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VOGEL/SCHÄFFLER-Gastbeitrag: Aktienkultur in Deutschland entfesseln
Der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion Johannes Vogel und der Sprecher für FinTech- und Blockchain-Innovationen Frank Schäffler schrieben für das „Handelsblatt“ (Mittwochsausgabe) den folgenden Gastbeitrag:
Manche Linke haben es nicht leicht. Morgens muss man auf die Reichen und ihre Dividenden schimpfen und abends Ärmere von einer Altersvorsorge mit Aktien abhalten. Der leicht irre Widerspruch ficht einen aufrechten Antikapitalisten natürlich nicht an. So geistert im politischen Diskurs ein paradoxes Wunderding herum, das angeblich Arme ärmer und Reiche reicher macht: die Aktie!
Das hat in Deutschland leider Tradition – aber es ändert sich endlich etwas: Viele junge Menschen wollen Nachhaltigkeit – beim Klima, aber auch bei den (eigenen) Finanzen. ETFs an der Bushaltestelle auf dem Handy zu checken, ist für viele längst Normalität geworden. Diese neue Generation muss sich nach unserer Überzeugung auch im Handeln der politischen Mehrheit wiederfinden. So, wie eine nachhaltige Klimapolitik mit echtem Emissionshandel der richtige Weg in die Zukunft ist, braucht es auch einen nachhaltigen Wandel hin zu einer vielfältigen und lebendigen Aktienkultur in Deutschland.
Das wäre ein Gamechanger für unsere zentralen Anliegen: individueller Aufstieg und selbstbestimmte Lebensführung. Eine in unserer Bevölkerung stärker verbreitete Unternehmensbeteiligung wäre ein optimales Fundament dafür, endlich beim Schließen der Vermögensschere voranzukommen. Das Eigentumsrecht schafft Fortschritt, persönlich und politisch. Moderne Demokratien sind auch aus Abwehrreflexen gegen unfaire Eigentumseingriffe entstanden. „No taxation without representation“ ist nicht einfach nur ein guter Slogan gegen Kolonialmächte, sondern auch ein Gradmesser für den Unterschied zwischen wohlhabenden und armen Nationen. Denn die individuelle Eigentumsgarantie ist konstitutiver Bestandteil freier Gesellschaften und nur diese sichern nachhaltig echte Innovationskraft.
Demokratien lassen sich sinnvoll also nur als Gesellschaften von Eigentümerinnen und Eigentümern vorstellen. Für sehr viele Menschen stärkt eigenes Eigentum auch die Motivation zur Übernahme von Verantwortung. Genau deshalb ist die faire Chance auf Erwerb und Mehrung von Eigentum ein urliberales Anliegen. Genau deshalb muss es uns beschäftigen, wenn die Chancen zum Vermögensaufbau faktisch nicht allen offenstehen. Und genau deshalb müssen wir eines der besten Instrumente hierfür – den Aktienbesitz – politisch stärken. Gerade für und mit den jungen Menschen in Deutschland, die sich nicht nach einem opahaften Vulgärsozialismus sehnen, sondern nach einer unverkrampften Aktienkultur.
Fünf Punkte hierfür sollten wir konkret voranbringen:
Erstens muss der Einstieg in die Aktienrente kommen. Die Einrichtung eines Fonds nach dem Vorbild des schwedischen AP7 zur Finanzierung der Rente wird ein Meilenstein in der Geschichte der deutschen Altersvorsorge. Wenn wir dem schwedischen Vorbild so schnell wie möglich so nah wie möglich kommen und diesen Fonds dann auch noch mit individuellen Beiträgen füllen, haben wir die rentensystemische Revolution erreicht, die wir aufgrund unserer Demografie und für eine sichere Rente brauchen.
Zweitens arbeiten wir Freie Demokraten für ein Altersvorsorge-Depot. Damit könnten wir das freiwillige Aktiensparen fürs Alter drastisch erleichtern und so das Beste aus Riester- und Rürup-Rente, also steuerliche Förderung, und dem amerikanischen „401K“-Modell, Flexibilität und Rendite-Chancen, zusammenführen. Im Sommer 2023 wird eine Fokusgruppe ihren Bericht abgeben und dann folgt die Gesetzgebung für die Reform der privaten Vorsorge – ein Altersvorsorgedepot sollte dabei ein Element sein.
Bei der drittens notwendigen Verbesserung der Mitarbeiterkapitalbeteiligung ist dank der Initiative von Christian Lindner und Marco Buschmann die Gesetzgebung schon angelaufen. Das Zukunftsfinanzierungsgesetz wird etwa die überfällige Reform der Dry-Income-Besteuerung bringen – also der bislang geltenden Besteuerung von Einkommen, für die keine realen Mittel geflossen sind. Damit können wir im Digitalzeitalter nutzen, was wir im Industriezeitalter zu oft versäumt haben: den Beschäftigten breite Unternehmensbeteiligung ermöglichen.
Viertens müssen wir beim steuerlichen Sparerfreibetrag ehrgeizig bleiben. Die zu Beginn des Jahres erfolgte Erhöhung auf 1.000 Euro war ein wichtiges Signal an Anleger und die Einlösung eines unserer Wahlversprechen. Diesen Weg sollten wir weitergehen und den Freibetrag weiter erhöhen.
Schließlich und fünftens gilt: Der richtige Umgang mit Geld und auch mit Aktien muss zur Allgemeinbildung gehören. Es muss in Deutschland zum normalen Bildungsweg gehören, in der Schule finanzielle Grundkompetenzen vermittelt zu bekommen, die nichts anderes sind als essenzielle Voraussetzungen für Wohlstand und Vermögensaufbau. Derzeit sind Schülerinnen und Schüler auf sehr gute YouTuber angewiesen – es wird Zeit, dass sie diesen auch in der Schule begegnen.