Bundeswirtschaftsminister – Entlastungen.
Frage: Naja, Peter Altmaier (CDU) fordert das auch immer wieder.
Buschmann: Peter Altmaier fordert immer dann Entlastungen, wenn durch die SPD sichergestellt ist, dass sie nicht kommen. Er tut so, als wäre es ihm ein Anliegen, dessen Verwirklichung nur die SPD im Wege steht. Das grenzt an Wählertäuschung. Denn als kommissarischer Finanzminister stand er allen Entlastungsvorschlägen der FDP im Wege.
Frage: Jede fünfte Firma fürchtet laut Ifo die Pleite. Die FDP warnt seit dem Frühjahr vor der großen Insolvenz-Welle. Jeder weiß, dass die kommt. Ist das nicht so, als würden Sie im Sommer sagen: „Es wird bald kälter“, um im Winter zu triumphieren „Haben wir doch gesagt“?
Buschmann: Politik muss mit der Betrachtung der Wirklichkeit beginnen. Die Große Koalition dagegen betreibt Realitätsverweigerung. Sie schiebt die Anzeigepflicht für Insolvenzen immer weiter nach hinten. Wir werden deshalb im nächsten Jahr Unternehmen mit noch gigantischeren Schuldenbergen haben. Mittelfristig ist das auch eine mögliche Gefahr für unseren Finanzsektor. Denn auch die Kreditgeber werden dann ihre Forderungen abschreiben müssen.
Frage: Was schlagen Sie vor?
Buschmann: Wir brauchen einen flexiblen Schutzschirm, um Unternehmen eine selbständige Restrukturierung zu ermöglichen. Und wenn es dann keine Einigung mit den Gläubigern gibt, kann der Staat immer noch eingreifen. Dafür gibt es praktische Vorbilder etwas im US-amerikanischen Insolvenzrecht.
Frage: Im nächsten Jahre müssen Bund, Länder und Kommunen wohl mit fast 20 Milliarden Euro weniger an Steuereinnahmen auskommen als gedacht. Zugleich gibt es die Milliarden-Hilfspakete. Die FDP fordert „staatliche Konsumausgaben bremsen“. Wo?
Buschmann: Die Grundrente zum Beispiel ist verzichtbar. Wir haben mitunter auch schon zahlreiche Punkte benannt. Aber …
Frage: … um diese Frage drücken sich gerade alle!
Buschmann: Es geht ja auch nicht ums Kleinklein. Es geht darum, die Investitionsquote zu steigern und zum Beispiel die öffentliche Infrastruktur zu verbessen. Beim Digitalpakt Schule kann man sehen, dass es bei dieser Bundesregierung nicht nur eine Frage des Geldes ist, sondern auch eines verfehlten politischen Managements ist. Hier gibt es doch längst eine Selbstverbürokratisierung.
Frage: Selbstverbürokratisierung?
Buschmann: Ja, Lähmung durch selbst geschaffene Bürokratie. Die ist mittlerweile so kompliziert, dass nicht einmal der Staat selbst damit zurecht kommt. Nicht ohne Grund ist über ein Jahr nach Verabschiedung des Digitalpakts Schule nur ein Mini-Bruchteil der fünf Milliarden Euro abgerufen. Der Grund: Bürokratie.
Frage: Vor Ihrem Parteitag gab es wochenlange Personaldiskussionen um die noch amtierende Generalsekretärin Linda Teuteberg. Was erwarten Sie von Ihrem Treffen am Samstag? Das große Zusammenrücken?
Buschmann: Wir werden zeigen, dass wir die Kompetenz und den Gestaltungswillen haben, um Lösungsbeiträge für eine Krise wie die aktuelle aufzuzeigen. Da ist es ein starkes Signal, dass wir mit Volker Wissing einen Wirtschafts- und Finanzfachmann mit Regierungserfahrung zum Generalsekretär wählen.
Frage: Volker Wissing hat am Tag, als bekannt wurde, dass er Generalsekretär werden soll, getwittert: „Die CDU nach so langer Zeit abzulösen, könnte ein wichtiges Signal des Aufbruchs für unser Land sein.“ Ist die Union der neue Hauptgegner?
Buschmann: Volker Wissing ist ein unabhängiger Kopf, und die FDP ist eine unabhängige Partei. Beides macht uns stark. Am Ende muss es bei Bündnissen auch programmatisch zusammenpassen. Da sind die Schnittmengen mit der Union tendenziell größer als mit der SPD.
Frage: Fanden Sie den Umgang mit Linda Teuteberg fair? Von außen hatte man den Eindruck: Sie wurde unter Druck gesetzt, bis sie „freiwillig“ ging.
Buschmann: Wir schauen jetzt gemeinsam nach vorne. Jetzt geht es darum, dass der neue Generalsekretär einen guten Start hat.
Frage: Jetzt hat auch die stellvertretende FDP-Vorsitzende Katja Suding für nächstes Jahr ihren Rückzug angekündigt. Die Frage ist bei Interviews mit FDP-Politikern seit Jahren ein Klassiker: Hat die FDP ein Frauen-Problem?
Buschmann: Fragen Sie Katja Suding doch einfach. Ich schaue auf die anstehenden Entscheidungen und sehe: Im neuen Präsidium werden aller Voraussicht nach vier von neun Mitgliedern weiblich sein.