Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
VOGEL-Interview: Freihandel ist Wirtschaftspolitik, die kein Geld kostet
Der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion Johannes Vogel gab dem Deutschlandfunk (Donnerstag) das folgende Interview. Die Fragen stellte Sarah Zerback.
Frage: Wir haben es gerade ja nochmal gehört. Proteste, Kritik und die FDP? Die nennt das Ganze nun Erfolgsgeschichte. Nur mal zur Sicherheit: Reden wir da tatsächlich über dieselbe Sache?
Vogel: Ja, reden wir. Und in Deutschland haben wir in den letzten Jahren, Jahrzehnten vielleicht, finde ich, einen sehr schrägen Blick auf Freihandel erlebt. Gleich aus zwei Gründen finde ich, dass wir den überwinden müssen und dann jetzt mit dem Beschluss auch sichtbar überwinden, zumindest mit einer demokratischen Mehrheit. Nämlich erstens: Freihandel ist Wirtschaftspolitik, die kein Geld kostet. Wirtschaftspolitik ohne Förderprogramm, die brauchen wir doch gerade jetzt. Und zweitens: Noch wichtiger finde ich, wenn wir erlebt haben, dass wir zu abhängig von russischem Gas waren, wenn wir erleben, dass wir zu abhängig vom chinesischen Markt sind, dann ist die Lösung doch, mehr Freihandel zu betreiben mit marktwirtschaftlichen Demokratien, also mit Staaten, die unsere grundlegenden Werte teilen, also mehr Freihandel mit der freien Welt. Das macht uns auch stärker im neuen System-Wettbewerb. Und deswegen ist das Signal heute, glaube ich, so wichtig.
Frage: Bevor wir auf die einzelnen Punkte noch mal eingehen, aber überschätzen Sie da nicht auch vielleicht den Mehrwert von CETA etwas? Weil jetzt mal rein in Milliarden Euro gerechnet und Handelsvolumen in Deutschland ist das ja nicht so furchtbar viel, was CETA da bringt.
Vogel: Also Kanada oder der Handel mit Kanada ist im Vergleich zu anderen Handelspartnern nicht riesig. Das stimmt, aber es sind immerhin dreistellige Milliardenbeträge, die das der EU an Wohlstandsgewinn bringen und Kanada bringen. Und vor allem geht es doch um das Signal. Seit fünf Jahren könnten wir CETA ratifizieren. Die Vorgängerregierung hat dafür nicht die Kraft gefunden. Überhaupt, in diesem Jahrtausend haben wir im Deutschen Bundestag noch kein Freihandelsabkommen ratifiziert. Und mit wem wollen wir Freihandel betreiben, wenn nicht mit den Kanadiern, mit denen wir in so vielen Fragen ganz grundlegend einig sind? Außerdem, und das ist mir wichtig, beschließen wir heute ja auch im Parlament als Entschließungsantrag, das heißt mit bindender demokratischer Mehrheit, dass wir nach CETA auch Chile und Mexiko ratifizieren, sobald das rechtlich auch nur möglich ist – also nicht erneute Verzögerung – und dass wir neu Anlauf für ein Freihandelsabkommen mit den USA wollen, also dass Deutschland sich einsetzen muss in der EU, dass wir das vorantreiben. Und ich glaube, das ist extrem wichtig.
Frage: Bevor wir jetzt sozusagen noch auf die zukünftigen eventuellen Verhandlung kommen, lassen Sie uns nochmal ganz kurz bei CETA bleiben.
Vogel: Ich wollte nur sagen, das beschließt der Bundestag heute auch. Das ist kein Ausblick, sondern das ist heute Beschluss im Parlament, dass wir das wollen, also bindende Position Deutschlands. Und das ist sozusagen wie so ein doppelter Brückenschlag über den Atlantik, und ich glaube, der passt gerade jetzt in die Zeit.
Frage: Demgegenüber steht aber ja massive Kritik und ausdrücklich eben nicht am Handelspartner Kanada, sondern diese Kritik kommt nach wie vor von den Umweltverbänden, etwa zu Investitionsschutz und zu den Sonderklagerechten. Sind Ihnen da – und so lautet ja die Kritik – die Rechte der Firmen wichtiger als Klima und Umweltschutz?
