BUSCHMANN-Gastbeitrag: Ohne Gewinn gäbe es weder einen Sozialstaat noch Innovation
Der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion Dr. Marco Buschmann schrieb für den „Tagesspiegel“ (Sonntagsausgabe) den folgenden Gastbeitrag:
Gier ist die Sucht nach Gewinn. Wie jede Sucht ist sie schlecht. Trotzdem bleibt der Gewinn etwas Gutes. Denn ohne ihn bräche der Sozialstaat zusammen, und die Gesellschaft würde ihre Innovationskraft verlieren. Es ist nötig, das wieder klar auszusprechen. Denn gegen den Gewinn richtet sich neuerdings eine Phalanx ansonsten völlig unversöhnlicher Kräfte von links und rechts. Die Spitze der Sozialdemokratie redet wieder vom „demokratischen Sozialismus“. Bündnis 90/Die Grünen wollen ausweislich ihres neuen Grundsatzprogramms Renditen in bestimmen Branchen begrenzen und „unsere Wirtschaft zu einer Gemeinwohlökonomie“ umformen.
Schließlich mutiert manch wohlsituierter Bürger zum konservativen Kapitalismuskritiker. Denn wegen Erbschaft oder alter Erfolge ist er auf keinen Gewinn mehr angewiesen und erkennt im sozialen Aufstieg der anderen durch Gewinn nur neuen und lästigen Wettbewerb.
Sie alle liegen falsch.
Wem der Gewinn ein Dorn im Auge ist, dem sei ein Gedankenexperiment empfohlen: Tun wir so, als erziele kein Unternehmen in Deutschland mehr Gewinne. Das Steueraufkommen von Bund, Ländern und Kommunen bräche um 158 Milliarden Euro ein. Laut einer Studie des Bundesverbands der Deutschen Industrie ist das die Summe der 2019 von Unternehmen auf ihre Gewinne gezahlten Steuern. Würde man diesen Einbruch in eine entsprechende Kürzung steuerfinanzierter Sozialausgaben übersetzen, wäre das Entsetzen groß. Denn das hieße etwa 70 Milliarden Euro weniger für sozialstaatliche Leistungen.
Wollte man nicht kürzen, sondern die Lücke mit der Erhöhung anderer Steuern füllen, so wäre das Entsetzen noch größer. Dann zahlen nämlich Arbeitnehmer, Rentner oder Hartz-IV-Bezieher die Zeche. Denn um 70 Milliarden Euro zusätzlich einzunehmen, müsste man entweder die Lohnsteuer um ein Drittel oder die Umsatzsteuer um knapp sechs Punkte anheben. Daran ist nichts sozial gerechter, als den Unternehmen einfach zu erlauben, weiterhin Gewinne zu erzielen.
Die Besteuerung von Vermögen hilft nicht weiter. Die Einnahmen einer einmaligen Vermögensabgabe wären rasch aufgebraucht. Eine jährliche Besteuerung von Vermögen, ohne die Möglichkeit, die steuerlichen Verluste durch Gewinne auszugleichen, hat nur ein Ergebnis: Es bleibt immer weniger zum Besteuern übrigen. Der Steuerstaat schlachtet die Kuh, die er melken möchte.
Doch ohne Gewinn kommt es noch schlimmer! Wir leben im Zeitalter disruptiver Innovationen. Sie helfen uns, Menschheitsaufgaben wie die Bekämpfung von Hunger, Krankheit oder Klimawandel zu bewältigen. Sie entscheiden ebenso darüber, wer das Vertrauen seiner Kunden behält. Denn die erwarten immer bessere Produkte. Das gelingt nur durch permanente Innovation. Ein Land ohne Innovation verliert seine Wettbewerbsfähigkeit. Die Folge ist, dass Unternehmen in die Pleite und Arbeitsplätze verloren gehen. Arbeitnehmer stehen ohne ihr Erwerbseinkommen da. Steuer- und Sozialversicherungseinnahmen sinken. Dadurch geraten Renten- und Transferleistungsniveau unter Druck. Es ist also offenkundig besser, eine innovationskräftige Wirtschaft zu haben.
Innovationen bringen drei Herausforderungen mit sich. Herausforderung Nummer eins: Man kann Innovationen nur selten vorhersehen. Welche Veränderung Fehler oder Fortschritt ist, zeigt sich oft erst im Nachhinein. Penizillin verdankt seine Entdeckung der Verunreinigung einer Petrischale. Den Einfluss des Internets hat niemand kommen sehen. Für seine Idee, im Internet Bücher zu verkaufen, wurde Amazon-Gründer Jeff Bezos lange Zeit ausgelacht.
Herausforderung Nummer zwei: Innovation setzt Veränderung voraus. Die Verhaltenswissenschaft zeigt aber, dass viele Menschen Veränderungen nicht mögen. Die Wahrscheinlichkeitsrechnung gibt ihnen in gewisser Hinsicht sogar recht.
Nach allgemeiner Lebenserfahrung entpuppen sich geschätzt neun von zehn Veränderungen im Nachhinein als Fehler. Viele Menschen gewichten die Angst vor solchen Fehlern höher als die Hoffnung auf einen möglichen Fortschritt.
Beide Punkte gemeinsam führen zur dritten Herausforderung: dem Innovationsparadox. Wir wollen Innovationen. Daher brauchen wir auch Veränderung. Genau die scheuen wir aber. Daraus folgt eine politische Frage ersten Ranges: Wie motiviert man eine Gesellschaft zu Veränderungen, die niemand möchte, um zu den Innovationen zu gelangen, die wir alle brauchen? Gewinne privater Unternehmen spielen dabei eine zentrale Rolle.
Wenn von zehn Veränderungen neun schiefgehen und Kosten verursachen, dann muss man sich Innovationen leisten können. Gewinne schaffen dafür einen Insolvenzpuffer. So kann man es sich leisten, auch neun Niederlagen einzustecken. Es gibt nur eine Voraussetzung: Wenn der zehnte Versuch gelingt, dann muss er – Achtung! – Gewinne abwerfen.
Der Gewinn darf nicht nur hoch sein. Er muss es sogar. Denn nur so kann er die nächsten neun fehlgeschlagenen Versuche der Zukunft mitfinanzieren. Organisationen ohne Gewinne sperren sich daher stärker gegen Veränderung. Denn sie können sie sich schlicht nicht leisten. Deshalb sind gewinnorientierte Unternehmen im Regelfall innovativer als Behörden oder gemeinnützige Vereine, denen Gewinne verboten sind. Hinzu kommt die Anreizfunktion des Gewinns. Veränderungen sind oft lästig. Wer sie anstößt, macht sich unbeliebt. Wer neun Mal scheitert, bevor beim zehnten Mal der Durchbruch gelingt, dem sind vorher Spott und Häme sicher. Warum soll man sich das also antun? Gewiss lassen sich einige Idealisten nicht schrecken. Aber dass mit dem Gewinn eine Belohnung winkt, lockt auch so manchen normalen Menschen auf den steinigen Pfad der Innovation.
Das heißt also: Ohne Gewinn fehlen dem Sozialstaat die Mittel für Verteilungsgerechtigkeit. Ohne Gewinn geht der Gesellschaft ein Großteil ihrer Innovationskraft verloren. Ohne die wirtschaftlichen Mittel und ohne die technische Innovation besiegen wir weder Hunger noch Krankheit oder Klimawandel. Wer die Gier hasst und daher den Gewinn erschlägt, schüttet das Kind mit dem Bade aus.