Vogel: Nein, aber die Vorstellung, dass man mit irgendwem gemeinsame Standards vereinbaren könnte, wenn man es mit Kanada nicht schafft, die halte ich für illusorisch. Also dann müssten wir ja ehrlich sein und sagen, wir wollen gar keinen Freihandel betreiben. Ich glaube, wir müssen Freihandel betreiben. Ich glaube, gerade mit einem Staat wie Kanada – genauso wie mit der ganzen Welt – müssen wir uns doch einig sein, zum Beispiel bei Klimaschutz-Herausforderungen. Und ich sehe auch nicht, wo das Abkommen dem zuwiderläuft. Was das Abkommen macht, ist, dass es Rechtsstaatlichkeit im Handel schafft, dass es Eigentumsrechte schützt. Das ist aber ehrlich gesagt Quelle des menschlichen Fortschritts und steht keinem der Ziele, die wir haben und ich auch aus tiefster Überzeugung teile, zum Beispiel, dass wir unsere Lebensweise komplett dekarbonisieren müssen, entgegen.
Frage: Da würden natürlich viele Umweltverbände jetzt in Deutschland gerade sagen „Moment mal“, weil bei der Kritik geht es ja gerade darum, dass Konzerne eben Sonderklagerechte bekommen, wenn sie ihre Gewinne in Gefahr sehen. Und das kann natürlich auch in Kanada der Fall sein. Da könnten dann zum Beispiel Öl- und Gasproduzenten Deutschland verklagen, wenn Deutschland Klima-Maßnahmen beschließt, die den Ausstieg aus Öl und Gas zum Ziel haben. Gefährdet CETA die Energiewende in Deutschland?
Vogel: Nein, das sehe ich in keiner Weise. Worum es dabei geht, ist, dass man zu Freihandel und Investitionen Rechtssicherheit für diejenigen, die investieren, schaffen muss. Sonst investieren die Menschen nämlich nicht. Und da müssen sie sich darauf verlassen können. Genauso wie innerdeutsch Menschen ja auch vor Gerichten klagen können, wenn sie sich auf Rechtssicherheit von Investitionen nicht mehr verlassen können. Und einen solchen Raum zwischen demokratischen Staaten schafft auch ein Freihandelsabkommen. Kanada und Deutschland sind gleichzeitig aber ja auch dem Klimaschutz verpflichtet und haben auch nochmal erklärt, dass sie sich einig sind, dass dieses Abkommen dem in keiner Weise zuwiderläuft, um diejenigen zu beruhigen, die das sehen. Ich glaube, die Sorgen waren aber eh unberechtigt. Wie ernst uns das ist, sehen Sie übrigens auch daran, dass wir gleichzeitig heute aus der sogenannten Energiecharta aussteigen – genauso wie übrigens unsere Nachbarn wie die Niederlande und Frankreich –, weil das ist auch Teil der Agenda neben dem Freihandel mit den USA und den anderen Maßnahmen, die ich beschrieben habe, die wir heute beschließen. Weil da zum Beispiel die Frage berechtigt wäre, ob nicht in 20 Jahren, wenn wir schon längst dekarbonisiert sein wollen und müssen, fossile Investitionen noch beklagt werden können. Und das überzeugt uns nicht. Das heißt, wir bekennen uns klar zu mehr Freihandel mit der freien Welt und zu entschlossenem Klimaschutz. Ich finde, das ist ein gutes Paket.
Frage: Diese Energiecharta, von der Sie jetzt sprechen, da stehen ja im Mittelpunkt die sogenannten Schiedsgerichte. Das war ja quasi der Kritikpunkt schlechthin, auch in den vergangenen Jahren. Und natürlich haben Sie recht. Tatsächlich wurde da nachjustiert bzw. auf diese massive Kritik eingegangen. Jetzt wird ausgestiegen aus der Energiecharta, ja auch auf massiven Druck der Grünen. Aber sie haben gerade die 20 Jahre schon genannt. Auch die Ausstiegsfrist beträgt ja 20 Jahre. Ist es da in Zeiten der Klimakrise nicht nahezu absurd, dass Unternehmen jetzt ausbleibende Gewinne aus fossilen Investitionen und Entschädigungen für Kohle- und Atomausstieg einklagen können? Noch 20 Jahre lang?
Vogel: Ja, wir müssen uns, glaube ich, die Frage stellen: Worüber reden wir jeweils? Reden wir über die politischen Ziele, wo wir uns einig sind? Oder reden wir über Instrumente der Marktwirtschaft, wie zum Beispiel Investitionssicherheit und Eigentumsschutz? Und ich kann uns nur dringend raten und das gelingt auch, dass wir die Instrumente der Marktwirtschaft nutzen für Klimaschutz. Ich nenne das eine Klima-Ordnungspolitik und die gibt uns ja zum Beispiel der Pariser Vertrag auch vor. Die implementieren wir dann durch Instrumente wie einen Zertifikatehandel, der einen dichten Deckel für Emissionen einzieht. Dass wir das nicht als Widerspruch begreifen, sondern zum Nutzen bringen, dass wir Instrumente der Marktwirtschaft nutzen für Klimaschutz. Und dem stehen internationale Abkommen nicht entgegen, sondern internationale Abkommen sind ja geradezu zwingend. Ohne das Pariser Abkommen beispielsweise würden wir niemals den Klimaschutz als globale Aufgabe bewältigen. Und in all dem muss doch die freie Welt, müssen die marktwirtschaftlichen Demokratien enger zusammenwachsen. Und deshalb ist es so wichtig, dass wir uns heute für mehr Freihandel bekennen. Das halte ich für absolut zentral, vor allem mit Blick auf geradezu zwei große Herausforderungen; die, über die wir gerade gesprochen haben, und die neuen System-Wettbewerbe mit Autokraten wie Putin und Xi Jinping.
Frage: Da sagt natürlich ver.di – und der Paritätische übrigens auch – das ist nicht nur eine Frage des Umweltschutzes, sondern wir müssen auch auf die Sozialstandards schauen, die da untergraben werden können. Da wurde nachgebessert, auch das geben viele Kritiker zu, aber – und das ist eben auch die aktuelle Kritik – es gibt immer noch zu wenig Transparenz und demokratische Legitimation, auch bei diesen CETA-Ausschüssen, von denen wir gerade im Beitrag gehört haben, bei den Paralleljustizen, wie es die Kritiker dann sagen. Wie wollen Sie denn verhindern, dass CETA hier quasi den Einfluss der Parlamente schwächt und dadurch ja damit auch die Stimmen der Wählerinnen und Wähler entwertet?
Vogel: Ja, ich würde sagen, indem wir dieser wirklich völlig entglittenen, irren Debatte, die wir auch nur in Deutschland führen, jetzt mal hart widersprechen und vom Kopf auf die Füße stellen. Wenn Demokratien Freihandel betreiben, dann untergräbt das keinen demokratischen Prozess. Ganz im Gegenteil. Die Demokratien müssen mehr Freihandel miteinander betreiben in den System-Wettbewerben, in denen wir sind. Zweitens: Wir haben doch schon in den letzten Jahrzehnten unendlich viele Freihandelsabkommen geschlossen, die letzten Jahre nicht mehr wegen dieser Stimmung. Aber Deutschland ist in sehr viele Freihandelsabkommen, die nutzen alle Gerichtsbarkeiten, die sie gerade beschrieben haben. Es gab nie hiermit Probleme, im Gegenteil, es ist eine Grundlage von auch demokratischen Marktwirtschaften, dass Eigentumsrechte zum Beispiel nicht willkürlich angetastet werden können. Und wenn wir das nicht ändern, wenn wir diesen, wie ich finde, wirklich teilweise auch von einfach antikapitalistischen Reflexen – in der TTIP-Debatte haben wir das erlebt –, wirklich blankem Antiamerikanismus durchzogenen, irren Blick auf Freihandel nicht durchbrechen und ins Gegenteil verkehren, dann werden wir nicht mit angebotsorientierter Politik Wachstum generieren können. Und dann werden wir vor allem nicht den System-Wettbewerb gewinnen. Wo die Demokratien, die marktwirtschaftlichen Demokratien, – das macht unsere Systeme nun mal aus und das ist auch richtig so – wo die enger zusammenwachsen. Und deshalb finde ich es so wichtig, dass wir diese Debatte, die in den letzten Jahren wirklich in Deutschland – insbesondere wenn man sich mal internationale Umfragen auch anschaut – entglitten ist, umdrehen. Und das tut der Bundestag heute mit klaren Bekenntnis zu mehr Freihandel. Das finde ich enorm wichtig.